Türkischer Astronaut:Erdoğans Sternstunde

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Die Internationale Raumstation "ISS", wie sie im Jahr 2021 der Nasa-Astronaut Thomas Marshburn mit der Erde im Hintergrund fotografiert hat. (Foto: Nasa/dpa)

Auf der "ISS" hängt jetzt die türkische Flagge, davon hat sich Recep Tayyip Erdoğan bei einem Videoanruf überzeugt. Platziert hat sie dort Alper Gezeravcı, der erste Türke im All. In der Heimat sind sie - fast - alle stolz auf ihn.

Von Raphael Geiger

Vor ein paar Tagen hat Recep Tayyip Erdoğan im Weltraum angerufen. Der türkische Präsident hat im Leben einiges erreicht, eine Leitung zur ISS, zur Internationalen Raumstation, gehörte bisher nicht dazu. Nun aber nahm dort, 400 Kilometer über Ankara, ein Mann namens Alper Gezeravcı ab, seit dem vergangenen Wochenende der erste Türke im All.

Es war ein Videoanruf, sie konnten einander sehen, der am Boden gebliebene Präsident und der Astronaut. Letzterer hielt mit der einen Hand ein Mikrofon, mit der anderen hielt er sich fest, damit er nicht davonflog. Im Hintergrund war die ISS mit einer türkischen Fahne beflaggt. Er sei stolz, sagte Erdoğan. Gezeravcı sei vielleicht der Erste, "sicher aber nicht der Letzte".

Viel Patriotismus passte in den Anruf. Erdoğan schwärmte, die Türkei spiele jetzt "in einer Liga mit anderen Ländern, die Weltraummissionen absolviert haben". Und Gezeravcı dankte dem Präsidenten für seine "Führung", deretwegen "die Zukunft der Türkei am Himmel gesichert" sei. Es beginne jetzt "das Jahrhundert der Türkei". Das sagt Erdoğan auch öfter.

Gezeravcı ist mit einer Mission des US-Raumfahrtunternehmens Axiom unterwegs, er hat dafür bei der Nasa trainiert. Früher war er Pilot bei der türkischen Luftwaffe und bei Turkish Airlines. Die ersten Worte, mit denen er sich von der ISS meldete, stammen von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der Republik: "Die Zukunft liegt im Himmel."

Nicht alle sehen den teuren Ausflug ins Weltall positiv - angesichts einer horrenden Inflation

Der Astronaut ist einer, der im Leben immer nach den Sternen gegriffen hat. Sehr nach dem Geschmack Erdoğans, der das Land zur Technologienation machen will, dessen Schwiegersohn Drohnen baut und Techfestivals veranstaltet. In einer Liga mit den Großen zu spielen, das ist Erdoğan am wichtigsten. Nichts soll es geben, was die Türkei nicht selbst kann.

Blöd nur, dass viele ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht das Gefühl haben, es sei ihnen alles möglich. Während Alper Gezeravcıs Ticket ins All wohl 55 Millionen Dollar gekostet hat, verdoppeln sich in der Türkei die Preise. Bei 127 Prozent sieht ein Institut aktuell die Inflation. Nach den Sternen zu greifen, bedeutet für die meisten Türkinnen und Türken, sich einen Job im Ausland zu suchen, davon erzählen die Einwanderungszahlen in Deutschland oder in den USA. Keine Zeiten, in denen man sich geschlossen darüber freut, ein paar Millionen in die Luft zu schießen. Keine Schwerelosigkeit, nirgends.

So sind die einen stolz, die anderen freuen sich über eine Gelegenheit zum Sarkasmus. Auf Tiktok teilen sie KI-generierte Bilder, da grillt der Türke in der ISS einen Fleischspieß, daneben ein Teeglas, die Raumstation ist mit Orientteppichen ausgelegt, und einmal kommt ein Alien zum Tavla-Spiel vorbei, dem türkischen Backgammon.

Präsident Erdoğan jedenfalls sah wie ein staunender Junge aus, als sein Videocall mit Alper Gezeravcı zu Ende ging. Präsident und Astronaut winkten sich zu, der Astronaut ließ los und schwebte sogleich in die Luft. Bisschen wie Batman, schrieb jemand in den sarkastischen Niederungen des türkischen Internets. Für Erdoğan vielleicht auch mal eine schöne Abwechslung, zu jemandem aufzuschauen.

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