Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, Familien mit niedrigem Einkommen stärker zu unterstützen und Kinder aus ärmlichen Verhältnissen zu befreien. Leisten soll dies die Kindergrundsicherung, eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampelkoalition, Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will damit deutlich mehr Geld an ärmere Familien ausschütten. Wird dieses Geld tatsächlich bei den Kindern ankommen? Wird es helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen, in dem Söhne und Töchter ärmerer Familien selbst wieder in ärmlichen Verhältnissen landen?
In diesen entscheidenden Fragen erhält Paus nun Unterstützung von Fachleuten, die am Dienstag auf Einladung der Bertelsmann-Stiftung in Berlin eine Einschätzung lieferten. "Die Geldleistungen kommen bei den Kindern an, es gibt keine systematische Zweckentfremdung der Hilfen, etwa für Fernseher", sagte Holger Stichnoth. Der Professor forscht am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und hat die Verwendung staatlicher Hilfen wie Kindergeld oder Landeserziehungsgeld untersucht. Dieses zahlen fünf Bundesländer an Familien mit niedrigem Einkommen. Stichnoth zufolge sind Väter oder Mütter, welche zusätzliche Hilfe für mehr Alkohol oder Zigaretten verwenden, eher ein Mythos als Realität, auch wenn dies in Einzelfällen vorkomme.
Die Pläne von Familienministerin Paus sehen vor, die bisher vielfältigen staatlichen Hilfen für Familien vom Kindergeld bis hin zum Bürgergeld in einer Kindergrundsicherung zu bündeln. Es soll einen Garantiebetrag für alle geben sowie einen Zusatzbeitrag, der vom Einkommen abhängt. Wer wenig Einkommen hat, soll mehr Geld erhalten. Die von Paus dazu kürzlich vorgelegten Eckpunkte sind umstritten, insbesondere die FDP hatte eingewandt, die Kindergrundsicherung dürfe nicht zu teuer geraten oder Eltern den Anreiz zum Arbeiten nehmen.
Die Wünsche der Kinder mehr berücksichtigen
Sabine Andresen begrüßte die Pläne von Paus, bisher würden die Wünsche von Kindern bei staatlicher Hilfe nicht genug berücksichtigt. "Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche bei ihren Bedürfnissen mitbestimmen können", sagte die Professorin für Sozialpädagogik und Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt und Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes. Kinder sagen, was der Staat für sie finanzieren soll - ist das naiv? Nein, sagt Andresen. "Kinder sind sehr wohl in der Lage einzuschätzen, was wichtig ist."
Laut Andresen decken die bisherigen Hilfen, etwa durch das Bürgergeld, nicht alles ab, was für gute Chancen der Kinder nötig wäre, zum Beispiel einen Internetzugang. Dieser sei jedoch für Hausaufgaben oder andere Bildungsfragen wichtig. "Auch die Kosten für Schulmaterial werden bisher nicht vollständig abgedeckt", sagte Andresen.
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Eine entscheidende Frage allerdings können auch die beiden Forscher bisher nicht beantworten: Hilft es, stärker in Infrastruktur zu investieren wie Kitas und Schulhorte oder können direkte Zahlungen an Familien mehr bewirken? Es ist ein Streit, der Politik und Sozialpolitiker seit Langem beschäftigt und der auch bei der Kindergrundsicherung erneut aufleben dürfte. Immerhin, sagte Stichnoth, habe die Erfahrung aus den USA gezeigt, dass sich mehr Hilfen für ärmere Kinder lohne. Dort hatte Unterstützung im ersten Lebensjahr zur Folge, dass die Kinder bessere Bildungsergebnisse erzielten und später höhere Einkommen - statt erneut auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.