Nahost:Israel gibt erste Einblicke in Kriegspläne

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Schwerpunkt der Luftangriffe ist der Norden des Gazastreifens. Doch Israel bombardiert auch immer wieder Stellungen der Hamas im Süden, wie hier in Rafah. Dabei wurde am Samstag dieses Haus getroffen. (Foto: Hatem Ali/AP)

Der Verteidigungsminister spricht von drei Phasen. Zunächst wolle man das Hamas-Regime zerstören. Danach sollen andere in Gaza für Sicherheit sorgen. Wer das sein könnte, ist offen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Zu Beginn der dritten Kriegswoche stehen die Zeichen in Nahost weiter auf Eskalation. Israels Luftwaffe hat die Angriffe auf den Gazastreifen noch einmal verstärkt und obendrein in der Nacht zum Sonntag in einem höchst ungewöhnlichen Schritt auch ein Ziel in Dschenin im Westjordanland bombardiert. Im Norden an der Grenze zu Libanon hält die von Iran gesteuerte Hisbollah mit dosierten Angriffen die Angst vor einer zweiten Front wach. Die USA reagieren auf eine mögliche Ausweitung des Kriegsschauplatzes mit einer Verlegung weiterer Waffensysteme ins östliche Mittelmeer. Immerhin einen Lichtblick aber hat es inmitten der düsteren Kriegsszenarien gegeben: Die Hamas ließ die ersten beiden Geiseln aus dem Gazastreifen frei: eine Mutter und ihre 17-jährige Tochter mit US-Pässen.

Einem israelischen Militärsprecher zufolge sollen die intensiven Luftangriffe auf Gaza, denen nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums inzwischen fast 4500 Menschen zum Opfer gefallen sind, "die besten Bedingungen für die nächste Phase des Kriegs" schaffen. Dies wird als weiteres Indiz für eine bald beginnende Bodenoffensive gesehen.

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Verteidigungsminister Joav Gallant gab am Wochenende erstmals Einblick in Israels längerfristige Kriegsplanung. Demnach sollen die Luftangriffe und die erwartete anschließende Invasion mit Bodentruppen nur die erste von insgesamt drei Phasen sein. Zum Ende dieser ersten Phase soll das Hamas-Regime im Gazastreifen zerstört sein. Danach, so heißt es, werde es in Phase zwei noch weiter Kämpfe mit niedrigerer Intensität geben, um verbliebene Zellen des Widerstands zu beseitigen.

In Phase drei will Israel dem Verteidigungsminister zufolge eine "neue Sicherheitsrealität" rund um Gaza schaffen und Israels Verantwortung für die im Küstenstreifen lebenden 2,2 Millionen Palästinenser komplett abstreifen. Wer dann dort das Vakuum füllen soll, lassen die israelischen Pläne offen. Infrage kämen die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas oder auch die Vereinten Nationen, die für eine Übergangsphase eine Art Protektorat errichten könnten.

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Am Sonntag kam ein zweiter Hilfskonvoi an die Grenze

Indes haben die ersten Hilfslieferungen in den Gazastreifen die humanitäre Lage nur wenig verbessern können. Nachdem bereits am Samstagmorgen 20 Sattelschlepper über den ägyptischen Grenzübergang Rafah Lebensmittel, Medikamente und Wasser zu den notleidenden Menschen gebracht hatten, folgte am Sonntagabend ein Konvoi mit 17 Wagen. Dies jedoch reicht bei Weitem nicht aus zur Versorgung der Bevölkerung. Die Vereinten Nationen warnen vor einer Katastrophe und schätzen, dass mindestens 100 Lastwagenladungen pro Tag nötig sind, um den Mindestbedarf zu decken. UN-Generalsekretär António Guterres fordert - wohl ohne Aussicht auf Erfolg - einen "humanitären Waffenstillstand", um Hilfslieferungen in größerem Stil zu ermöglichen.

Ein Einzelfall ist bislang die Freilassung zweier US-Amerikanerinnen aus Geiselhaft am Freitagabend geblieben. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sprach zwar von einem "kleinen Funken Hoffnung auch für andere". Die Dimension dieses Dramas wird jedoch allein dadurch deutlich, dass nach der Freilassung dieser beiden Frauen trotzdem die offizielle Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gestiegen ist. Nach neuen Erkenntnissen geht Israels Armee nun von 212 Geiseln aus, mindestens.

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Die Hamas hat mit der Freilassung gewiss ein paar Punkte sammeln wollen, vor allem gegenüber den Geldgebern aus Katar, die als Vermittler in der Geisel-Frage aktiv sind. Zudem hoffen die Hamas-Anführer womöglich darauf, dass Signale zur Freilassung von Geiseln mit ausländischen Pässen, zu denen auch mehrere Deutsche zählen, den internationalen Druck auf Israel erhöhen könnten, die geplante Bodenoffensive zu verschieben.

Israels Führung allerdings gibt dazu keinerlei Signale. Vielmehr wird mit aller Kraft demonstriert, dass die Armee nicht nur in Gaza, sondern auch an anderen Fronten kampfbereit ist. Ein Beleg dafür war der nächtliche Luftangriff auf eine Moschee in Dschenin im Westjordanland, die nach israelischen Angaben von der Hamas als Terror-Kommandozentrale genutzt worden war.

Mit gleicher Entschlossenheit werden auch Angriffe der Hisbollah aus Libanon beantwortet. "Wir sehen jeden Tag mehr und mehr Angriffe", erklärte ein israelischer Armeesprecher. Dies sei ein "sehr, sehr gefährliches Spiel". Die Hisbollah ziehe damit "Libanon in einen Krieg hinein, bei dem er nichts gewinnen, aber viel verlieren wird", warnte er. Mit der Verlegung weiterer Waffensysteme in die Region hoffen die USA auf einen noch stärkeren Abschreckungseffekt. Ob dies jedoch die Hisbollah und das dahinter stehende Regime in Iran beeindruckt, ist zu Beginn dieser dritten Kriegswoche immer noch ungewiss.

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