Italien wird von einer Drei-Parteien-Koalition geführt, und dass die Partner sich da nicht immer einig sind, können die Deutschen mit Blick auf ihre "Ampel" ja vielleicht besonders gut nachvollziehen. Allerdings funktioniert das italienische Modell unter der jungen, aber taktisch versierten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bisher ziemlich gut. Die Koalition arbeitet, trotz mitunter sehr unterschiedlicher Auffassungen, und ihre Zustimmungswerte sind nicht in den Keller gerauscht.
So ist es auch nicht weiter dramatisch, dass die Europaparlamentarier der drei Regierungsparteien zum Asylkompromiss in Brüssel unterschiedlich abgestimmt haben. Die rechtspopulistische Lega unter Scharfmacher und Vizepremier Matteo Salvini stimmte gegen mehr als die Hälfte der Gesetzesvorhaben - anders als die rechtskonservative einstige Berlusconi-Partei Forza Italia, deren Chef der italienische Außenminister und Europafreund Antonio Tajani ist. Auch Melonis eigene Partei, die postfaschistischen Fratelli d'Italia, nickte sieben von neun Maßnahmen ab - obwohl doch die EKR-Fraktion, in der Meloni den Ton angibt, den Asylkompromiss mehrheitlich ablehnt. Alles klar so weit?
Muss es gar nicht sein, am Ende zählt für die praktische Politik der Republik Italien auf europäischer Ebene sowieso nur, was Georgia Meloni denkt und tut. Die 47-Jährige macht, entgegen aller ihrer Ankündigungen im Wahlkampf, Italien um jeden Preis abschotten zu wollen, eine ziemlich pragmatische Asylpolitik. Damit ist sie gegenwärtig auch nach Brüsseler Einschätzung die treibende Kraft in der EU-Asylpolitik.
So gehen die neuen EU-Abkommen mit Ländern wie Tunesien, Libyen und Ägypten maßgeblich auf Meloni zurück, in denen sich die Ausgangsstaaten gegen das Versprechen auf Kooperation und Milliardenhilfe verpflichten, die Migration einzudämmen. Meloni hält demonstrativ engen Kontakt mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), mit der sie sich, obwohl politisch in unterschiedlichen Lagern, gut versteht.
Kein anderes EU-Land erlebt die Migration vergleichbar direkt. Die zu Italien gehörende kleine Insel Lampedusa liegt nahe vor der afrikanischen Küste. Viele Menschen wagen, von Schleppern verführt, auf häufig verrosteten, offenen und nicht hochseetauglichen Kähnen die Überfahrt dorthin. Gerade erst ist wieder ein Boot mit mehr als 40 Menschen an Bord südöstlich von Lampedusa in internationalen Gewässern gekentert, die Rede ist von neun Toten und 15 Vermissten. Die Wellen sollen 2,50 Meter hoch gewesen sein. Die italienische Küstenwache bemüht sich, Menschen zu retten. Kritik kommt trotzdem von privaten Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer mit eigenen Schiffen unterwegs sind. Sie werfen der Regierung vor, die Rettung von Menschen in Seenot zu behindern, indem sie die Schiffe der Organisationen in Häfen festhalten.
Vom kommenden Monat an will Rom Bootsflüchtlinge direkt in Lager nach Albanien schicken, ein Land, das nicht der EU angehört. Es ist ein auch in Italien umstrittenes Vorhaben, aber für Meloni aus der Not geboren. Denn auch wenn sich die Zahl der Bootsflüchtlinge im ersten Vierteljahr gegenüber dem Vorjahr halbiert hat - es wurden rund 13 000 Menschen registriert -, klagen noch immer Bürgermeister und Kommunalvertreter, dass sie mit der Unterbringung nicht nachkommen.