Jamaika-Koalition:Erste Schritte auf dem Weg nach Jamaika

Lesezeit: 4 min

Eine Regierung mit Union, FDP und Grünen zu bilden, dürfte schwierig werden. Wolfgang Kubicki hat in Schleswig-Holstein bereits Erfahrungen mit einer Jamaika-Koalition. Das wichtigste, meint er: Nicht nur die eigenen Grenzen kennen, sondern sich auch die des Gegenübers bewusst zu machen. (Foto: Peter Endig/dpa)

Bisher verbindet Liberale und Grüne herzlich wenig. Umso vorsichtiger verlaufen am Montag die Versuche einer öffentlichen Annäherung.

Von Michael Bauchmüller und Stefan Braun

Gleicher Ort, gleicher Tag, fast die gleiche Zeit: Als die Grünen am Montagmittag in der Bundespressekonferenz Platz nehmen, sind ihre Stühle noch warm, weil die FDP auch schon da war. Es ist Tag eins nach der Bundestagswahl. Und natürlich wollen die Journalisten nun wissen, ob das klappen könnte mit den zwei Parteien, die sich bislang vor allem kritisiert haben, aber jetzt zusammenfinden sollen.

Also kommt Christian Lindner, der FDP-Chef, mit seiner Generalsekretärin Nicola Beer und Parteivize Wolfgang Kubicki; und kurz darauf folgen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, die zwei Spitzenkandidaten der Grünen. Wenn es eine Jamaika-Koalition geben soll, müssen die beiden nicht nur den schweren Brocken CSU ertragen; sie müssen künftig auch miteinander klarkommen. Dass das nicht einfach sein wird, zeigt sich schnell. Prinzipientreu sein und alles an den Inhalten festmachen - das wollen die einen wie die anderen. Lindner betont das immer wieder, und die Grünen wiederholen es später genauso häufig.

Erfolg der Rechtspopulisten
:Jetzt ist es Zeit für Jamaika

Nach dem erschreckend starken Abschneiden der AfD muss die Mitte Stärke zeigen. Neues Denken ist nötig: Union, Grüne und FDP sollten couragiert sein und die nächste Regierung bilden.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Özdemir sagt auf die Frage, ob sie zusammen kommen: "Das hängt an den Inhalten, nichts anderem." Lindner klingt kaum anders, als er betont, dass allein die Umsetzung der eigenen Ziele über eine Koalition entscheiden werde. "Wir lassen uns nicht in eine Regierung zwingen", sagt der FDP-Chef - ein Satz, den die Grünen sinngemäß ganz ähnlich von sich geben. Gleichzeitig spürt man hier wie dort das Bemühen, es mit den eigenen Prinzipien nicht zu weit zu treiben: Sie sollen nicht gleich am Anfang alle Gesprächsversuche zerstören. Wie weit es also gehen soll, wo Schluss sein könnte oder was unvorstellbar wäre - darauf geben beide Seiten keine eindeutige Antwort. Dabei ist klar, dass es gefährliche Bruchstellen geben dürfte: Die FDP will Steuern senken, die Grünen für eine Vermögenssteuer eintreten; die FDP will die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären, was die Grünen strikt ablehnen. Die Grünen erklären den Klimaschutz zur Maxime, die FDP die Marktwirtschaft. Ein Drahtseilakt zeichnet sich ab, der äußerst kompliziert werden dürfte. Und eine Aufgabe, in die der Liberale Lindner erheblich bequemer startet als seine Vielleicht-bald-Partner.

Lindners Partei nämlich kommt aus dem Nichts. In seiner Führung gibt es keine alten Ränkespiele und keine Auseinandersetzungen um die künftige Linie. Die Niederlage im Jahr 2013 erweist sich heute für ihn als Segen: Er ist unumstritten an der Spitze. Kein Mensch fragt ihn, wer denn nun die Verhandlungen führen werde. Und um sich herum hat er eine Partei und eine Organisation, in der nur Leute sitzen, die mit ihm am selben Strang ziehen. Selbst der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki, einst einer der wirkungsvollsten Intriganten, zählt ganz ernsthaft zu Lindners loyalen Mitstreitern. Er ist für den 38-Jährigen sogar besonders wertvoll, weil er in der Jamaika-Koalition in Kiel schon Erfahrungen mit den Grünen gesammelt hat, die Lindner bislang abgehen.

Ganz anders ist die Ausgangslage bei den Grünen. Zweistellig wollten sie werden, dritte Kraft im Parlament wollten sie sein, und sie wollten deutlich über dem Ergebnis von 2013 liegen. Aus alldem ist nichts geworden. "Wir haben viele unserer Wahlziele verfehlt", muss Göring-Eckardt einräumen. Dennoch werde sich die Partei nun ihrer Verantwortung stellen.

Der Inhalt konnte nicht geladen werden.

Doch was selbstbewusst klingen soll, könnte in der Partei selbst schwer werden. Wenn eine Koalition mit Union und FDP gelingen soll, dann reicht es nicht, wenn Özdemir und Göring-Eckardt die an ihrer Seite haben, die sowieso wie sie denken. Im Gegenteil, sie werden die Linken im eigenen Laden noch viel mehr brauchen, um Brücken zu bauen zu jenem Teil der Basis, für den eine Koalition mit der einst verhassten FDP schier undenkbar ist. Am Montagabend stellen die Grünen das Verhandlungsteam vor, mit dem sie in die Sondierungen gehen wollen - nachdem sie noch am Mittag partout keine Namen preisgeben wollten: 14 Männer und Frauen, darunter auch Jürgen Trittin, der prominenteste Vertreter des linken Parteiflügels. Auch Winfried Kretschmann wird dabei sein, Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Parteichefin Simone Peter ebenso wie ihre Vorgängerin Claudia Roth. Letztere gelten als Vertreterinnen des linken Flügels, genauso wie Fraktionschef Anton Hofreiter. Özdemir und Göring-Eckardt wissen: In der Linken gärt es, seitdem mit ihnen beiden per Urwahl zwei Realos zu Spitzenkandidaten wurden. Dass da was droht und nach einer klugen Lösung verlangt, dürften die beiden seit Langem ahnen. Umso wichtiger ist deshalb die Balance im Verhandlungsteam. "Das zeigt, dass wir als Gesamtpartei geschlossen sehr ernsthaft und verantwortungsvoll in die anstehenden Gespräche gehen wollen", sagt Göring-Eckardt am Abend der Nachrichtenagentur dpa. Alles weitere soll ein kleiner Parteitag am kommenden Samstag beschließen.

Man müsse jederzeit bereit sein, nicht zu regieren, rät der Grüne Robert Habeck

Und so ist die Ausgangslage sehr unterschiedlich. Sie wird nur dadurch ein klein wenig besser, dass beide Seiten schon Erfahrungen mit der jeweils anderen Partei gesammelt haben. In Rheinland-Pfalz regieren FDP und Grüne mit der SPD; in Schleswig-Holstein haben sie eine Koalition mit der CDU geschlossen. Vor allem die Landesregierung in Kiel könnte nun ein bisschen Geburtshilfe leisten. "Wir müssen selbstbewusst verhandeln", empfiehlt Robert Habeck, grüner Umweltminister und stellvertretender Regierungschef in Kiel. "Und das kann man nur, wenn man jederzeit auch bereit ist, nicht zu regieren." In Schleswig-Holstein sei dies das Erfolgsrezept gewesen.

Auch er verhandelt mit. Wolfgang Kubicki, Habecks Partner in Kiel, dürfte das ähnlich sehen. Am Montag freilich betont der FDP-Parteivize, dass neben den klaren eigenen Linien noch etwas zweites unverzichtbar sei: Verständnis für die Schmerzpunkte der anderen Seite. Die Kunst bestehe darin, nicht nur die eigenen Grenzen zu kennen, sondern sich auch die des Gegenübers bewusst zu machen. Zur Vertrauensbildung. Es ist der Moment, in dem man ahnt, dass immerhin einer weiß, worauf es ankommt.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nach der Wahl
:Für die SPD ist Opposition nicht Mist, sondern Muss

Deutschland war zuletzt ein Land ohne Opposition, die AfD ist die Quittung. Jetzt braucht es eine demokratisch erfahrene Gegnerin der Regierung: die SPD.

Kommentar von Heribert Prantl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: