Israel:Rückkehr eines Unbestechlichen

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Aharon Barak ist eigentlich schon seit 18 Jahren im Ruhestand. Jetzt schickt ihn Benjamin Netanjahu an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag - um Israel zu verteidigen. (Foto: Ronen Zvulun/Reuters)

Aharon Barak war einst Richter am Obersten Gericht und rief vor wenigen Monaten noch zum Protest gegen Netanjahus Justizreform auf. Jetzt aber braucht ihn der Premier.

Von Peter Münch

Als Verräter haben sie ihn gerade noch gescholten, als Feind Nummer eins im Streit um die Justizreform. Doch nun braucht Israels rechtsreligiöse Regierung seine Hilfe: Aharon Barak, der frühere Präsident des Obersten Gerichts in Israel, wird von Premierminister Benjamin Netanjahu als Zusatzrichter nach Den Haag entsandt, wo vor dem Internationalen Gerichtshof an diesem Donnerstag und Freitag eine Anhörung angesetzt ist zu einer Klage Südafrikas gegen Israel. Der donnernde Vorwurf: Genozid in Gaza. Barak hat keinen Augenblick gezögert. Mit 87 Jahren tritt er an zum Reservedienst in Richterrobe.

Verfahrenstechnisch ist der Einsatz Baraks einer Besonderheit des Internationalen Gerichtshofs geschuldet. Wenn die klagenden und beklagten Staaten keinen Richter ihrer Nationalität im 15-köpfigen Kollegium haben, können sie jeweils einen eigenen Vertreter benennen. Aber dass nun gerade er geschickt wird, ist eine Volte mit großer persönlicher und politischer Symbolik: Als Holocaust-Überlebender verhandelt er nun über eine Klage, die dem jüdischen Staat einen Völkermord vorwirft. Und er stellt sich dabei in den Dienst einer Regierung, die zuvor mit aller Kraft sein Lebenswerk zerstören wollte.

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28 Jahre lang hatte Barak als Richter im Obersten Gericht gesessen, die letzten elf Jahre bis zu seiner Pensionierung 2006 als wirkmächtiger Präsident. Er gilt als Vater jener "konstitutionellen Revolution", mit der in den Neunzigerjahren die Kompetenzen des Gerichts ausgedehnt und jene Gewaltenteilung institutionalisiert wurde, die Netanjahu und seine Büchsenspanner unter Beschuss nahmen.

Geboren wurde Aharon Barak 1936 im litauischen Kaunas. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1941 wurde die Familie mit Zehntausenden anderen ins Ghetto gepfercht, dem Transport in ein Vernichtungslager entkam er nur, weil er zusammen mit seiner Mutter in einem Sack hinausgeschmuggelt wurde. Bis zum Kriegsende fanden sie Unterschlupf bei einem Bauern. Auch der Vater überlebte den Holocaust. 1947, ein Jahr vor Israels Staatsgründung, gelangte die Familie ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina.

In Jerusalem studierte Barak Jura, schloss mit 22 Jahren ab, war mit 32 Professor. Der damalige Premier Jitzchak Rabin berief ihn 1975 zum Generalstaatsanwalt. Seine Unbestechlichkeit und Unerschrockenheit bewies er unter anderem dadurch, dass er bald darauf Rabins Frau unter Anklage stellte, wegen eines seinerzeit verbotenen Auslandskontos in den USA. Rabin musste deshalb zurücktreten.

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Als 1978 in Camp David über den Friedensvertrag mit Ägypten verhandelt wurde, saß Barak als Rechtsberater der israelischen Regierung mit am Tisch. US-Präsident Jimmy Carter lobte ihn hinterher als wahren "Helden" dieser Verhandlungen, scherzhaft soll er ihm einen Posten am amerikanischen Supreme Court angeboten haben. Wenige Monate später wurde er stattdessen an Israels Obersten Gerichtshof berufen.

Die Jurisprudenz ist Familiensache. Schon sein Vater war Anwalt, seine Frau Elisheva, die er seit der Schulzeit kennt, machte als Richterin Karriere, alle vier Kinder sind Juristen. Aharon Barak selbst hat sich mit wegweisenden Urteilen und unzähligen Schriften auch international einen hervorragenden Ruf erworben. Aufgeschreckt aus dem Ruhestand hat ihn dann die Justizreform, die er bei seinen Aufrufen zum Protest mit einem "Umsturz mit Panzern" verglichen hat. Der Preis dafür war hoch: Rechte Demonstranten belagerten sein Wohnhaus in Tel Aviv. Ein Minister forderte, er müsse "für den Rest seines Lebens im Gefängnis verrotten".

Unüberhörbar war deshalb auch nun das Murren in der rechten Regierung über Netanjahus Beschluss, ausgerechnet ihn nach Den Haag zu schicken. Doch die Entscheidung zeigt, wie ernst die Lage ist - und wie dringend Israel Menschen wie Aharon Barak braucht.

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