Nach der Wahl:Für die SPD ist Opposition nicht Mist, sondern Muss

Bundestag

Aussicht nach oben - die sonnendurchflutete Kuppel des Deutschen Bundestages in Berlin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Deutschland war zuletzt ein Land ohne Opposition, die AfD ist die Quittung. Jetzt braucht es eine demokratisch erfahrene Gegnerin der Regierung: die SPD.

Kommentar von Heribert Prantl

Im Wort Verantwortung steckt das Wort Antwort. Es kommt zwar vor, dass man sich selbst antwortet, also mit sich selbst redet. Aber wer viel mit sich selber redet, gilt schnell als Sonderling. Für gewöhnlich antwortet man nicht sich selbst, sondern anderen Menschen. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat das sofort nach der krachenden Wahlniederlage seiner Partei in größtmöglicher Öffentlichkeit getan: Er hat erklärt, dass seine Partei in die Opposition geht. Das war und ist wichtig für die SPD, das ist richtig für das Land. Deutschland war zuletzt ein Land ohne Opposition; die AfD ist die Quittung.

Gute Politik folgt dem Satz: Erst das Land, dann die Partei. Genau dieser Satz wirbt für die SPD als Oppositionspartei - weil eine kraftvolle Opposition überlebenswichtig für ein Land ist. Das Land braucht eine demokratisch erfahrene Opposition. Die AfD ist es nicht; die SPD ist es.

Vielleicht hätte Schulz auch mit sich selber reden sollen

Die Oppositionserklärung des Parteivorsitzenden war nicht nur ein schnelles, sondern auch klares Wort - so glasklar, dass die SPD dahinter kaum mehr zurück kann, auch dann nicht, wenn die Regierungsbildung von Angela Merkel sich als sehr schwierig oder gar unmöglich erweist; die SPD kann nicht erst stolz den Weg in die Opposition antreten und dann die Kurve kratzen, um den Gebrechlichkeitspfleger einer Regierung Merkel zu spielen.

Aber vielleicht hätte Schulz vor seiner Oppositionserklärung doch auch mit sich selbst reden sollen - darüber, ob er nach der desaströsen und historischen Niederlage wirklich Parteivorsitzender bleiben kann und soll. Die von ihm nun verkündete Aufspaltung von Partei- und Fraktionsvorsitz macht eine Oppositionspartei nicht schlagkräftiger.

Sogleich nach der Oppositionsankündigung ist gefragt worden, ob sich die SPD nicht damit ihrer demokratischen Verantwortung entziehe. Das ist eine merkwürdige Frage, weil sie davon ausgeht, dass demokratische Verantwortung sich nur in der Regierung manifestiert. Das ist falsch, grundfalsch: Die parteienstaatliche Demokratie ist auf eine effektive Opposition angewiesen. Wohin es führt, wenn eine Opposition schwach ist, zeigt sich gerade im Ergebnis der Bundestagswahl; es zeigt sich 2017 noch viel krasser, als es sich bei allen großen Koalitionen bisher in der Geschichte der Bundesrepublik gezeigt hat.

Große Koalition gebiert außerparlamentarische Opposition. Und diese APO kann dann - siehe AfD - parlamentarisch werden. Die 12,6 Prozent AfD sind Ergebnis eines massiven oppositionellen Defizits in der vergangenen Legislaturperiode. Eine starke Opposition ist in der Demokratie nicht Mist, sondern Muss. Die SPD hat es sich mit dem Mist-Sprüchlein ihres frühren Vorsitzenden Franz Müntefering zu lange in der Regierung bequem gemacht - erst im Kabinett Merkel I, dann im Kabinett Merkel III. Das reicht. Merkel mag es gut tun, mit der SPD zu regieren; der SPD hat es nicht so gut getan.

Das bedeutet freilich nicht, dass eine in der Regierung schwach gewordene Partei in der Opposition automatisch wieder erstarkt. Auf Stärkung in der Opposition etwa hat die SPD zu Zeiten des Kanzlers Kohl und des Oppositionsführers Rudolf Scharpring vergeblich gewartet. Die Politik, die die Sozialdemokraten damals boten, war so dürftig, dass die einschlägigen Papiere nicht einmal mehr raschelten. Erst der Vorsitzende Lafontaine hat die Partei dann wieder aufgepumpt und stark gemacht. Auch die Oppositionszeit der SPD von 2009 bis 2013, während des Kabinetts Merkel II, waren nicht eben Jahre der sozialdemokratischen Ertüchtigung. Es waren Jahre, in denen die Partei lernte, sich so klein zu machen, dass sie dann 2013 wieder unter der Tür von Merkel durchkriechen konnte.

Die SPD ist eine geschichtsträchtige Partei. Es gibt die Phasen in ihrer Geschichte, die der SPD bis heute zeigen können, wie man aus der Opposition heraus Geschichte macht: Helmut Schmidt hat das gern am Beispiel seines politischen Lehrers Fritz Erler beschrieben, ohne den das Godesberger Progamm der SPD, ohne den Brandts Ostpolitik, die Helsinki-Schlussakte und die ersten Abrüstungsverträge zwischen Ost und West nicht denkbar gewesen wären. Erler hat dafür gesorgt, dass die Bundesrepublik eine funktionierende Demokratie wurde. Er hat gezeigt, dass man ein Staatsmann ohne Amt sein kann. Vielleicht gibt es in der SPD ein paar Leute, die das noch können.

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