Nahostkonflikt:Wie Biden Israel zu bremsen versucht

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Ein Senatskollege taufte US-Präsident Biden vor Jahrzehnten als "den einzigen katholischen Juden". (Foto: Thomas Coex /AFP)

Seit dem Überfall der Hamas stellt sich der US-Präsident vorbehaltlos hinter das angegriffene Land. Damit hat er sich dort viel Kredit erworben. Nun versucht er diesen in politischen Einfluss umzumünzen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Kaum war die israelische Armee am Samstag in den Gazastreifen eingedrungen, rief US-Präsident Joe Biden den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu an. Er unterstrich, so viel war zu erwarten, das Recht Israels auf Verteidigung. Aber dann betonte Biden auch die "Notwendigkeit, das auf eine Weise zu tun, die dem internationalen Völkerrecht entspricht und dem Schutz der Zivilbevölkerung Vorrang erteilt".

Das Vorgehen ist beispielhaft dafür, wie Biden seit dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober handelt. Öffentlich stärkt er Israel und Premierminister Benjamin Netanjahu bedingungslos den Rücken. Dafür versucht er, hinter den Kulissen Einfluss zu nehmen auf die Entscheidungen des israelischen Regierungschefs, den Biden schon lange kennt, mit dem er aber eine distanzierte Beziehung pflegte - bis zum Attentat der Hamas. Da entschied sich Biden, sofort nach Israel zu fliegen. Ein US-Präsident reist in ein Land im Krieg, eine bemerkenswerte Geste.

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In vorsichtigen Worten deutet Israels Ministerpräsident eine Vereinbarung mit der Hamas an. Das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt stellt angeblich den Betrieb ein - nach israelischen Angaben lehnte die Hamas eine Treibstofflieferung für das Haus ab.

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Die US-Amerikaner befürchteten ein Fiasko

Als Israel Panzer am Gazastreifen auffahren ließ, spielte Biden auf Zeit. Mehr als sieben Stunden lang löcherte Außenminister Antony Blinken in Tel Aviv Regierungsvertreter über ihren Plan für die Operation in Gaza - und vor allem für die Zeit danach. Die Antworten befriedigten die US-Amerikaner kein bisschen, im Gegenteil: Sie befürchteten ein Fiasko, versuchten, die Israelis von ihrem Vorhaben abzubringen. Das Manöver funktionierte leidlich. Israel marschierte zwar erst jetzt, drei Wochen nach dem Terrorangriff, in den Gazastreifen ein. Davon abhalten ließ sich Netanjahu aber nicht.

Nun, da sich die humanitäre Lage dramatisch zuspitzt, fordert das Weiße Haus die israelische Regierung zunehmend auch öffentlich zu Zurückhaltung auf. Kommentaren dazu, ob Israels Offensive das Völkerrecht verletzen könnte, enthält sich die US-Regierung zwar weiterhin. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater, betonte aber beispielsweise bei CNN, Israel sei durch das Völkerrecht verpflichtet, "zwischen Terroristen und Zivilisten zu unterscheiden und das Leben unschuldiger Menschen zu schützen" - obwohl die Hamas die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbrauche.

Das Weiße Haus bemüht sich offensichtlich, solche Kritik an Israel durchsickern zu lassen. So berichteten US-Medien, die USA hätten in Tel Aviv interveniert, als am Wochenende in Gaza Internet und Telefonnetze ausfielen, die Amerikaner seien überzeugt, dass Israel dahinterstecke.

Als Abrücken von Israel darf die Kritik nicht missverstanden werden. Das hat das Weiße Haus auch militärisch klargemacht. Es hat zwei Flugzeugträgerverbände in die Region entsandt und beschleunigt nun die Waffenlieferungen: Mehr als 80 Militärtransporter sind in den vergangenen Tagen in Israel und Zypern gelandet. Das soll auch die Hisbollah und syrische Kämpfer davon abschrecken, Israel anzugreifen.

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Unter Demokraten häuft sich die Kritik am Präsidenten

Joe Biden hatte sich allerdings nicht nur aus taktischen Gründen so deutlich hinter Israel gestellt. Schon vor Jahrzehnten taufte ihn ein Senatskollege "den einzigen katholischen Juden". Der irischstämmige Katholik bezeichnet sich selbst als jüdischen Nationalisten: "Ein Zionist muss nicht Jude sein." Prägend dafür war sein Vater: Er habe beim Abendessen oft über die Gräuel der Shoah gesprochen. Biden war davon so tief beeindruckt, dass er später darauf bestand, mit seinen Söhnen und nun mit seinen Enkeln das frühere Konzentrationslager Dachau zu besichtigen.

Nun nutze Biden die enge Beziehung zu Israel, sagte Blinken der New York Times: "Weil der Präsident über derart viele Jahre so viel Glaubwürdigkeit mit den Israelis und mit der jüdischen Gemeinschaft hier aufgebaut hat, kann er sehr direkte und manchmal sehr harte Gespräche führen, die anderen schwerer fallen würden."

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Allerdings häuft sich unter Demokraten die Kritik, dass der Präsident seinen Einfluss nicht genügend geltend mache. Eine Gruppe von zwölf Senatoren, darunter der Außenpolitiker Chris Murphy aus Connecticut, forderten ihn auf, Israel stärker zur Mäßigung anzuhalten. "Wenn Amerika für einen großen Teil dieses Kriegs bezahlt, dann müssen wir auch über den Plan für diesen Krieg reden", schrieb Murphy auf X (vormals Twitter). Zunächst aber müsse Biden mit den UN und Ägypten dafür sorgen, dass wieder Treibstoff nach Gaza gelange.

Biden rief am Sonntag den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi an, um über Hilfslieferungen zu reden. Am Sonntag erreichten mindestens 33 Lastwagen das abgeriegelte Gebiet, so viele wie noch nie seit Beginn des Kriegs. Aber das ist noch immer nur ein Bruchteil der 500 Lastwagen täglich, die den Gazastreifen davor versorgt hatten.

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