Islam:Hidschab - Falsches Zeichen von Solidarität

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Weltweit gehört die Frau im Hidschab zu einem beliebten Symbol der Trump-Gegner (Foto: Getty Images)

Viele Trump-Gegner demonstrieren Solidarität mit Muslimen durch das Poster einer Frau mit US-Flagge als Hidschab. Das ist keine gute Idee. Denn Kopftuch und Schleier stehen nicht nur für den Glauben.

Essay von Markus C. Schulte von Drach

Das Porträt einer Frau, die ein muslimisches Kopftuch mit den Farben der US-Flagge trägt, ist in jüngster Zeit bei vielen Protesten gegen Donald Trump zu sehen. Es ist ein Motiv, mit dem die Demonstranten gleich drei Ziele erreichen wollen: Streiten für die Rechte der von Trump beleidigten Frauen und die Würde der von Trump beleidigten Muslime. Und sie wollen zeigen, dass der muslimische Glaube nicht im Widerspruch stehen muss zur amerikanischen Identität.

Besondere Ausdruckskraft gewinnt das Bild des US-Künstlers Shepard Fairey, weil er es im Stil seines berühmten Hope-Plakates gestaltet hat, das 2008 zum Symbol für den Wahlsieg Barrack Obamas wurde.

Angesichts des Erfolgs von Trump hat Fairey eine ganze Serie von Bildern unter dem Motto "We the People" entworfen. Sie zeigen unter anderem ein afroamerikanisches Mädchen, einen Indianer, ein lesbisches Paar - und die Frau im Hidschab.

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Heftige Kritik von muslimischen Frauen

Ein Plakat, das für Toleranz und Verständnis wirbt und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung wirbt. Beim "Women's March" am Tag nach der Amtseinführung oder bei dem Demonstrationen gegen den von Trump verfügten Einreisestopp gegen Menschen aus sieben muslimisch dominierten Ländern. Was soll daran auszusetzen sein? Alles gut also? Nicht so schnell.

Denn unter all die Begeisterung für das Plakat haben sich äußerst kritische Stimmen muslimischer Frauen gemischt. Für sie kann das Bild einer Frau im Hidschab niemals für alle Musliminnen oder den Islam allgemein stehen. "Das Poster ist meines Ermessens ein Affront für viele muslimische Frauen, die sich nicht mit der 'Fahne des politischen Islams' schmücken wollen", sagt etwa Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam in der Schweiz.

Sie verweist darauf, dass Millionen Mädchen und Frauen gezwungen sind, Kopftuch, Hidschab und andere Formen der Verschleierung zu tragen, um "züchtig" und "rein" zu wirken. Für diese Kultur der Reinheit würden sie unterdrückt, mundtot gemacht, eingesperrt und ermordet.

Dahinter steckt der politische Islam - der Islamismus mit Anspruch auf die Kontrolle der Gesellschaft. Von Ländern wie Saudi-Arabien und Iran aus nimmt er Einfluss auf Ägypten, die Türkei, auf Nordafrika, Indonesien und auch auf muslimische Gemeinden im Westen.

Die bekannte Feministin Mona Eltahawy twitterte deshalb über das Plakat:

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Gabriele Boos-Niazy vom deutschen Aktionsbündnis muslimischer Frauen trägt selbst einen Hidschab. Sie hält es für "prinzipiell problematisch, wenn ein Ritus oder ein Kleidungsstück, das religiöse Menschen als sichtbaren Teil ihrer Religionsausübung betrachten, zum 'Symbol' für was auch immer erklärt wird". Dabei stelle sich schließlich immer die Frage: "Wer nimmt für sich die Deutungshoheit in Anspruch und welcher Zweck wird damit verfolgt?"

Wofür stehen Kopftuch und Hidschab tatsächlich?

Boos-Niazy glaubt, dass das Tragen eines Kopftuches für viele Frauen "ein Akt der Emanzipation" ist. Emanzipation von einem Umfeld, das Kopftuchträgerinnen vielleicht als engstirnig, fundamentalistisch oder ewig gestrig betrachtet. Das öffentliche Bekenntnis zur Religion könnte also ein Zeichen von Selbstbewusstsein sein.

Natürlich müssen Frauen, die sich verhüllen, die Bedeutung von Hidschab und Kopftuch zuallererst für sich selbst deuten. Bei mehr als 90 Prozent der betroffenen Frauen sei es ausschließlich die religiöse Überzeugung, die sie ihre Haare bedecken lässt, sagt die deutsche Juristin Betül Ulusoy, die 2015 mit ihrer Bewerbung als Referendarin für das Rechtsamt Neukölln eine Kopftuch-Debatte auslöste. "Ich zeige allein meinem Schöpfer damit, dass ich ein für mich religiöses Gebot einhalte, so wie das Beten oder das Fasten", schreibt sie auf ihrer Internetseite. "Es ist KEIN Statement nach Außen!"

Doch Ulusoy selbst trägt den Hidschab auch aus einem anderen Grund: Um Ablenkung von ihrem wahren Ich zu vermeiden. "Was bleibt von mir übrig, wenn ich mich bedecke?", fragt sie auf ihrer Homepage. Die Antwort: Der Charakter. "Indem wir unsere äußeren Werte bedecken, sollen wir uns mehr auf unsere inneren Werte konzentrieren können."

Die bekannte britische Feministin Laurie Penny, selbst keine Muslima, hat diesen Effekt eindrucksvoll beschrieben. Nach einem Selbstversuch mit Abaya - ein langes Überkleid - und Hidschab: "Zum ersten Mal seit der Pubertät fühlte ich, dass die Menschen mein wirkliches Ich sehen könnten, anstatt meinen Körper anzuschauen." Dieser Geschmack der Freiheit sei für einige Frauen von zentraler Bedeutung für die Selbstachtung und genauso gültig und wichtig wie die Freiheit, mit nackten Beinen und mit tiefem Ausschnitt herumzulaufen.

Der Schleier, ein Symbol von Freiheit und Gleichberechtigung?

Manche Musliminnen betrachten die Verschleierung sogar explizit als feministische Maßnahme, um der Reduzierung und Erniedrigung der Frau in der westlichen Gesellschaft zu Sexobjekten entgegenzuwirken. So könnten "Frauen ihre Körper gegen unerwünschte Blicke und andere Formen von männlichem Chauvinismus beschützen", schreibt die Religionswissenschaftlerin Celene Ibrahim in der New York Times.

Für manche Musliminnen ist das Kopftuch ein Statement gegen ein System, das Frauen erniedrigt. (Foto: REUTERS)

Die Motive lassen sich nicht verallgemeinern

Die Entscheidung, sich zu verschleiern, kann also ganz unterschiedliche Gründe haben. Sie kann für ein religiöses Selbstbewusstsein sprechen, die inneren Werte betonen oder sogar feministisch motiviert sein. Aber taugen Kopftuch und Hidschab zum Symbol für diese Motive?

Unter religiösen Gesichtspunkten folgt die Verschleierung einem Gebot, das aus den Suren des Koran abgeleitet wird. Etliche islamische Religionswissenschaftler und Theologen sagen allerdings, dass die entsprechenden Verse nicht eindeutig sind; manche Experten halten die Interpretation sogar für schlicht falsch.

Die Idee, Frauen unter einen Schleier zu zwingen, ist jedenfalls älter als der Islam. Sie wurde in islamischen sowie in anderen patriarchalischen Gesellschaften unter Berufung auf Gottes Wort untermauert. Trotzdem ist es möglich, gläubige Muslimin zu sein und zugleich jede Form von Verschleierung abzulehnen. Den Anspruch auf ein Symbol für den muslimischen Glauben können Kopftuch oder Hidschab demnach nicht erfüllen.

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Das gilt auch für den Anspruch, ein feministisches Zeichen darzustellen. So schreibt etwa die muslimische Feministin Mona Eltahawy in der New York Times: "Für Jahre habe ich - trotz innerer Zweifel - meine Wahl, den Hidschab zu tragen, anderen gegenüber als feministische Wahl dargestellt." Schließlich habe sie diesen Gedanken jedoch nicht länger aufrechterhalten können. "Weil ich als Feministin von den Leuten verlange, meinen Geist wahrzunehmen und mich nicht als Objekt zu betrachten, unabhängig davon, wie ich angezogen bin."

Immer mehr Musliminnen setzen Kopftuch und Hidschab außerdem als modische Accessoires ein. Das Haar wird zwar versteckt, doch elegant, cool, attraktiv wollen sie trotzdem sein. In manchen dieser Fälle wäre es geradezu paradox, zu unterstellen, dass der Hidschab Männerblicke abwehren und innere Werte in den Vordergrund stellen soll. Ein solcher Fall hat etwa die Feministin Laurie Penny - offenbar nicht im Geringsten irritiert - dazu bewegt, zu twittern:

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Ganz offensichtlich orientieren sich viele Kopftuch tragenden Mädchen und Frauen heute im Westen an den Trends der Jugendkultur und der Mode - anders als es bei ihren Eltern meist der Fall war. Möglicherweise verändern sie so die Bedeutung des Kopftuchs oder des Hidschabs. Vielleicht verändern sie auch die Rolle der muslimischen Frau in der Gesellschaft.

Affront allen Frauen gegenüber, die unter den Schleier gezwungen werden

Doch auch wenn dem so wäre - ein grundsätzliches Problem löst sich so nicht auf: Wenn Mädchen und Frauen sich verhüllen, weil sie ein islamisches Gebot der Sittlichkeit darin sehen, setzen sie ein Werkzeug des Patriarchats zur Unterwerfung durch den Mann ein. Daran ändert sich auch nichts, wenn sie selbst es als Unterwerfung unter einen Gott betrachten, oder als Identitätsmerkmal. Jedes Kopftuch und jeder Hidschab trägt dazu bei, die Ideologie dahinter zu verbreiten.

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Zudem ist es ein Affront gegenüber all jenen Frauen, die etwa in Iran, Afghanistan, Saudi-Arabien, vom sogenannten Islamischen Staat oder von Boko Haram gezwungen werden, sich gegen ihren Willen zu verhüllen. Was ist das für eine Botschaft, wenn Frauen in diesen Ländern sehen, dass Musliminnen sich sogar dort verhüllen, wo es keinen Zwang gibt?

Und welche Botschaft vermitteln Demonstranten mit dem Poster der Muslimin, die ihr Haar mit der Flagge versteckt? "Wer das Zeichen der Apartheid und Ausgrenzung von Frauen, den Hidschab, zum Freiheitssymbol umdeutet, degradiert Frauen zum Sexualwesen und verhöhnt Frauenrechte", sagt die deutsche Soziologin und Islamkritikerin Necla Kelek. "Das Poster ist für mich ein Beispiel der ideologischen Verirrung der Political-Correctness-Kulturalistinnen."

Kelek bezieht sich auf eine Strategie fundamentaler Islamisten im Westen, mit der sie den Widerstand der Liberalen dort zu unterlaufen versuchen: Religions- und Meinungsfreiheit stehen ihrer Ideologie eigentlich im Weg, trotzdem betonen Islamisten ausgerechnet das Recht der Frau - zumindest solange es um deren Recht geht, sich zu verschleiern. "Sie bringen sich bei linken und feministischen Parteien und Bewegungen ins Spiel, obwohl die Werte, die sie repräsentieren, jedem Feminismus widersprechen", sagt Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam. Und tatsächlich halten sich die meisten Liberalen mit Kritik zurück, um sich nicht dem Vorwurf des Rassismus oder der Islamophobie auszusetzen.

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Die Verbreitung des umstrittenen Plakats geht vor allem auf das Engagement einer prominenten palästinensisch-amerikanischen Muslimin zurück: Linda Sarsour. Die Aktivistin im Hidschab gehört zu den drei Organisatorinnen des "Women's March on Washington". In der Vergangenheit hat Sarsour wiederholt Sympathie für die Scharia geäußert, die ihrer Meinung nach von vielen nur falsch verstanden würde

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Toleranz erfordert keinen Respekt und erlaubt Kritik

In einer aufgeklärten Gesellschaft hat jede und jeder das Recht, religiöse und politische Überzeugungen oder die Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe in der Öffentlichkeit deutlich zu machen und nach eigenen Regeln zu leben. Das gilt auch für Fundamentalisten jeder Coleur - jedenfalls solange dadurch nicht gegen die Grundwerte der Gesellschaft verstoßen wird. Das müssen viele besorgte Bürger in Deutschland genau wie Donald Trump in den USA noch lernen.

Jede und jeder hat aber auch das Recht, die Einstellung, die etwa durch eine Verschleierung gezeigt wird, abzulehnen, zu kritisieren und sich dagegen zu engagieren. Das ist nicht gleich Rassismus oder Islamophobie. Toleranz erfordert weder Akzeptanz noch Respekt.

Und Frauen und Mädchen, die sich freiwillig verschleiern, sollten sich damit auseinandersetzen, dass Kopftuch und Hidschab - auch - für die gewaltsame Unterdrückung von Frauen stehen. Und wer sich mit Muslimen solidarisch zeigen will, sollte dies nicht ausgerechnet mit einem Kleidungsstück tun, das Millionen von Frauen erniedrigt.

Mona Eltahawy hat es bei ihrer Kritik am Hidschab-Poster auf den Punkt gebracht:

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