Klimawandel:32 Regierungen auf der Anklagebank

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Schwere Waldbrände wüteten 2017 in Portugal. Danach verklagten sechs Jugendliche die Staaten des Europarats, die Erderwärmung engagierter zu bekämpfen. (Foto: Patricia De Melo Moreira/AFP)

Verstößt es gegen fundamentale Rechte, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt am Dienstag in drei Fällen und könnte damit Justizgeschichte schreiben.

Von Thomas Hummel

In Straßburg ist der Tag der Klima-Entscheidung gekommen: Werden durch die Erderwärmung Menschenrechte verletzt? Und können deshalb Regierungen verpflichtet werden, die Treibhausgasemissionen ihrer Länder stärker zu senken? Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat angekündigt, an diesem Dienstag um 10.30 Uhr über drei eingereichte Klagen zu entscheiden. Es werden die ersten Urteile des Gerichts zum Thema Klimawandel sein.

Um welche Fälle geht es?

Am meisten Aufsehen erregt die Klage von sechs Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Portugal gegen 32 Staaten des Europarats, darunter die gesamte Europäische Union. Es ist das erste Mal überhaupt, dass sich so viele Regierungen vor einem Gericht verantworten müssen.

Auslöser waren zwei heftige Waldbrände in Portugal im Jahr 2017, bei denen 110 Menschen starben und mehrere Hundert teils schwer verletzt wurden. Mithilfe der Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network (Glan) legten die Geschwister Cláudia, Martin und Mariana Agostinho sowie ihre Freunde Catarina, Sofia und André anschließend Beschwerde gegen alle Länder des Europarats ein, nicht genügend gegen die Erderwärmung zu unternehmen. "Der Klimawandel und der Umstand, dass die Regierungen unsere Zukunft nicht schützen, lösen viele Ängste bei mir aus", erklärt die 19-jährige Sofia dos Santos Oliveira.

Drei der sechs jungen Portugiesen, die die Länder des Europarats verklagen, im September bei der Anhörung des Falls im Straßburger Gericht. (Foto: Frederick Florin/AFP)

Daneben entscheiden die 17 Richterinnen und Richter über zwei Klagen gegen Frankreich und die Schweiz. Einmal führt der grüne EU-Abgeordnete Damien Carême an, seine Heimatstadt Grande-Synthe an der Nordsee sei von 2030 an der erhöhten Gefahr von Überschwemmungen ausgesetzt aufgrund des steigenden Meeresspiegels. Der Verein KlimaSeniorinnen aus der Schweiz führt an, dass die Gesundheit älterer Frauen durch immer stärkere und längere Hitzewellen besonders stark gefährdet sei. Beide Kläger wollen erreichen, dass ihre Regierungen mehr gegen die Erderwärmung unternehmen.

Auf welche Rechte berufen sich die Kläger?

Im Kern geht es um Artikel zwei und acht der Europäischen Menschenrechtskonvention: das "Recht auf Leben" sowie das "Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens". Kommt es vermehrt zu Hitzewellen, Waldbränden, Stürmen oder Überschwemmungen seien Wohnungen nicht mehr sicher, körperliche wie psychische Gesundheit beeinträchtigt.

Die jungen Portugiesen führen zudem Artikel 14 an, demnach werden sie als junge Generation diskriminiert, weil sich die Auswirkungen der Erderwärmung künftig immer stärker zeigten. Sie verweisen auch auf die Konvention der Vereinten Nationen zu Kinderrechten. In Artikel drei steht, dass bei allen Maßnahmen das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen sei.

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Wie verteidigen sich die Staaten?

Mehr als 80 Anwälte haben die 32 Länder des Europarats in den Ring geschickt, um das Verfahren gegen die jungen Portugiesen zu gewinnen. Ihr Ziel: Die Klage sollte nicht zulässig sein. Dafür sprach von Beginn an einiges. Kaum jemand rechnete damit, dass die Straßburger Richter den Fall prioritär behandeln würden, dass sie im vergangenen September zu einer fast historischen Anhörung mit all den beklagten Staaten luden und nun eine Entscheidung treffen wollen.

Die wichtigsten Argumente der Verteidiger: Eigentlich müssen Kläger erst den gesamten nationalen Rechtsweg durchschreiten, bevor sie sich an den EGMR wenden dürfen. Das haben Cláudia und ihre Freunde aber nicht getan, weil das zeitlich wie organisatorisch und finanziell aussichtslos gewesen wäre, wie ihre Anwälte argumentieren. Zudem müssen Kläger bislang im Umweltrecht darstellen, dass sie persönlich mehr betroffen sind als die Allgemeinheit. Was im Klimawandel aber kaum der Fall ist - denn hier sind alle betroffen.

Inhaltlich verteidigten sich die Staaten mit nur einem Argument: Es sei nicht bewiesen, dass die Erderwärmung für gesundheitliche Schäden ursächlich verantwortlich ist.

Welche Urteile werden erwartet?

Für den Gerichtshof stellen die Fälle im Angesicht der Erderwärmung eine enorme Herausforderung dar. Einerseits wäre es ein Leichtes, die Klagen für nicht zulässig zu erklären und damit abzuweisen. Andererseits legt das bisherige Vorgehen der Straßburger Richter nahe, dass sie ein Interesse daran haben, in Fragen der Menschenrechte weiterhin eine leitende Funktion einzunehmen. Die Causa Klimawandel wartet innerhalb der Justiz auf internationale Leitplanken, an denen sich andere Gerichte orientieren können. Ebenso die Frage, inwieweit heutige Generationen die Interessen der Nachgeborenen schützen müssen.

"Ein Erfolg in einem der drei Verfahren wäre das wichtigste Ereignis für den Klimaschutz seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens 2015", sagt Gerry Liston, Anwalt der Portugiesen. Beobachter wie Ole Pedersen, Professor für internationales Recht an der Universität Aarhus, glauben, die Richter könnten zumindest einen Fall inhaltlich bewerten und geben den Klima-Seniorinnen aus der Schweiz dabei die besten Chancen. Für andere ist der Ausgang völlig offen.

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Was wären die Folgen?

Allein am EGMR warten weitere sieben Klagen zum Klimawandel, eine davon durch neun Jugendliche und junge Erwachsene gegen die deutsche Regierung. Und dies dürfte nur die erste Welle von Klimaklagen in Straßburg sein. Auch die aktuellen Rekordtemperaturen weltweit sprechen nicht dafür, dass das Problem verschwindet.

Da die deutsche Gesetzgebung die Europäische Menschenrechtskonvention berücksichtigen muss, hat ein Urteil in Straßburg auch direkte Konsequenzen für die Justiz hierzulande. Erhalten die Kläger in Straßburg Recht, würden die Erfolgsaussichten weiterer Klimaklagen steigen.

Anwalt Liston sagt: "Das Urteil, das wir anstreben, wäre dasselbe wie ein rechtsverbindlicher regionaler Vertrag, der die Länder zwingen würde, ihre Emissionen schnell zu reduzieren", das Gleiche gelte dann für große Unternehmen in Europa in ihrer gesamten globalen Lieferkette.

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