In ganz Deutschland fällt eine Corona-Einschränkung nach der anderen, nun ist eine öffentliche Debatte über eine der umstrittensten Maßnahmen entbrannt: die Maskenpflicht. Reihenweise melden sich seit Samstag Politikerinnen und Politiker zu Wort, die mehr oder weniger rigoros und rasch deren Abschaffung fordern. Auch die Bundesregierung zeigt sich offen dafür. "Bei den fallenden Inzidenzen sollten wir gestuft vorgehen: In einem ersten Schritt kann die Maskenpflicht draußen grundsätzlich entfallen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch seine Kollegin im Justiz- und Familienressort, Christine Lambrecht (SPD), forderte von den Bundesländern zu prüfen, ob die Maskenpflicht "noch verhältnismäßig" sei. Das gelte "auch für die Schulen", sagte sie der Bild am Sonntag.
Die politische Debatte
Am radikalsten in ihren Forderungen sind FDP und AfD - sie würden die Maskenpflicht am liebsten ganz abschaffen. "Bei einer klaren Inzidenz unter 35 darf der Staat gar keine Grundrechte pauschal für alle Bürger einschränken", sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). "Die allgemeine Maskenpflicht müsste daher bei strenger Auslegung des Infektionsschutzgesetzes aufgehoben werden, erst recht draußen." Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD forderte ein "sofortiges Ende dieser Gängelei". Die Maskenpflicht sei gerade bei steigenden Temperaturen ein belastende und unnötige Anordnung.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht sich gegen eine generelle Aufhebung aus. Erst wenn 70 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen das Coronavirus geimpft seien, könne auf die Maskenpflicht auch in Innenräumen verzichtet werden, sagte er im ZDF. Im Freien allerdings könne man sie auch heute schon lockern - da sei sie "nicht mehr sinnvoll".
Die Maskenpflicht sei doch "die geringste Zumutung" und Corona nicht vorbei, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume der Bild. Sein SPD-Kollege Lars Klingbeil sieht das ähnlich. Er glaube, es verlange der Gesellschaft nicht viel ab, wenn man dort, wo man wirklich auf Menschen treffe, weiterhin Maske trüge. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) rät zur Vorsicht: "Wir sollten nicht den Eindruck vermitteln, die Pandemie sei vorbei", sagte er der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.
FDP-Vize Kubicki wiederum prophezeit: Wenn die Politik die Maskenpflicht nicht bald aufhebe, werde sie von den Verwaltungsgerichten dazu gezwungen werden. Zumindest aus den vergangenen Wochen ist jedoch kein entsprechendes Urteil bekannt geworden. Generell wurde im vergangenen Jahr auch die Maskenpflicht immer wieder von Verwaltungs- und Verfassungsgerichten als zulässig bestätigt.
Die geltenden Regeln
Wie nahezu alles in Sachen Infektionsschutz ist auch die Frage, wann und wo welche Art von Maske getragen werden muss, eine Sache der Bundesländer. Und die haben sehr unterschiedliche Regeln, die sich manchmal sogar innerhalb eines Landes unterscheiden. Nur ein Beispiel: In Nordrhein-Westfalen muss seit vergangener Woche auf Spielplätzen keine Mund-Nasen-Bedeckung mehr getragen werden. In Köln aber schon, da der dortige Krisenstab an der Maskenpflicht im öffentlichen Raum festhält, wenn zu befürchten ist, dass die Menschen nicht genug Abstand zueinander halten - zum Beispiel auch in den Fußgängerzonen.
Von solchen Details abgesehen gelten in allen Bundesländern seit gut einem Jahr entsprechende Vorgaben für Teile des öffentlichen Raums, in Geschäften, Bussen, Bahnen, öffentlichen Gebäuden und auch in Betrieben.
Bundesweit einheitlich sind aber nur die Regeln der sogenannten Bundesnotbremse. Sie schreibt für Gegenden mit hohen Infektionszahlen vor, dass in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske getragen werden muss. Diese Regelung ist derzeit aber irrelevant, da keine Kommune eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 aufweist.
Die Lockerungen
Vor knapp vier Wochen erwog die niedersächsische Regierung, bei einem Inzidenzwert von weniger als 35 die Maskenpflicht im Einzelhandel abzuschaffen. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, auch aus der Bundesregierung wurde Kritik laut - und Niedersachsen kassierte den Plan rasch wieder ein. Nun scheint sich das angesichts sinkender Inzidenzwerte und in Erwartung des Sommers allmählich zu ändern. Schleswig-Holstein zum Beispiel hat an diesem Montag die Maskenpflicht vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen abgeschafft. Bayern hat vor einer Woche die Altersgrenze, von der an eine FFP2-Maske getragen werden muss, erhöht; dort heben viele Kommunen wie die Landeshauptstadt München auch in ihren Innenstädten die Maskenpflicht auf. In Nordrhein-Westfalen muss man seit Samstag im öffentlichen Nahverkehr keine FFP2-Maske mehr tragen, es reicht eine sogenannte medizinische Maske (OP-Maske). Das kam offenbar selbst für die Betroffenen überraschend: "Uuuupsss ... Manchmal kommen Lockerungen schneller als gedacht", schrieb der Düsseldorfer Verkehrsbetrieb Rheinbahn am Samstagnachmittag auf Facebook, wies aber sicherheitshalber daraufhin: "FFP2-Masken sind natürlich auch weiterhin gerne gesehen."
Am umstrittensten ist die Frage, wie es mit der Maskenpflicht an den Schulen weitergeht. In Bayern zum Beispiel wollen die Freien Wähler, die auch den Kultusminister stellen, die Maskenpflicht abschaffen. Der Koalitionspartner CSU hält daran fest und hat sich bisher durchgesetzt: Der Landkreis Rhön-Grabfeld in Unterfranken beantragte wegen seiner niedrigen, einstelligen Inzidenz vergangene Woche, dass Grundschüler am Platz und auf dem Außengelände keine Maske mehr tragen müssen. Die Regierung aber genehmigte das nicht.
Die Lage im Ausland
Befeuert wird die Debatte in Deutschland nicht zuletzt durch ein Nachbarland: Dänemark hat an diesem Montag die Vorgabe, eine Maske oder ein Visier zu tragen, für fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens aufgehoben; sie gilt nun nur noch im öffentlichen Nahverkehr, wenn man nicht sitzt. Bis zum 1. September soll die Maskenpflicht ganz fallen. Auch in der Schweiz plant die Regierung, die Maskenpflicht bei der Arbeit und im Freien noch im Juni abzuschaffen.
Die Geschichte der Maskenpflicht
Anders als in Asien, wo OP-Masken Teil des Straßenbilds sind, dachte hierzulande lange keiner an eine Maskenpflicht. Noch Anfang April 2020, Sars-CoV-2 war da schon mehr als zwei Monate im Land, sagte Bundesgesundheitsminister Spahn, Schutzmasken benötige nicht jedermann; die waren seinerzeit allerdings auch noch Mangelware. Dass es keine Maskenpflicht brauche, da seien sich Bund und Länder einig, verkündete der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Als aber bald darauf die Mehrheit der Wissenschaftler ihre Meinung änderte und Masken für jedermann empfahl, schwenkte er als einer der ersten um und führte sie Ende April in Bayern ein - damals noch mit sogenannten Community-Masken aus Stoff. Das war in Deutschland bald der Standard - immer auch verbunden mit der Hoffnung, dass mehr Maskenpflicht weniger Zwangsschließungen von Einrichtungen bedeutet.
Auch im Januar war Bayern ganz vorne mit dabei: Damals verschärfte der Freistaat plötzlich die Pflicht und schrieb vielerorts eine FFP2-Maske vor - deutlich über die Vereinbarungen von Bund und Ländern hinausgehend. Dies wurde auch mit den Mutationen des Coronavirus begründet, die es einzudämmen gelte. Dem aber folgten nicht alle Bundesländer.
Der Nutzen der Masken
Masken verringern das Risiko einer Ansteckung, auch wenn sie der Mund-Nasen-Schutz nicht hundertprozentig verhindern kann. Generell gilt: In schlecht gelüfteten Innenräumen ist das Infektionsrisiko naturgemäß höher als draußen, sodass Masken dort womöglich noch sinnvoll sind, wenn sie draußen längst nicht mehr getragen werden müssen. Wie hoch die Schutzwirkung ausfällt, hängt allerdings von vielen Faktoren ab.
Aerosole bleiben in Innenräumen länger in der Luft, und mit zunehmender Aufenthaltsdauer erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die infektiösen Partikel die oberen Atemwege erreichen und sich in der Schleimhaut festsetzen. Zudem kommt es darauf an, wie sich die Menschen verhalten: Im Schweigekloster oder während des Meditationskurses werden weniger Aerosole ausgestoßen als während einer ausgelassenen Familienzusammenkunft oder einer Chorprobe.
Wer draußen unterwegs ist, auf genügend Abstand zu potenziell Infizierten achtet und nur kurz mit anderen Kontakt hat, der kann sich kaum anstecken. Dazu trägt der ständige Luftaustausch bei. Kommt Wind auf, ist die Luftzirkulation noch größer und das Risiko gleich null. Doch auch hier kommt es auf die Umstände an: Stehen zwei Nachbarn am Gartenzaun in Tuchfühlung beieinander und regen sich eine halbe Stunde lautstark über den ungepflegten Rasen von gegenüber auf, ist ihr Ansteckungsrisiko vermutlich höher als wenn sich zwei schweigsam Lesende in der Bibliothek eine Stunde die Innenluft teilen.
Die genauen Angaben zur Schutzwirkung von Masken lassen sich deshalb auch nur auf den Alltag übertragen, wenn die Bedeckung richtig getragen wird: Dass FFP2-Masken in Tests mindestens 94 Prozent der Aerosole filtern, nützt Trägern und ihrem Gegenüber nicht, wenn der Mund-Nasen-Schutz nur den Mund, aber nicht die Nase bedeckt oder mehrere Finger breit von der Wange absteht. Ähnliches gilt für medizinische Masken, deren Material generell weniger Schutz gegenüber erregerhaltigen Aerosolen als FFP2-Masken bietet.