Israel und die Hamas:Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Krieg

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Ein Junge jubelt neben einem brennenden Auto, das militante Palästinenser aus Israel nach Gaza gebracht haben. (Foto: STRINGER/REUTERS)

Tausende Raketen, viele Tote auf beiden Seiten: Zwischen Israel und der Hamas eskaliert die Gewalt. Warum jetzt und wie lange wird sie dauern?

Von Dominik Fürst, Peter Münch und Sina-Maria Schweikle

Was ist in Israel passiert?

Bei einem Überraschungsangriff haben militante Palästinenser seit Samstagmorgen vom Gazastreifen aus mehrere Tausend Raketen auf Israel abgefeuert. In Tel Aviv, Jerusalem und anderen Städten heulten laut Armee Warnsirenen. Die radikal-islamische Hamas, die in Gaza herrscht und für die Attacken verantwortlich ist, verkündete den Beginn einer "Militäroperation" und sprach von 5000 Raketen - Israels Militär bestätigte immerhin die Hälfte.

Außerdem drangen Bewaffnete über Land, Luft und See auf israelisches Gebiet vor - wie ihnen das an der streng bewachten Grenze gelingen konnte, ist ungeklärt. Mindestens 300 Israelis starben, rund 1590 Menschen wurden verletzt, wie mehrere israelische Medien am Samstagabend unter Berufung auf medizinische Quellen berichteten. Dem Hamas-Angriff schloss sich mit dem Islamischen Dschihad eine weitere militante Palästinenserorganisation an. Es gab unbestätigte Berichte von Geiselnahmen und Entführungen von Israelis in den Gazastreifen.

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Von Peter Münch

Warum kam der Angriff der Hamas so überraschend?

Ein derart groß angelegter Angriff muss von langer Hand geplant gewesen sein. Völlig unklar ist deshalb, warum Israels Armee von der Hamas so überrumpelt werden konnte und wieso die israelischen Geheimdienste nichts von den Vorbereitungen mitbekamen. Vor allem in den ersten Stunden der Angriffe aus Gaza verbreiteten sich Hilferufe der israelischen Bevölkerung im Süden des Landes. Menschen verbarrikadierten sich in ihren Wohnungen und mussten stundenlang auf Hilfe der israelischen Sicherheitskräfte warten.

Normalerweise werden die Aktivitäten der Palästinenser in Gaza streng überwacht, an der Grenze gibt es immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten. Es ist eine tragische Ironie der Geschichte, dass die neue Eskalation Israel fast auf den Tag genau 50 Jahre nach Beginn des Jom-Kippur-Kriegs wieder unvorbereitet trifft.

Wie reagiert das angegriffene Land?

Schon zwei Stunden nach dem ersten Raketenbeschuss flogen israelische Kampfjets Angriffe auf den Gazastreifen. Reservisten werden in großer Zahl eingezogen. Dutzende Kampfjets seien an Luftangriffen beteiligt, teilte die Armee mit. "Die Hamas hat heute Morgen einen schweren Fehler begangen", sagte Verteidigungsminister Joav Gallant. Wie auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte er: "Wir werden diesen Krieg gewinnen." Die israelische Armee teilte mit, es seien unter anderem 17 Militäranlagen und vier Kommandozentren der Hamas angegriffen worden. Laut palästinensischen Angaben gibt es mindestens 232 Tote und rund 1700 Verletzte im Gazastreifen.

Was hat es mit dem Gaza-Konflikt auf sich?

Der Gazastreifen ist Dreh- und Angelpunkt des Nahostkonflikts. Hier leben mehr als zwei Millionen Palästinenser auf relativ engem Raum, viele leiden unter schwierigen Lebensbedingungen, hoher Arbeitslosigkeit, Armut und eingeschränkter Gesundheitsversorgung. An der Grenze zu Israel gibt es immer wieder gewaltsame Proteste, wenngleich die jetzige Eskalation eine neue Qualität aufweist.

Israel hat den Gazastreifen im Sechstagekrieg 1967 besetzt, erst 2005 zog das Land seine Siedler und Truppen ab. Die von EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas riss 2007 gewaltsam die alleinige im Macht im Gazastreifen an sich, Israel reagierte mit einer Blockade der Land- und Seegrenzen. Erklärtes Ziel der Hamas ist die Vernichtung Israels.

Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft?

Die westliche Welt verurteilt geschlossen den Angriff der Hamas, es ist von Terrorismus die Rede und vom israelischen Recht auf Selbstverteidigung. Bundeskanzler Olaf Scholz versichert seine Solidarität, die USA wollen nach eigenen Angaben sicherstellen, dass Israel "über die notwendigen Mittel zur Selbstverteidigung" verfügt.

In den arabischen Welt sind die Reaktionen unterschiedlich, die libanesische Hisbollah-Miliz sowie Iran begrüßen den Angriff auf Israel, während Saudi-Arabien zu einem sofortigen Ende der Gewalt aufruft. Israel und Saudi-Arabien haben sich in den vergangenen Monaten nach Angaben der USA immer mehr einer Normalisierung ihrer Beziehungen angenähert. In den palästinensischen Gebieten wird die Entwicklung mit viel Skepsis beobachtet.

Warum ist gerade jetzt eine heikle Phase für den Konflikt?

Israel durchlebt die innenpolitisch unruhigsten Zeiten seit seiner Gründung. Seit 2019 wurde fünf Mal gewählt, inzwischen regiert die am weitesten rechtsstehende Regierung, die das Land je hatte. Hunderttausende Israelis gehen regelmäßig auf die Straßen, um gegen die geplante Justizreform der Regierung Netanjahu zu demonstrieren. Zahlreiche Reservisten der israelischen Armee (IDF) drohten aus Protest sogar damit, ihren Dienst zu verweigern.

Diese Situation wird von Israels Feinden beobachtet und ausgenutzt. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen an der Grenze zum Nachbarland Libanon, mit dem sich Israel noch offiziell im Krieg befindet. Es ist diese innenpolitische Schwäche, die die Hamas nun ebenfalls auszunutzen versucht. Im Angesicht der Bedrohung scheint Israel jedoch innenpolitisch zusammenzurücken.

Wie lange wird die Auseinandersetzung dauern?

Das ist schwer zu sagen, aber besonders schnell dürfte der Konflikt nicht abflauen. Der Angriff der Hamas war koordiniert und groß angelegt, auf einen schnellen Waffenstillstand scheinen es die militanten Palästinenser nicht abgesehen zu haben. Ägypten bemüht sich unterdessen eigenen Angaben zufolge intensiv um eine Beruhigung der Lage. In der Vergangenheit hatte Kairo immer wieder zwischen Israel und militanten Palästinenserfraktionen im Gazastreifen vermittelt. Im Angesicht der schweren Eskalation ist fraglich, wie schnell es einen Verhandlungserfolg geben kann.

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