Regierungsbilanz NRW:Kompromisse sind ihm wichtiger als Klarheit

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Ministerpräsident Armin Laschet im Jahr 2018 beim Besuch in einer Steinkohlenzeche. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Armin Laschet regiert Nordrhein-Westfalen als Mannschaftsspieler. Er hat viel versprochen - und kommt nur langsam voran. Wenn überhaupt.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

Armin Laschet hat ausgeteilt im Frühjahr 2017: "Überall steht die Regierung auf der Bremse", polterte der CDU-Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf nach sieben Jahren unter Rot-Grün, "NRW ist Schlusslicht!" Ob bei der Kriminalität, ob in maroden Schulen oder auf überlasteten Autobahnen - überall liege NRW im bundesweiten Vergleich ganz hinten. "Schluss damit", sagt Laschet immer wieder in dem Wahl-Video, während eine rote Laterne zersplittert, "Schluss mit Schlusslicht!" NRW solle "schlauer, schneller, stärker werden!"

Dass sich derartig großspurige Versprechen nur selten schnell einlösen lassen, wusste Laschet. Der neue Ministerpräsident ließ es sogar offen durchblicken, als er am 13. September 2017 - vier Monate nach seinem überraschenden Wahlsieg gegen Hannelore Kraft - auf 55 Seiten seine meist arg kleinteilige Regierungserklärung ausbreitete. Laschet verkündete "Maß und Mitte" als Motto und sparte sich jede Vision.

Beispiel Verkehrspolitik. Vom CDU-Wahlversprechen - "tagtäglich über 300 Kilometer Stau - Schluss damit!" - hörte man nie wieder. Verkehrsminister Hendrik Wüst, der nun in NRW als potentieller Nachfolger Laschets gehandelt wird, bekam deutlich mehr Geld für den Straßenbau und für 100 Ingenieure und Techniker, um wenigstens den Planungsstau abzubauen. Was im Ergebnis bedeutet: mehr Baustellen, und laut ADAC noch mehr Stau. Dass nun seit einem Jahr der Autoverkehr rollt wie nie, dafür sorgte allein Corona.

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Auch in der Bildungspolitik lassen sich kurzfristig kaum Welten verändern. Zwei Versprechen löste die schwarz-gelbe NRW-Koalition schnell ein: G-8, also das Abitur nach nur acht Jahren Gymnasium, wurde wieder abgeschafft. Auch die von Rot-Grün im Namen schulischer Inklusion vorangetriebene Schließung der Förderschulen wurde gestoppt.

Bei der Bildung blieb NRW Schlusslicht

Nur, das ändert nichts an den chronischen Mängeln in den NRW-Schulen. Überschuldete Städte etwa im Ruhrgebiet ließen über Jahrzehnte Gebäude verkommen. Zudem herrscht chronischer Lehrermangel, 2020 blieben 4000 Planstellen unbesetzt. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) bietet 60 ausgewählten "Talentschulen" einen Bonus von 20 Prozent mehr Geld und Lehrern - aber für Tausende andere Lehranstalten änderte sich nichts. Das Corona-Virus legte 2020 dann eklatant Mängel offen, von nicht vorhandenen Seifenspendern bis zu fehlendem Internet für digitalen Unterricht. NRW blieb Schlusslicht: Das bevölkerungsreichste Bundesland gibt mit 6200 Euro pro Schüler am wenigsten Geld für Bildung aus.

NRW muss - zumal im Vergleich zu Bayern - eben sparen: Das alte Industrieland hat mit ungefähr 12 000 Euro eine sechsmal so hohe Pro-Kopf-Verschuldung wie Bayern. Als Erfolg meldet Laschets Regierung, dass sie (bis Corona kam) keine neuen Schulden mehr machte.

Am meisten Licht auf Laschet warf in den vergangenen Jahren sein Innenminister Herbert Reul (CDU). Dessen Reaktion auf den Missbrauchsfall Lügde trug maßgeblich zu seiner Popularität bei: Er erklärte als erster Innenminister Deutschlands die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zur Priorität seiner Landespolizei. Das Personal für die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie wurde vervierfacht, 32 Millionen Euro in zusätzliche Technik investiert, alle Kreispolizeibehörden NRWs zu einem virtuellen Großraumbüro verbunden.

Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik Ende März verkündete Reul stolz, dass die Zahl der registrierten Straftaten auf den niedrigsten Wert seit 30 Jahren in NRW sank. Die Aufklärungsquote sei mit 52,8 Prozent so hoch wie nie zuvor. Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag wurden weniger, eine Steigerung gab es aber im Bereich des "Betrugs zum Nachteil älterer Menschen" und bei der Computerkriminalität. "Aufgrund der Pandemie findet das Leben jetzt online statt und das Verbrechen kommt hinterher", sagte Reul damals, der von einer "Corona-Statistik" sprach. Reul räumte ein, er habe auch Glück gehabt: Die Schließung der Balkan-Route nach 2015 bremste Diebesbanden aus.

Direkt nach Amtsantritt beauftragte Reul das Landeskriminalamt, ein "Lagebild Clankriminalität" vorzulegen. Rot-Grün hatte eine Auswertung nach Familienzugehörigkeit und Nationalität stets abgelehnt. Die Zahlen zeigten: Allein zwischen 2016 und 2018 haben Angehörige von etwa 104 arabisch-türkischstämmigen Clans mehr als 14 000 Straftaten in NRW begangen. Der Minister reagierte mit einer "Strategie der 1000 Nadelstiche".

Laschet wägt leise ab statt laut zu führen

Bei der Reform des Polizeigesetzes zeigte sich Reul - anders als die CSU in Bayern - flexibel. Nach massiver Kritik von Verfassungsrechtlern entschärfte er 2018 seine Entwürfe: Der vage Begriff der "drohenden Gefahr" als Rechtsgrundlage für erweiterte Polizeibefugnisse wurde gestrichen, der Polizeigewahrsam weniger rabiat ausgeweitet als geplant. Der angestrebte Ausbau der NRW-Polizei gelingt Reul allerdings nicht: Die vielen Neueinstellungen werden von noch mehr Verrentungen übertroffen.

Typisch für Laschets Regierungsstil ist die Umwelt- und Klimapolitik in NRW: Er wägt leise ab statt laut zu führen, Kompromisse sind ihm wichtiger als Klarheit.

Im Streit um Kohleausstieg und Klimaschutz blieb Laschet lange in Deckung. Auch als sich 2018 längst abzeichnete, dass im Hambacher Wald ein symbolträchtiger Konflikt drohte, verweigerte er jede Einmischung als Vermittler. Unter dem Vorwand, die Baumhäuser im "Hambi" verstießen gegen den Brandschutz, ließ er den Wald im September 2018 räumen - um nur einen Monat später mit dem Energiekonzern RWE einen Rodungsstopp zu vereinbaren, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster die geplante Abholzung vorläufig untersagt hatte.

Laschet, der schon 2018 schon die Steinkohle verabschiedet hatte, gelang es dann, aus seiner Not Geld zu machen. Der Kompromiss zum Kohleausstieg von 2019 verspricht dem Rheinischen Braunkohlerevier 15 Milliarden Euro Fördermittel aus Berlin. Der Hambi bleibt zwar - aber im Namen einer sicheren Strom-Versorgung ließ Laschet im Kohle-Kompromiss festschreiben, dass der Tagebau Garzweiler II bis 2038 ausgekohlt werden kann. Gleichzeitig stockt der Ausbau der Windenergie in NRW, weil strikte Abstandsregeln den Bau neuer Windräder ersticken.

Im Landtag ließ Laschet zu diesem brisanten Kapitel meist seinen Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) reden. "Nein, nicht aus Feigheit", wie Laschet betont, sondern "aus Respekt vor dessen Arbeit". Laschet sieht sich als Mannschaftskapitän, der auch Mitspielern die Show gönnt.

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