Nahostkonflikt:Israel stellt sich auf langen Krieg ein

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Zeugnis des Terrors: Eine Israelin flieht mit ihrem Kind vor dem Feuer, das eine Rakete der Hamas in der Stadt Aschkelon verursacht hat. (Foto: Tsafrir Abayov/AP)

Premierminister Netanjahu kündigt nach dem Großangriff der Hamas an, die Terrororganisation zu "zerstören". Die Opferzahlen steigen - und die USA verlegen Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer.

Von Sina-Maria Schweikle, Berlin

Nach den überraschenden Großangriffen der Hamas auf Israel am Samstagmorgen hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sein Land auf einen langen Krieg eingestellt. Er nannte als Ziel, die militärischen und regierungstechnischen Kapazitäten der Hamas und des Islamischen Dschihad so zu zerstören, "dass sie für viele Jahre nicht mehr in der Lage und bereit sind, die Bürger Israels zu bedrohen und anzugreifen". Das gab Netanjahus Büro nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts am Sonntag bekannt. Bis Sonntagabend wurden nach Angaben der Armee 800 Angriffe im Gazastreifen durchgeführt.

Die USA verlegen als Reaktion auf den Überfall einen Flugzeugträger, einen Luftwaffenkreuzer und vier Zerstörer ins östliche Mittelmeer, teilte das US-Verteidigungsministerium am Sonntag mit. Außerdem sei man darauf vorbereitet, Luftwaffengeschwader mit Kampfjets in die Region zu verlegen. Die USA werden Israel auch zusätzliche Ausrüstung und Munition zur Verfügung stellen, kündigte Verteidigungsminister Lloyd Austin an.

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Die Terrororganisation Hamas hat ihre Anhänger nach israelischen Angaben für diesen Freitag zu Protesten aufgerufen. Die Regierung fürchtet weltweit Angriffe auf Israelis und Juden. Die Knesset billigt das Kriegskabinett.

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Terroristen waren am Samstagmorgen aus dem Gazastreifen über Land, Luft und Meer in das Landesinnere Israels eingedrungen. Gleichzeitig begann die Hamas, die Südhälfte Israels mit Raketen zu beschießen. Die palästinensischen Terroristen, die in das Land eindrangen, töteten Menschen in den nahe liegenden Ortschaften. Israelische Medien sprachen am Sonntagnachmittag von mehr als 700 Toten. Unter ihnen sollen sich auch ausländische Bürger befinden. Nach Angaben der israelischen Armee wurden mehr als hundert Zivilisten und Soldaten entführt und in den Gazastreifen verschleppt.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich unter den von der islamistischen Hamas aus Israel Verschleppten auch deutsche Staatsangehörige befinden. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es am Sonntagabend, nach Erkenntnissen des Außenministeriums handele es sich um Menschen, die alle neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit hätten. Man stimme sich gemeinsam mit der deutschen Botschaft in Tel Aviv sehr eng mit den israelischen Behörden ab.

Das offenbar von den Vorkommnissen überraschte israelische Militär war bis in den Sonntag hinein damit beschäftigt, die Lage im Süden des Landes wieder unter Kontrolle zu bringen. Im ganzen Land wurden Reservisten zu ihren Einheiten gerufen. Gleichzeitig begannen unter dem Operationsnamen "Iron Swords" (Eiserne Schwerter) die Gegenmaßnahmen, die zunächst mit Luftschlägen auf Infrastruktur der Terrororganisationen im Gazastreifen begannen. Bei diesen Luftangriffen kamen nach palästinensischen Angaben bis zum Sonntag mindestens 413 Menschen ums Leben, 2300 seien verletzt worden.

Die Einfuhr von Strom, Brennstoff und Waren aus Israel in den Gazastreifen wurde gestoppt.

Die Hisbollah beschießt Israel aus dem Libanon

Mohammed Deif, der militärische Führer der Hamas, rief die arabischen Israelis und benachbarte Staaten auf, sich dem Angriff anzuschließen. Bisher ist dieser Aufforderungen nur die libanesische Hisbollah gefolgt. Nach Militärangaben hat sich die schiitische und Iran-nahe Miliz in den Krieg eingemischt und den israelischen Norden mit Artillerie beschossen. Israel reagierte mit einem Gegenangriff. In Ägypten wurden am Sonntag zwei israelische Touristen getötet. Ob die Tat in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Entwicklungen in Israel steht, ist bisher unklar.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Angriffe der Hamas am Sonntagnachmittag in einem Auftritt vor der Presse auf das Schärfste verurteilt. Die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson, betonte er. Man stehe fest an Israels Seite. Das habe er Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in einem Gespräch versichert. Er wolle in Kürze mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi sprechen, der unter den Kriegsparteien zu vermitteln versuche. Deutschland bietet hierfür seine Unterstützung an.

Als erste Konsequenz aus dem Terrorangriff der Hamas und des Islamischen Dschihad auf Israel hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) angekündigt, die finanzielle Unterstützung für Palästinenser auf den Prüfstand zu stellen. Deutschland hat bislang Projekte in den Palästinensergebieten mit rund 340 Millionen Euro im Jahr mitfinanziert.

Aus weiten Teilen der Welt wurde Entsetzen und Beistand für Israel und seine Bevölkerung geäußert. In zahlreichen Solidaritätskundgebungen drückten die Menschen ihre Unterstützung für Israel und ihren Wunsch nach Frieden aus. Am Sonntag fand eine große Kundgebung vor dem Brandenburger Tor statt, das in der Nacht zuvor in den Farben der israelischen Flagge angeleuchtet wurde. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilte die Angriffe. In Berlin kam es zu pro-palästinensischen Unterstützungsdemonstrationen. Diese verurteilte Bundeskanzler Scholz. Ein solches Verhalten sei inakzeptabel.

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