Nahost:Versuch eines Friedensgipfels in der Wüste

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Den arabischen Vertretern kam das Wort "Terror" nicht über die Lippen. Es war an Baerbock, hier mit ihrem britischen Kollegen Cleverly, zu betonen, dass die Hamas den Krieg in Nahost ausgelöst hat. (Foto: Kira Hofmann/IMAGO/photothek)

Die Vertreter westlicher und arabischer Staaten kommen in Kairo zu einer eilig organisierten Nahost-Konferenz zusammen. Auf eine Abschlusserklärung können sie sich nicht einigen, gemeinsame Forderungen gibt es aber trotzdem.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Der "Iconic Tower" in Ägyptens bisher namenloser, neuer Verwaltungshauptstadt, eine Stunde von Kairo entfernt, leuchtet am Samstag weiß, grün und rot und schwarz - die Farben Palästinas. Ein Handschlag ist zu sehen auf der LED-Fassade. Das höchste Gebäude Afrikas kündet vom "Friedensgipfel Kairo", zu dem Präsident Abdelfattah al-Sisi eilig Staats- und Regierungschefs gerufen hat.

Nicht alles an dieser Konferenz war so gut vorbereitet wie die Werbebanner entlang der Straße, an denen die Delegationen vom Flughafen in Kairo auf ihrem Weg in die Retorten-Stadt in der Wüste mit dem neu errichteten Konferenzzentrum vorbei mussten. Noch am Abend vor dem Gipfeltreffen war die Liste der Teilnehmer nicht konsolidiert, von der Tagesordnung waren nur Umrisse bekannt.

Nach Angaben von Diplomaten wurde am Samstag lange über eine Abschlusserklärung verhandelt. Klar war, dass die G-7-Staaten wie auch die EU-Mitglieder kein Papier mittragen würden, das lediglich Forderungen an Israel richtet, ohne dessen Selbstverteidigungsrecht oder den Terrorangriff der Hamas zu erwähnen. So blieb Sisi letztlich nur, eine Erklärung des Vorsitzes abzugeben. Offen blieb damit auch ein Stück weit, was genau Ägypten mit dem Gipfeltreffen zu diesem frühen Zeitpunkt operativ erreichen wollte.

Vor dem Krieg passierten etwa 500 Lastwagen pro Tag die Grenze nach Gaza

Entscheidende Akteure für eine Deeskalation und Verhandlungen waren nicht eingeladen oder nicht hochrangig vertreten - darunter Israel. Auf US-Seite nahm die Leiterin der US-Botschaft in Kairo, Beth Jones, teil. Der Sondergesandte David Satterfield reiste dagegen am Samstag zu Konsultationen nach Tel Aviv. Iran war nach Informationen aus Diplomatenkreisen nicht eingeladen. Das Regime gilt als wichtiger Unterstützer der Hamas und kontrolliert die Hisbollah-Miliz im Libanon, die seit Tagen immer wieder israelisches Gebiet mit Raketen beschießt.

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So ging von Kairo vor allem ein eindringlicher Appell aus, kontinuierlich humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Der Grenzübergang Rafah, der von der ägyptischen Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen führt, war wenige Minuten vor Beginn des Gipfeltreffens geöffnet worden. Vorangegangen waren tagelange Verhandlungen zwischen Ägypten, Vertretern der Vereinten Nationen, Satterfield und Israels Regierung. 20 Sattelzüge mit Lebensmitteln und Medikamenten an Bord durften passieren.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wertete dies beim Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter, als "Zeichen der Hoffnung", verlangte aber auch, dass die Hilfslieferungen ausgeweitet werden müssten. Nach Schätzungen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge wären mindestens 100 Lastwagen pro Tag nötig, um die Grundversorgung von mehr als einer Million Binnenvertriebener im Gazastreifen zu gewährleisten. Vor dem Krieg passierten etwa 500 Lastwagen pro Tag die Grenze nach Gaza.

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Ägyptens Präsident Sisi sprach von einem "Test für unsere Familie". Er verurteilte "die militärische Eskalation" seit dem 7. Oktober und die "kollektive Bestrafung der Palästinenser" durch die israelischen Luftangriffe. Der Welt warf Sisi vor, schweigend zuzusehen, wie sich eine katastrophale humanitäre Krise im Gazastreifen entfalte. US-Präsident Joe Biden hatte bei einem Besuch in Israel am Mittwoch von Premier Benjamin Netanjahu die Zusage erreicht, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu lassen, auch die europäischen Staaten hatten dies immer wieder gefordert.

Der wohl wichtigste Punkt für den ägyptischen Präsidenten aber war die Botschaft, dass sein Land keine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen dulden werde - eine Position, die Jordaniens König Abdullah bekräftigte und die anderen Vertreter arabischen Staaten unterstützten. Weder unter Besatzung noch unter Bombardement würden die Palästinenser ihr Land aufgeben, sagte Sisi - was auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bekräftigte. Eine Beilegung der Palästinenserfrage, sagte Sisi, sei ohne eine gerechte Lösung "unvorstellbar" und werde auf keinen Fall auf Kosten Ägyptens kommen.

Wollen beide keine Flüchtlingslager in Ägypten: Abdel Fattah al-Sisi (rechts) und Mahmud Abbas, hier bei der Begrüßung am Samstag. (Foto: Pressestelle des ägyptischen Präsidenten/REUTERS)

Die Regierung in Kairo sah sich zuletzt mit Forderungen konfrontiert, die Grenze zu öffnen und Zehntausenden Palästinensern auf ägyptischem Gebiet oder der von ägyptischem Militär kontrollierten Pufferzone zum Gazastreifen Zuflucht zu verbieten. Aus Sicht der arabischen Staaten käme dies aber einer Vertreibung gleich, die aus ihrer Sicht anschließen würde an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 - die Nakba.

Eine langfristige Lösung müsse auf zwei unabhängigen Staaten basieren

Jordaniens König Abdullah sagte, Israel müsse einsehen, dass "es für seine Sicherheitsbedenken keine militärische Lösung gibt". Er zeigte sich empört über die "zivilen Opfer in Gaza, dem Westjordanland und Israel" und erinnerte an die Regeln, die Muslime im Krieg zu befolgen hätten. Mit dieser indirekten Kritik an der Hamas blieb er unter den arabischen Vertretern weitgehend alleine, denen auch das Wort Terror nicht über die Lippen kam. Aber auch er warf Israel Kriegsverbrechen vor.

Bundesaußenministerin Baerbock stellte dagegen klar, dass "die Ursache all des Leids der letzten Wochen - des Leids, das uns heute hierher bringt - einen Namen hat: Es war die Hamas, die am 7. Oktober schrecklichen Terror über Israel verbreitete und grausame Verbrechen beging." Wie jedes andere Land der Welt habe Israel das Recht, sich im Rahmen des Völkerrechts zu verteidigen und sein Volk vor Terror zu schützen. Die Hamas dürfe nach einem Ende des Krieges nicht weiter den Gazastreifen beherrschen.

Ähnlich äußerten sich Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna und ihr britischer Kollege James Cleverly, der von der "schwierigsten Situation" sprach, "mit der ich in meinem beruflichen, persönlichen oder politischen Leben konfrontiert war".

Die größte Einigkeit zwischen den westlichen und den arabischen Staaten gab es neben den Forderungen nach einem humanitärem Zugang in den Gazastreifen und dem Schutz der Zivilbevölkerung bei dem Appell, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Auch bei dem Ruf nach Verhandlungen und einer langfristigen politischen Lösung des Nahost-Konfliktes, auf Grundlage zweier unabhängiger Staaten, herrschte Einigkeit. Diplomaten werteten dies als Zeichen, dass der Plan der Hamas nicht aufgehe, den Westen und die arabischen Staaten komplett zu spalten. Baerbocks Besuch in Jordanien am vergangenen Donnerstag sollte ebenfalls das Signal senden, dass das Leid der Palästinenser im Westen gesehen wird.

Allerdings gibt es auch zwischen den westlichen Staaten Differenzen. Im UN-Sicherheitsrat blockierten die USA eine Resolution für eine humanitäre Feuerpause. Brasilien hatte diese als Inhaber der rotierenden Präsidentschaft eingebracht, aber das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht erwähnt. Großbritannien enthielt sich, Frankreich votierte dafür. Auch die Forderung von Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, derzeit Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft, nach einem humanitären Waffenstillstand, war nicht abgestimmt.

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