Lampedusa:Italienische Küstenwache findet totes Neugeborenes auf Migrantenboot

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Mehr als 6000 Geflüchtete haben in dieser Woche die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa erreicht. (Foto: YARA NARDI/REUTERS)

Immer mehr Geflüchtete kommen auf der Mittelmeerinsel an. Dort protestieren Einheimische gegen die Errichtung eines weiteren Zeltlagers. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will noch an diesem Wochenende nach Lampedusa reisen.

Die italienische Küstenwache hat auf einem Migrantenboot vor der Küste der Insel Lampedusa ein totes Neugeborenes entdeckt. Das Boot sei auf die Insel zugesteuert, meldete die italienische Nachrichtenagentur Ansa am Samstag. Bei dem Rettungseinsatz sei das tote Baby gefunden worden. Es sei während der Fahrt über das Mittelmeer zur Welt gekommen und kurz nach der Geburt gestorben. In dieser Woche war bereits ein fünf Monate alter Junge während einer Rettungsaktion vor Lampedusa ertrunken, nachdem ein aus Nordafrika kommendes Boot mit Migranten an Bord gekentert war.

Die Lage auf Lampedusa spitzt sich immer weiter zu. Alleine in dieser Woche sind mehr als 6000 Geflüchtete auf der Mittelmeerinsel angekommen - mehr als Lampedusa Einwohner zählt. Bereits am Mittwoch hat der Gemeinderat der Insel den Notstand ausgerufen.

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Die Bewohner von Lampedusa protestierten am Samstag gegen den Plan, ein neues Zeltlager zur Unterbringung von Migranten zu errichten. "Ich habe zwei Kinder zu Hause", sagte ein Demonstrant. "In den vergangenen Jahren war mir dieses Thema egal." Jetzt aber glaube er, seine Kinder beschützen zu müssen, denn er wisse nicht, was in Zukunft mit Lampedusa geschehen werde. "Lampedusa sagt Stopp!", rief ein anderer. "Wir wollen keine Zeltlager. Diese Botschaft richtet sich an Europa und die italienische Regierung. Die Bewohner von Lampedusa sind müde."

Lampedusa wird derzeit von zahlreichen Schlepperboot angesteuert, die aus Nordafrika kommen. Die Mittelmeerinsel liegt nur rund 140 Kilometer östlich der Küste Tunesiens. Sie trägt wegen ihrer Nähe zu Nordafrika derzeit die Hauptlast der illegalen Migration. In diesem Jahr sind fast 126 000 Migranten illegal nach Italien eingereist, fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022.

Für die seit Oktober 2022 regierende rechte Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird die Lage auf Lampedusa zunehmend zu einem Problem. Der stellvertretende Regierungschef Matteo Salvini hat wiederholt mangelnde Solidarität der anderen EU-Staaten beklagt. Meloni rief am Freitag die EU auf, gemeinsam und "gegebenenfalls mit einem Marineeinsatz" die Migranten von der Überquerung des Mittelmeers abzuhalten, sagte die Rechtspolitikerin in einer Videobotschaft am Freitagabend. Nach Melonis Vorstellung sollen die Menschen bereits in Nordafrika vom Ablegen abgehalten werden. Eine solche Mission müsse "sofort" starten.

Von der Leyen reist nach Italien

Einem EU-Vertreter zufolge wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einer Einladung Melonis folgen und die Insel am Sonntag besuchen. Meloni lud von der Leyen nach Lampedusa ein, "um sich persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen". Am Samstag sagte ein Sprecher von der Leyens der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer Veranstaltung in Hanau, die Kommissionschefin werde am Samstag zunächst nach Rom und später mit Meloni nach Lampedusa reisen. Ein weiterer Kommissionssprecher teilte kurze Zeit später über die Plattform X mit, die Reise auf die Insel sei für Sonntag vorgesehen.

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Meloni sieht die EU in der Pflicht, Italien zu unterstützen. Sie habe deswegen den Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, gebeten, das Migrationsthema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels im Oktober zu setzen. Die Regierungschefin betonte die Wichtigkeit des geplanten Abkommens mit Tunesien. Die vereinbarten finanziellen Mittel müssen nach ihren Worten schnellstmöglich übertragen werden, um den Deal zu beschleunigen. Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa.

Die EU-Kommission plant derzeit ein Migrationsabkommen mit dem nordafrikanischen Land. Im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren. Meloni sagte, das Mittelmeerland und Europa könnten die enorme Zahl an Menschen nicht aufnehmen. "Der Migrationsdruck, den Italien seit Anfang dieses Jahres erlebt, ist unhaltbar", sagte die Rechtspolitikerin. Sie beabsichtige, "außergewöhnliche Maßnahmen" zu ergreifen. So solle das Höchstmaß der Haftdauer in Abschiebungshaftanstalten angehoben werden. Meloni kündigte an, die Maßnahmen sollten am Montag in einer Kabinettssitzung beschlossen werden.

Deutschland hat die freiwillige Aufnahme von Migranten gestoppt

Deutschland hat die freiwillige Aufnahme von Migranten gestoppt, ist laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu aber grundsätzlich bereit. Es sei "natürlich klar, dass wir unseren solidarischen Verpflichtungen auch nachkommen", sagte die SPD-Politikerin am Freitagabend in der ARD. Am Mittwoch hatte die Bundesregierung mitgeteilt, den freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus zur Aufnahme von Flüchtlingen mit Italien ausgesetzt zu haben, weil das Land sich weigere, Geflüchtete in Deutschland nach den Dublin-Regeln der EU wieder zurückzunehmen. Nach dem Solidaritätsmechanismus hat sich Deutschland bereiterklärt, EU-Staaten zu helfen, die besonders stark von ankommenden Migranten belastet sind. Generell müssen aber Menschen, die sich etwa in Italien zuerst registrieren ließen, auch dort verbleiben.

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