Gaza:Massengräber und Vorzeichen der Offensive

Lesezeit: 2 min

Palästinenser trauern neben einem Leichnam, der am Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis exhumiert wurde. (Foto: AFP)

In Gaza wurden mehr als 300 Leichen unter Müllbergen gefunden, darunter Frauen und Kinder. Israel weist eine Verantwortung zurück. Die Vorbereitungen für eine Militäroffensive in Rafah laufen offenbar schon.

Von Juri Auel

Zwei mutmaßliche Funde von Massengräbern im Gazastreifen haben Entsetzen ausgelöst. Palästinensischen Berichten zufolge wurden nahe den zerstörten Krankenhäusern Nasser in Chan Yunis und Al-Schifa in Gaza-Stadt 283 beziehungsweise 30 Leichen gefunden, darunter auch Frauen und Kinder. Sie seien unter Müllbergen begraben gewesen. "Einigen von ihnen waren die Hände gebunden, was natürlich auf schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht hinweist und weiteren Untersuchungen unterzogen werden muss", erklärte eine Sprecherin des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk. Man arbeite an der Aufklärung der Berichte von palästinensischer Seite und trage Beweismaterial zusammen.

Israel wies den Vorwurf, für die Massengräber und mögliche Exekutionen verantwortlich zu sein, zurück. Soldaten hätten vielmehr die Leichen auf der Suche nach sterblichen Überresten der israelischen Geiseln exhumiert. "Die Behauptung, die israelischen Streitkräfte hätten palästinensische Leichen begraben, ist haltlos und unbegründet", erklärte das Militär. Die Leichen seien nach einer Untersuchung an ihre Grabstätten zurückgebracht und ihre Würde sei gewahrt worden.

SZ PlusMeinungIsrael
:Dass Netanjahu weiterhin im Amt bleibt, ist erstaunlich

Sehr viele wollen den Premier gehen sehen, ob in Israel, der arabischen Welt oder in den USA und Europa - doch der Regierungschef hält sich wacker. Selbst jetzt, wo der Chef von Israels Militärgeheimdienst hingeworfen hat.

Kommentar von Tomas Avenarius

Das Verteidigungsministerium hat 40 000 Zelte beschafft

Die israelische Zeitung Times of Israel verweist darauf, dass Israels Armee sich eigentlich nicht um die Beisetzung getöteter Palästinenser kümmere. Außerdem kommen Experten des X-Accounts "GeoConfirmed", deren Geolokalisierungen sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen haben, zu der Erkenntnis, dass die Gegend, in der die Massengräber gefunden worden sind, offenbar schon vor der Präsenz der israelischen Armee von Palästinensern selbst als Friedhof genutzt wurde. Das schließe jedoch nicht aus, dass Gräber später hinzugefügt worden sein könnten.

Unterdessen verdichten sich die Anzeichen dafür, dass Israel seine Vorbereitungen für eine Militäroffensive in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen ungeachtet internationaler Appelle vorantreibt. Das Verteidigungsministerium hat 40 000 Zelte beschafft, um Bewohner vor einem angekündigten Angriff in den kommenden Wochen aus der Stadt an der Grenze zu Ägypten in Sicherheit zu bringen, wie am Mittwoch aus Regierungskreisen verlautete. In jedem Zelt könnten zehn bis zwölf Menschen unterkommen. In Chan Yunis, etwa fünf Kilometer von Rafah entfernt, sollen bereits Zeltlager gesichtet worden sein.

Krieg in Nahost
:US-Regierung ruft zum friedlichen Protest an Unis auf

Bei propalästinensischen Protesten an Dutzenden US-Hochschulen gibt es inzwischen Hunderte Festnahmen. Die Regierung in Washington versucht zu beschwichtigen. Die Hilfsorganisation World Central Kitchen nimmt ihre Arbeit im Gazastreifen wieder auf.

Alle Entwicklungen im Liveblog

Vor einem möglichen Einsatz in Rafah hat die israelische Armee zudem zwei weitere Reservebrigaden mobilisiert. Diese sollten "defensive und taktische Einsätze im Gazastreifen" übernehmen, teilte das Militär am Mittwoch mit. Die Brigaden seien zuvor an Israels Grenze zu Libanon eingesetzt worden. In den vergangenen Wochen hätten sie aber für Operationen im Gazastreifen trainiert.

Ägypten warnt vor "Massakern und massiven menschlichen Verlusten"

Rafah gilt als letzte Bastion der militant-islamistischen Palästinenser-Organisation Hamas im Gazastreifen, die mit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober den Gaza-Krieg ausgelöst hatte. In der Stadt haben mehr als eine Million Palästinenser vor den Kämpfen zwischen der israelischen Armee und den Extremisten Zuflucht gesucht. Nach israelischen Angaben befinden sich in Rafah vier intakte Hamas-Kampfbataillone mit je etwa 1000 Kämpfern.

Ein Sieg im Gaza-Krieg ist nach israelischer Auffassung ohne die Einnahme von Rafah, die Zerschlagung der Hamas und die Befreiung der dortigen Geiseln unmöglich. Die USA, Deutschland und andere Staaten raten seit Wochen von einer Offensive ab und fordern einen besseren Schutz von Zivilisten und Fluchtkorridore. Ägypten, das eine Aufnahme palästinensischer Flüchtlinge ablehnt, warnte Israel erneut vor einer Rafah-Offensive. Ein solches Vorgehen "würde zu Massakern, massiven menschlichen Verlusten und weitreichender Zerstörung führen", erklärte der staatliche Informationsdienst.

© SZ/Reuters/dpa/jael - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErmittlungen gegen Israel
:Droht Netanjahu ein Haftbefehl?

Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen Israel - wegen des Vorwurfs schwerer Kriegsverbrechen in Gaza. In Jerusalem löst das Nervosität aus. Aber auch die Hamas steht im Fokus.

Von Ronen Steinke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: