Ungesunde Lebensmittel:Ein Käse-Werbeverbot bis 23 Uhr?

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Ungesunde Nähe? 15 Prozent der deutschen Kinder sind übergewichtig - auch dank Burgern und Pommes, die das McDonald's-Maskottchen der Jugend nahebringt, wie hier 1992 in Kanada. (Foto: Tony Bock/Toronto Star via Getty Images)

Nach dem Heizungskrach droht der Ampel der nächste Streit, diesmal über Kinderwerbung für Süßes und Fettiges. Die Ideen des grünen Ernährungsministers Özdemir gehen der FDP zu weit.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Kaum ist der Zank ums Heizungsgesetz befriedet, zeichnet sich in der Koalition der nächste Konflikt ab. Das Gesetz von Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne), das Kinder vor Übergewicht schützen soll, indem es Werbung für gesundheitsschädliche Lebensmittel beschränkt, gerät unter Druck. Es gibt da Differenzen zwischen Grünen und FDP, mal wieder. "Wir sind gern bereit, über die Einschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel auf einschlägigen Kinderkanälen oder im Umfeld von Schulen und Kitas zu sprechen", sagte der landwirtschaftlicher Sprecher der FDP-Fraktion, Gero Hocker, der SZ. Aber was Özdemir plane, "das geht zu weit".

Gemeint ist das Vorhaben des Bundesministers für Ernährung, den Konsum von überzuckerten Müslis, fettigem Knabberzeug oder Süßgetränken bei Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren zurückzudrängen. 15 Prozent von ihnen gelten in Deutschland als übergewichtig, sechs Prozent sogar als extrem übergewichtig. Seit Jahren kritisieren Wissenschaftler und Verbraucherschützerinnen hier die Untätigkeit der Politik.

Auch deutsche Ärzte mahnen eine gesetzliche Regelung "dringend" an

Die Ernährungswissenschaftler etwa verweisen auf Großbritannien, wo Werbung für fettige Burger, Pizza oder Softdrinks zu bestimmten Tageszeiten verboten worden sei, mit Erfolg. Der Anteil von Menschen mit extremem Übergewicht sei um 4,8 Prozent zurückgegangen. Auch der Deutsche Ärztetag mahnte kürzlich, vor Marketingstrategien, die nur der Gewinnsteigerung dienten und "vorsätzlich" die Gesundheit heranwachsender Generationen beschädigten. Eine gesetzliche Regelung sei "dringend" geboten.

Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, will Grünen-Minister Özdemir nun Werbung für stark fett-, zucker- oder salzhaltige Lebensmittel "im Werbeumfeld von Kindern" unterbinden. Verschwinden soll Fernseh- und Radiowerbung für Ungesundes, die "zwischen 6 und 23 Uhr gesendet wird", heißt es in seinem Referentenentwurf, der derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt wird. Aber auch in Jugendkanälen im Netz oder auf Plakaten neben Schulen und Kindergärten soll Reklame für überzuckerte Müslis verboten werden, ihr Sponsoring ebenso.

Die Werbe- und Lebensmitteindustrie hat selbstredend ihr Veto eingelegt: Es sei nicht erwiesen, dass Werbeverbote gegen Übergewicht helfen. Nun meldet sich auch die FDP. Die Liberalen seien bereit, Werbung für gesundheitsschädliche Nahrung zu beschränken, die sich direkt an Kinder richte, etwa in Comics oder rund um Kindersendungen, sagte der FDP-Politiker Hocker. Aber bestimmte Werbung zwischen sechs und 23 Uhr generell zu verbieten, "das ist keine angemessene Definition von an Kinder gerichtete Werbung".

Özdemirs Ministerium weist Kritik zurück: Um Käse-Werbung gehe es doch gar nicht

Befeuert wird der Protest von einem halbfertigen Referentenentwurf, der jetzt in Berlin gestreut wurde, mitsamt Arbeitsnotizen. Daraus geht hervor, dass Özdemirs Haus an Grenzwerten feilt, ab denen ein Produkt als gesundheitsschädlich gelten soll. Es orientiert sich dabei am Nährwertmodell der Weltgesundheitsorganisation. Demnach gelten auch Milchprodukte als ungesund, die pro 100 Gramm mehr als 17 Gramm Fett enthalten.

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Sogleich rechnete die Bild-Zeitung Özdemir vor, nach dieser Definition dürfe zwischen sechs und 23 Uhr auch nicht mehr für Butter oder Frischkäse geworben werden, der 25 Gramm Fett enthalte, oder für Leerdammer-Käse mit gut 27 Prozent. "Hanebüchen" nennt FDP-Politiker Hocker die Idee eines Werbeverbots zwischen sechs und 23 Uhr für gesunde Produkte wie Hartkäse. "Das zeigt, wir müssen noch mal an den Gesetzentwurf ran."

Özdemirs Sprecher wies die Kritik als irreführend zurück. Auf keinem Kinderkanal werde für Leerdammer geworben, sondern gezielt für ungesunde Produkte. "Es geht darum, Kinder insgesamt vor Lebensmitteln zu schützen, die einen zu hohen Fett- und Zuckergehalt haben." Dazu müssten generelle Grenzwerte definiert werden. Der Entwurf aber sei ohnehin noch nicht fertig. Man arbeite dran, das dauere noch.

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