Wenn zwei Staaten ihrer Beziehung neuen Elan geben wollen, schließen sie gemeinhin mit Pomp einen Vertrag und erfinden dafür einen griffigen Titel. Als Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Freunde werden wollten, fuhr Kanzler Konrad Adenauer 1963 nach Paris, um mit dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag zu unterzeichnen.
Als ihre Nachfolger Angela Merkel und Emmanuel Macron die Beziehungen erneuern wollten, schlossen sie 2019 den Vertrag von Aachen. Als Macron dann auch mit Italien enger werden wollte, unterzeichnete er in Rom den nach dem Palast des italienischen Präsidenten benannten Quirinal-Vertrag, und die Kunstflugstaffeln beider Länder zeichneten die Nationalfarben in den Himmel.
Vereinbart Berlin mit Rom bloß einen Aktionsplan, um Paris nicht zu verärgern?
Derart bella figura zu machen, ist das Ding der Ampelkoalition unter Olaf Scholz ausdrücklich nicht. Als der Kanzler Ende 2021 zum Antrittsbesuch beim damaligen Ministerpräsidenten Mario Draghi auftauchte, verabredeten die beiden einen Impuls auch für ihre bilateralen Beziehungen - aber das sollte auf deutschen Wunsch nur ein "Aktionsplan" werden. Rom hätte gerne mehr gehabt, verzichtete aber darauf zu insistieren.
Mit Aktionsplänen hat die Bundesrepublik Erfahrung, sie hat solche mit zahlreichen - allerdings eher kleineren - Staaten abgeschlossen, von der Schweiz bis Portugal. Ein solcher Aktionsplan, heißt es in Berlin, sei flexibel, er könne jederzeit geändert und fortgeschrieben werden und brauche nicht immer gleich die Zustimmung der Parlamente.
Man hört allerdings auch, Berlin wolle Paris nicht verärgern, die Beziehung dorthin sei eben doch noch ein wenig wichtiger als die mit Rom. Genau das wiederum beklagen italienische Gesprächspartner: dass sie im Vergleich zu Frankreich unverdientermaßen immer nur die zweite Geige spielten.
Nach dem Wahlsieg der Rechten in Italien waren die Beziehungen eher nüchtern
Jedenfalls: Als die italienische Regierung vor einem Jahr wechselte und eine sehr rechte Dreier-Koalition unter Giorgia Meloni an die Macht kam - deren Akteure im Wahlkampf heftig gegen Deutschland zu Felde gezogen waren -, schienen beide Seiten erst einmal ganz froh zu sein, dass die Beziehungen recht nüchtern waren.
So blieb es beim Aktionsplan, der nun fertig ist und an diesem Mittwoch im Rahmen eines kleinen Programms in Berlin unterzeichnet und veröffentlicht werden wird. Dazu und zu weiteren Gesprächen kommt Meloni mit einigen Ministern an die Spree.
Das Abkommen wird, so hört man, gut 20 Seiten lang sein und nach einem grundsätzlichen Teil konkrete Kooperationen verabreden. So soll es ein Zwei-plus-zwei-Format geben zum Thema Sicherheitspolitik: die beiden Außen- und Verteidigungsminister im regelmäßigen Dialog.
Auch für den wirtschaftlichen Austausch wird es ein Forum geben und eines für die industrielle Kooperation. Gemeinsam will man Klima- und Energiefragen angehen. Ein wichtiges Thema wird sein, wie beide Staaten grünen Wasserstoff aus Nordafrika beziehen können.
Zwischen Scholz und Meloni stimmt die Atmosphäre sogar beim Thema Migration
Ein ausdrückliches Jugendwerk wie damals beim Élysée-Vertrag wird es nicht geben, das würde auch nicht zum Ansatz der Ampelkoalition passen, denn sie will den Kulturaustausch mit Italien zugunsten von Projekten anderswo in der Welt eher zurückfahren. Gerade erst sind die Mittel für die Goethe-Institute in Italien gekürzt worden, einige Standorte werden schließen müssen. Proteste dagegen prallen an der Ampelkoalition ab.
Generell aber seien die Beziehungen gut, betonen Berlin und Rom unisono, selbst in der Migrationspolitik hätten Scholz und Meloni atmosphärisch zusammengefunden. Hier vermisst Rom häufig die Unterstützung Deutschlands im Kampf gegen die vielen Flüchtenden, die über das Mittelmeer kommen, und Deutschland moniert, dass Italien weitergereiste Migranten entgegen der Rechtslage nicht wieder zurücknimmt.
Den größten Störenfried hier nimmt Meloni gar nicht erst mit nach Berlin: Da ja nicht über Verkehrsprojekte gesprochen werde, sei der dafür zuständige Minister und Vizekanzler Matteo Salvini nicht vonnöten; das fügt sich also gut.
Scholz und Meloni haben sich insbesondere auf EU-Ebene gut angenähert. Sie sind fest entschlossen, bei der diskutierten Erweiterung der EU Richtung Balkan ebenso gemeinsam aufzutreten wie bei der Anpassung der Strukturen einer sich vergrößernden Union - sie wollen etwa mehr Mehrheitsentscheide auch in wichtigen Fragen.
Auf dem virtuellen G-20-Gipfel sollen beide gemeinsam auftreten
Für die Zusammenarbeit gibt es in Italien viel Zustimmung. Der Titel "Aktionsplan" sei zwar "ziemlich technisch", sagt beispielsweise die Oppositionspolitikerin Laura Garavini, die früher im römischen Parlament für die italienisch-deutschen Beziehungen zuständig war: "Ich hätte mir den Mut gewünscht, dass man es als das bezeichnet, was es sein soll: ein Freundschaftsvertrag." Davon abgesehen sei es aber positiv, dass Deutschland und Italien enger zusammenrückten.
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Obwohl sie die rechte Regierung kritisch sehe, sei es positiv, dass diese die unter Draghi begonnene Zusammenarbeit erfolgreich fortsetze. Es habe in den vergangenen Jahrzehnten "viele Schwierigkeiten zwischen beiden Ländern gegeben. Es ist gut, dass es jetzt einen gemeinsamen Plan gibt, wie man besser kooperiert, zum Vorteil beider".
Zufällig ebenfalls an diesem Mittwoch findet ein virtuelles Treffen der G-20-Staaten statt; erstmals wieder wird auch Russlands Präsident Wladimir Putin zugeschaltet. Scholz und Meloni wollen nach derzeitiger Planung im Berliner Kanzleramt gemeinsam in eine Kamera schauen - das wäre dann ein schönes Zeichen der neuen Nähe.