Personalmangel in der Kinderbetreuung:Krank in die Kita

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Viele Erzieherinnen und Erzieher gehen zur Arbeit, obwohl sie gesundheitlich angeschlagen sind, zeigt eine Studie. Das Personal ist so knapp, dass oft nicht einmal die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden.

Von Moritz Baumann, Berlin

Auf dem Programm wird, durchaus passend, Andreas Kuffner als "Top-Speaker" zum Thema Resilienz angekündigt. Der ehemalige Leistungssportler ist am Donnerstag als Redner auf dem Deutschen Kitaleitungskongress eingeladen, wo er Hunderten Erzieherinnen und Erziehern erklären soll, wie sie trotz Stress und Belastung "Tag für Tag ein hohes Leistungsniveau" erbringen können. Kuffner - erfolgreicher Ruderer, fast zwei Meter groß, Olympiasieger - weiß mit Druck umzugehen. Auf dem Höhepunkt seiner Ruderkarriere jonglierte er zwischen Ingenieurstudium und Trainingseinheiten, morgens: Sprints auf dem Wasser, abends: Uni-Lektüre. Wenig Schlaf.

Das Personal in den Kitas jongliert auch jeden Tag: mit ausgedünnten Dienstplänen, den Erwartungen der Eltern und immer neuen Aufgaben - von Inklusion bis Integration. Und jetzt müssen zusätzlich noch geflüchtete Kinder aus der Ukraine betreut werden, manche womöglich traumatisiert.

Wie groß die Belastung ist, zeigt nun die jüngste Studie, die der Deutsche Kitaleitungskongress (DKLK) zusammen mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) vorstellt. Die Organisationen befragen jedes Jahr Kitaleitungen aus ganz Deutschland. Die Studie, die noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine entstanden ist und an der 5000 Pädagogen teilgenommen haben, zeigt: Mehr als 80 Prozent der Kitaleitungen fühlen sich durch ihre Arbeit psychisch belastet. Jede vierte Kitaleitung ist 2021 an zehn oder mehr Tagen trotz Krankheitssymptomen zur Arbeit gegangen - schlicht um die Kollegen und die Kinder nicht hängen zu lassen. Das fehlende Personal bleibt das zentrale Problem.

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Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann spricht von einer "anhaltend dramatischen Entwicklung". 84 Prozent der Befragten - übrigens zu über 90 Prozent Frauen - geben an, dass sich die Personalnot weiter verschärft hat. Die Erzieherinnen und Erzieher müssten deutlich mehr Kinder betreuen als von der Wissenschaft empfohlen. Für die Kita-Träger werde es immer schwieriger, Bewerber zu finden.

"Ein sich selbst verstärkender Teufelskreis"

Das führt zu Engpässen. Rund 60 Prozent der Kitaleitungen schätzen, dass sie über zwölf Monate hinweg mindestens einen Tag pro Woche in "Personalunterdeckung" arbeiten. Das heißt: Es sind weniger Erzieher da als gesetzlich vorgeschrieben. 16 Prozent sprechen sogar von mindestens drei Tagen pro Woche - eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr.

Eine "Katastrophe" für die Kinder, sagt Beckmann und beschreibt einen "sich selbst verstärkenden Teufelskreis": In den Gruppen fehlen Erzieher, weshalb die Arbeit von Kollegen aufgefangen werden müsse. Die Folge: vermehrte Krankschreibungen. Die Belastung steigt weiter, der Job wird unattraktiver, obwohl Nachwuchs dringend gebraucht wird.

Insbesondere junge Erzieher haben darüber hinaus oft nicht mal das Gefühl, dass ihre Arbeit in der frühkindlichen Bildung wertgeschätzt wird. Von den Kitaleitungen, die jünger als 30 sind, sagen 80 Prozent: Das Vorurteil, Erzieher würden nur spielen, basteln und betreuen, halte sich hartnäckig in den Köpfen.

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In Bayern räumt CSU-Familienministerin Ulrike Scharf einen "großen Fachkräftemangel" ein und setzt angesichts der jüngsten Entwicklungen auf "Pragmatismus". Die Kinder aus der Ukraine, deutschlandweit wohl mehrere Zehntausend, sollen nicht sofort fünf Tage pro Woche in die Kita gehen. "Man muss sich auch so ehrlich machen, dass wir Kitaplätze nicht gerade im Überfluss verfügbar haben", sagte Scharf der Nachrichtenagentur dpa. Ihr Ministerium plant gerade eher mit einer stundenweisen Betreuung in Familienzentren und weiteren "Eltern-Kind-Angeboten".

Die Familienministerin will nun das "Gute-Kita-Gesetz" weiterentwickeln

Vor drei Jahren wollten Union und SPD mit dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz Reformen anstoßen. 5,5 Milliarden Euro machte der Bund locker. Geld, das die Länder bis 2022 abrufen können. Die Bundesregierung verbrenne Milliarden, donnerte die FDP, damals noch Oppositionspartei.

Der Grund für die Kritik: Das Gesetz räumt den Ländern einen weiten Spielraum ein, wofür sie das Geld verwenden können - für einen besseren Personalschlüssel, Investitionen in Gebäude und Ausstattung oder aber: niedrigere Kita-Beiträge. Für Letzteres würden ein Drittel der Mittel verwendet, hieß es 2019 aus dem Familienministerium. Bildungsverbände wie den VBE ärgert das bis heute. Es müsse künftig mehr Geld in Personal und eine Verbesserung der Kita-Qualität investiert werden, betonte Beckmann am Mittwoch.

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Die amtierende Bundesfamilienministerin Anne Spiegel will das Gute-Kita-Gesetz über 2022 hinaus weiterentwickeln. Sie plant bundeseinheitliche Qualitätsstandards für Kitas festzulegen, die unter anderem den Betreuungsschlüssel einschließen sollen. Die Hoffnung ist: mehr Erzieher und kleinere Gruppen. Dann könnten die Leitungen, wenn sie krank sind, auch wirklich zu Hause bleiben - ohne schlechtes Gewissen.

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