Israel:Kampf im Verborgenen

Lesezeit: 3 min

Nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen bergen Sanitäter einen verletzten Mann. (Foto: Said Khatib/AFP)

Die Freilassung der Geiseln und die geplante Waffenruhe verzögern sich bis Freitag. In israelischen Medien wird über die Hintergründe des Abkommens und das weitere Vorgehen diskutiert.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Das erste Hoffnungszeichen nach dem Waffengang in Gaza wird zum Nervenkrieg: Die für Donnerstag angekündigte Freilassung einer ersten größeren Gruppe israelischer Geiseln und die damit verbundene Feuerpause wurde verschoben. Es werde "nicht vor Freitag" beginnen, kündigte Israels Nationaler Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi spät in der Nacht an - und um die höchst angespannten Gemüter ein wenig zu beruhigen, versicherte er zugleich, dass ansonsten alles weiterhin "gemäß dem ursprünglichen Abkommen" verlaufe. Die Verschiebung, so wird von israelischen Regierungsquellen ebenso wie von den Vermittlern aus Katar versichert, habe allein "logistische Gründe". Am Donnerstagnachmittag teilten Vermittler aus Katar mit, die Feuerpause solle am Freitag um sieben Uhr morgens beginnen.

Die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln. Verwiesen wird unter anderem darauf, dass entgegen der ursprünglichen Auffassung sowohl Israel als auch die Hamas noch ein Dokument zur Ratifizierung des Abkommens unterzeichnen müssten. Dabei geht es wohl um Garantien zur Einhaltung der Verabredungen. Offenbar gibt es auch noch Unklarheiten bei der von der Hamas vorzulegenden Namensliste der 50 Geiseln, die aus dem Kreis der insgesamt rund 240 Verschleppten freigelassen werden sollen. Klar ist: Bis zuletzt wird hinter den Kulissen noch gerungen und gezerrt. Es ist ein Ringen, das zuvor schon über Wochen die Kräfte aller Beteiligten enorm beansprucht hat.

Krieg in Nahost
:Was über den Deal zwischen Israel und der Hamas bekannt ist

Wann werden die ersten Geiseln freigelassen? Wer sind sie - und welche Häftlinge wird Israel gehen lassen? Was bedeutet das Abkommen für den Krieg? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Julia Bergmann und Katja Guttmann

Die Hamas habe eine einmonatige Waffenruhe und Verzicht auf eine Bodenoffensive gefordert

Einen Einblick, wie dieses Abkommen eingefädelt wurde und welche Hürden immer wieder zu überwinden waren, gab ein anonym bleibender "hoher Offizieller" aus der US-Regierung bei einem Hintergrundgespräch in Washington, über das in israelischen Medien nun ausführlich berichtet wird. Demnach hat sich die Regierung in Katar, wo die Exil-Führung der Hamas residiert, den Amerikanern schon in den ersten Kriegstagen als Vermittler in der Geiselfrage angeboten. US-Präsident Joe Biden habe das Thema mitten in den Kriegswirren dann schnell zur Chefsache gemacht.

Eine streng im Geheimen operierende Verhandlergruppe wurde in Doha gebildet, zu der von amerikanischer Seite unter anderem CIA-Chef William Burns und aus Israel Mossad-Chef David Barnea gehörten. Als "Testlauf" wurde demnach die Freilassung zweier weiblicher Geiseln mit US-Pass am 20. Oktober sowie zwei Tage später zweier israelischer Seniorinnen verstanden. Danach jedoch kam alles ins Stocken. Die Hamas soll unter anderem zuerst eine einmonatige Waffenruhe oder auch eine Zusicherung gefordert haben, dass es keine israelische Bodenoffensive gebe. Ein Auf und Ab also, bis schließlich das nun beschlossene Abkommen auf dem Tisch lag - mit einer zunächst viertägigen Waffenruhe und einem schrittweisen Austausch von 50 verschleppten israelischen Frauen und Kindern gegen 150 palästinensische Frauen und Minderjährige, die aus israelischer Haft entlassen werden.

Alle Hamas-Führer sind laut israelischem Verteidigungsminister "dem Tod geweiht"

Die Hamas scheint damit fürs Erste zufrieden zu sein. Ihr Anführer Jahia Sinwar aus Gaza kann nun darauf verweisen, dass er Israel in der alten Logik des Konflikts Häftlinge gegen Geiseln abgetrotzt hat. Die hohe Anzahl der in seiner Hand verbleibenden Geiseln dürfte er zudem als eine Art Rückversicherung im weiteren Kriegsverlauf verstehen - und so darauf hoffen, sich irgendwann in einen langfristigen Waffenstillstand zu retten.

Dagegen stehen die Erklärungen aus Israel. Premierminister Benjamin Netanjahu will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass nach dem Austausch die Kampfhandlungen sofort wieder aufgenommen werden, bis zum Erreichen des Kriegsziels: der Zerstörung der Hamas. Sein Verteidigungsminister Joav Gallant unterstrich aktuell noch einmal, dass alle Hamas-Führer, einschließlich der Exilanten in Katar, "dem Tod geweiht" seien.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Solange das Abkommen nicht offiziell in Kraft ist, wird von allen Seiten weiter mit größter Intensität gekämpft. Israels Luftwaffe verkündete am Donnerstag, dass an einem Tag allein 300 Ziele im Gazastreifen angegriffen worden seien. Zudem wurde der Direktor des Al-Schifa-Krankenhauses gefangen genommen. Weiterhin wurden aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel abgefeuert. Aus Libanon wurde der heftigste Beschuss seit Kriegsbeginn mit einer Salve von bis zu 50 Raketen gemeldet.

Was der Nervenkrieg um die Freilassung für die Familien der Geiseln bedeutet, ließ eine der Angehörigen am Donnerstagmorgen im israelischen Armeeradio erkennen. "Bis wirklich etwas geschehen ist, bin ich nicht bereit, mich voreilig zu freuen", sagte Inbar Goldstein. "Bis nicht die letzte Geisel nach Israel zurückgekehrt ist, sind wir alle in Gefangenschaft der Hamas."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAbkommen mit Israel
:Das Kalkül der Hamas

Die viertägige Feuerpause kommt der Terrororganisation wie gerufen, um ihre Truppen neu aufzustellen. Sie ist ohnehin im taktischen Vorteil.

Von Tomas Avenarius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: