Palästinenser:Angst vor dem Ausverkauf

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Palästinenserpräsident Abbas empfing am Dienstag den ersten saudischen Botschafter im Westjordanland, al-Sudairi. Die Hamas lehnt solche diplomatischen Versuche ab. (Foto: Thaer Ghanaim/AFP)

Die Palästinenser fürchten, dass die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien ihre letzte Chance auf eine Staatsgründung vernichtet. Aus dieser Sorge kann eine Gefahr für die ganze Region erwachsen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Als Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vorige Woche bei seiner Rede in der UN-Generalversammlung eine Karte des "Neuen Nahen Ostens" hochhielt, da konnte man Israel als kleinen dunklen Fleck im Zentrum entdecken. Ringsherum war großflächig sehr viel Grün. In der Farbe der Hoffnung wurden all jene Länder präsentiert, mit denen Israel bereits Frieden geschlossen hat oder bald zu schließen wünscht. Zu sehen war auf Netanjahus Karte auch ein grünes Saudi-Arabien. Nichts zu sehen war jedoch vom Westjordanland und dem Gazastreifen oder gar einem palästinensischen Staat.

Auf dieser Karte, die eine bessere Zukunft zeigen sollte, wurden die Palästinenser schlicht ignoriert. Sie konnten daraus den Schluss ziehen, dass die von den USA vorangetriebene Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien für sie von durchaus existenzieller Bedeutung ist. Bei einer Einigung über ihre Köpfe hinweg könnte die womöglich letzte Chance zur Gründung eines eigenen Staats verspielt werden.

Einbindung oder Konfrontation

In dieser Lage brauchen die Palästinenser eine schlagkräftige Strategie, wie sie mit dem Normalisierungsrauschen um sich herum umgehen sollen. Tatsächlich haben sie sogar zwei Strategien - die sich unglücklicherweise diametral widersprechen: Die Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas, die das Westjordanland kontrolliert, setzt auf eine Einbindung in den Verhandlungsprozess, um Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können. Die rivalisierende Hamas dagegen, die seit 2007 den Gazastreifen beherrscht, geht auf Konfrontationskurs.

Abbas bemüht sich um einen Schulterschluss zwischen Riad und Ramallah, und er mag es als ersten Erfolg verbuchen, dass ihn die Saudis demonstrativ mit neuer Aufmerksamkeit bedenken. Sichtbares Zeichen dafür war in dieser Woche der Antrittsbesuch des frisch ernannten ersten saudischen Botschafters im Westjordanland. Naif al-Sudairi macht das Palästina-Portefeuille zwar nur im Nebenjob, hauptberuflich ist er weiterhin als saudischer Botschaft für Jordanien in Amman ansässig. Doch allein seine Ernennung hat die Beziehungen auf eine neue Ebene gehoben.

In Ramallah wurde ihm der rote Teppich ausgerollt, als wäre er nicht nur ein Botschafter, sondern mindestens Minister. Präsident Abbas schwärmte beim Empfang von "zwei brüderlichen Völkern", obendrein traf al-Sudairi noch den palästinensischen Außenminister Riad al-Malki und Hussein al-Sheikh, Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Größte Aufmerksamkeit der Medien war al-Sudairi sicher.

Das arabische Zugeständnis an die Palästinenser hat gelitten

Der saudische Botschafter bedankte sich mit der öffentlichen Zusicherung, dass die sogenannte Arabische Friedensinitiative ein "fundamentaler Pfeiler" aller potenziellen Abkommen mit Israel sein werde. Was er jedoch nicht sagte, war, dass die Einhaltung der dortigen Grundsätze die Bedingung für ein Abkommen ist. Die Friedensinitiative von 2002 hatte eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Israel daran geknüpft, dass Israel sich aus allen besetzten Gebieten zurückzieht und die Gründung eines Palästinenserstaats ermöglicht.

Dieser Grundsatz war von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko schon bei den 2020 geschlossenen Abraham Abkommen über Bord geworfen worden. Nun verdichten sich die Hinweise, dass auch die Saudis als aktuelle arabische Führungsmacht die Normalisierung für kleinere Münze besiegeln würden. Kronprinz Mohammed bin Salman, der De-facto-Herrscher des Königreichs, sprach in einem Interview mit Fox News nur noch davon, dass "das Leben der Palästinenser erleichtert" werden solle.

Palästinenserpräsident Abbas weiß nur zu gut, dass er schnell außen vor sein kann, wenn er auf Maximalforderungen beharrt. Schließlich verfolgen die Saudis in diesem Spiel vor allem eigene Interessen, zu denen ein militärisches Beistandsabkommen mit den USA und grünes Licht für ein Nuklearprogramm gehören. Ramallah dürfte in dieser Situation vor allem auf großzügige saudische Finanzhilfe setzen und darauf hoffen, dass die Tür für eine spätere Staatsgründung geöffnet bleibt - zum Beispiel, indem Israel sich zu einem Verzicht auf die Annexion besetzter Gebiete verpflichtet.

Die Hamas nennt die neue saudische Nähe zu Israel "Verrat"

Die militanten palästinensischen Gruppen sehen in dieser gesamten Entwicklung jedoch nichts anderes als einen Ausverkauf. Nach einem Treffen in Beirut veröffentlichten Vertreter der Hamas, des Islamischen Dschihad und der Volksfront zur Befreiung Palästinas zu Wochenbeginn eine Erklärung, in der sie die saudischen Normalisierungsverhandlungen mit Israel als "Verrat am Blut der Märtyrer und am arabischen Volk" verdammen. Zugleich kündigten sie an, den Kampf gegen Israel weiter zu eskalieren.

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Wie das aussehen kann, war gerade an der Gaza-Grenze zu sehen. Nach längerer Pause ließ die Hamas dort wieder Demonstranten zum Grenzzaun vor - ausgerüstet mit Schusswaffen, Sprengsätzen und Brandballons, setzten sie auf israelischer Seite einige Felder in Flammen. Die israelische Armee schoss daraufhin von Panzern, Hubschraubern und Drohnen aus auf Posten der Hamas. Erst nach zwei Wochen kehrte am Donnerstag dank internationaler Vermittlung wieder Ruhe ein.

Hintergrund der Krawalle war nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Lage im verarmten Gazastreifen. Die Hamas will durch das gezielte Schüren des Konflikts mehr finanzielle Hilfe aus Katar erzwingen und mehr Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel. Doch die Rauchschwaden, Schüsse und Explosionen haben gezeigt, dass die Vision vom neuen Nahen Osten nicht nur eine Chance auf Frieden bietet. Sie kann auch alte Konfliktlinien schnell aufbrechen lassen.

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