Urteil zum Klimaschutzgesetz:"Für den Klimaschutz ist das ein Ausrufezeichen"

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Sie werde häufig unterschätzt, sagt Svenja Schulze. Sie kann gut damit leben. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Bundesumweltministerin Schulze begrüßt das Karlsruher Urteil zum Klimagesetz. Union und SPD kündigen rasche Reaktionen an - und geben sich gegenseitig die Schuld für Versäumnisse.

In einem geradezu historischen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das deutsche Klimaschutzgesetz kritisiert. Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Spitzenpolitiker und Aktivistinnen äußern sich positiv.

"Für den Klimaschutz ist das erstmal ein Ausrufezeichen", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) nach Bekanntwerden des Urteils. Schulze kündigte an, Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz im Sommer vorzulegen. Versäumnisse sah sie vor allem bei ihrem Koalitionspartner: Sie habe sich immer schon dafür eingesetzt, auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität 2050 auch ein Zwischenziel für 2040 festzulegen. Das sei aber mit CDU und CSU "nicht machbar" gewesen. "Insofern ist das jetzt erst einmal gut, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, da könnt ihr euch nicht wegducken, da müsst ihr klarer auch was vorgeben", sagte Schulze.

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Von Wolfgang Janisch

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) griff Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an und warf ihm eine Blockadehaltung vor: "Immer blinken für große Klimaziele, aber niemals real handeln, sondern immer ganz hart auf der Bremse stehen" - dieses Politikprinzip sei nach dem Urteil nun gescheitert. "Jetzt muss wirklich gehandelt werden - und ich bin bereit das zu tun", kündigte der SPD-Kanzlerkandidat an.

Altmaier sagte, es sei in den vergangenen Jahren einiges angestoßen worden: "Manches kam spät, einiges vielleicht zu spät." Altmaier kündigte an, dass er in den nächsten Tagen über Verschärfungen des Klimagesetzes in der Regierung reden wolle. Er hoffe, dass trotz des Bundestagswahlkampfs Maßnahmen beschlossen und Mittel bereitgestellt würden, sagte der Unionspolitiker.

CSU-Chef Markus Söder nannte das Urteil "wuchtig, aber richtig". Noch nie habe ein Gericht in einer solchen Art und Weise einen Generationenvertrag eingefordert. Söder forderte und versprach eine Generalrenovierung des Bundes- und auch des bayerischen Klimaschutzgesetzes. Man müsse jetzt handeln und dürfe das nicht auf die lange Bank schieben.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) forderte mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz: "Dieses Urteil ist ein klarer Auftrag, dass ambitionierter Klimaschutz überall oben auf der Agenda stehen muss." Das Urteil markiere einen "historischen Moment". Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien Pflicht jeglicher Politik gegenüber den Bürgern von morgen. NRW gehe dafür beim Kohleausstieg voran.

Die Reaktionen der Regierungsparteien fallen überraschend positiv aus - richtet sich das Urteil doch eindeutig gegen ihre Politik. Das Klimaschutzgesetz war ein Projekt der großen Koalition. Ende 2019 wurde es im Rahmen des Klimapakets von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.

"Anlass für einen klimapolitischen Neustart"

Auch die Opposition begrüßte das Urteil. Grünen-Chefin Annalena Baerbock erklärte am Donnerstag: "Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel." Im Falle einer Beteiligung an der nächsten Bundesregierung wolle sie an der Umsetzung des Klima-Urteils mitarbeiten: "Wir werden unser Land auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ausrichten und das Klimaschutzgesetz entsprechend ändern", kündigte sie an.

FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete den Beschluss als "Anlass für einen klimapolitischen Neustart in Deutschland". Man brauche nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase, sagte er der Heilbronner Stimme. Zugleich müsse die Politik aber stärker "auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub" setzen.

Auch die Anhängerinnen und Anhänger der Fridays-for-Future-Bewegung äußerten sich zu dem Urteil. "Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit der Klimaklage, was die Naturwissenschaft seit Jahren zeigt: Aufschieben und unzureichende Klimaziele gefährden nicht nur die Natur, sondern unser Recht auf Leben und das Recht auf Zukunft", erklärte Aktivistin Line Niedeggen.

Das Urteil schaffe Generationengerechtigkeit, so die Einschätzung von Aktivistin Luisa Neubauer. Eine ganz wichtige Verhältnismäßigkeit sei verändert worden, sagte sie am Donnerstag bei einer virtuellen Pressekonferenz. Die junge Generation müsse sich nun nicht mehr als Bittsteller an die Regierung wenden. "Unsere zukünftigen Freiheiten und Rechte sind eben nicht weniger wichtig als die Rechte und Freiheiten der Generation heute."

In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht Teile des Bundes-Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer waren damit zum Teil erfolgreich. Die teils noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter.

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