Die Menschenschlange reicht bis auf den U-Bahn-Steig hinab. Wie in einer Prozession halten die Demonstrantinnen ihre Plakate mit Slogans wie "Macht Amerika wieder großmütig" oder "Finger weg von meiner Pussy" hoch. Wenn jemand per Smartphone-Livestream die Bilder in die Welt hinausschickt, brandet Jubel auf. Draußen schiebt sich die Masse mit dem Sprechchor "So sieht Demokratie aus" durch die prunkvolle Pennsylvania Avenue in der US-Hauptstadt Washington.
Wo einen Tag zuvor die Anhänger von Donald Trump das Bild prägten und die Parade vom Kapitol zum Weißen Haus entlang führte, formiert sich am Samstag erstmals sichtbar eine Massenbewegung, die dem neuen Präsidenten Widerstand leistet. Ihr Wahrzeichen, eine rosa Strickmütze in Anspielung an das kontroverse Pussygate-Video, leuchtet von zehntausenden Köpfen an dem grauen Januartag.
Die Idee, direkt nach Trumps Amtseinführung einen Protestmarsch in der Hauptstadt zu organisieren, hatte eine Anwältin im Ruhestand. Theresa Shook lebt auf Hawaii und musste erst nachfragen, wie man eine "Event Page" bei Facebook anlegt und hoffte darauf, dass sich vielleicht ein paar Hundert in Washington versammeln würde . Nach wenigen Stunden bekundeten 10 000 ihr Interesse und nun, Mitte Januar, hatte eine knappe Viertelmillion ihr Kommen angekündigt.
Dieser Tag zeigt die Macht von Social Media als Organisationsplattform: Auch in Boston, New York, Chicago, Denver, Los Angeles, Austin und vielen anderen Städten der USA nehmen Hunderttausende an "Schwestermärschen" teil. Dort ist es wie in Washington: Es kommen nicht nur Frauen, sondern auch viele solidarische Männer. Peter Garafola, 63, ist aus Virginia angereist, weil er "alles, wofür Trump steht", ablehnt: "Ich bin heute hier, damit meine Stimme zum Widerstand gezählt wird. Die Leute sollten aufstehen gegen Ungerechtigkeit. Und sie müssen wählen gehen."
Wie viele Demonstrantinnen hat auch Margo Candelaria aus Baltimore ein Wechselbad der Gefühle hinter sich: "Die Monate seit der Wahl waren extrem hart für uns. Deshalb müssen wir weiter kämpfen für Frauenrechte und die Gleichstellung der Frauen. Wir müssen aktiv bleiben." Die zwölfjährige Anabel Horwitz ist mit Schulfreunden auf die National Mall gekommen und verkündet in Gegenwart ihrer Mutter: "Ich habe extra den Mathe-Test geschwänzt, weil ich heute hier sein wollte. Dieser Protest ist wichtiger, es geht um meine Zukunft."
" Wir dürfen keine Nation von Idioten werden"
Unterwegs sind Familien und ganze Freundeskreise, und alle haben die gleiche Botschaft an die neue Regierung: "Ihr seid im Amt, aber wir werden nicht verschwinden." Ganz ähnlich äußern sich die Dutzenden Redner, die vom Vormittag an mehrere Stunden lang die Menge bei Laune halten. "Wir weigern uns, die Dämonisierung unserer muslimischen Schwestern und Brüder zu akzeptieren", ruft etwa die Schauspielerin America Ferrera, eines von vielen bekannten Gesichtern, die an diesem Tag in Washington zu den Demonstranten sprechen.
Sie betont, dass Millionen Amerikaner das Recht auf Abtreibung ebenso verteidigen werden wie die Rechte von Transgender und Homosexuellen. Ferreras Eltern stammen aus Honduras, daher ist ihr das Anliegen der illegalen Einwanderer und insbesondere der jungen Dreamer besonders wichtig: "Wir lassen nicht zu, dass aus einer Nation von Einwandern eine Nation von Idioten gemacht wird."
Ferrera war im Wahlkampf für Hillary Clinton sehr präsent und sie betont, wie wichtig es ist, dass es nach diesem Tag weiter geht. Wie im Wahlkampf gehe es jetzt darum, Kontaktinformationen zu sammeln und sich noch besser zu vernetzen: "Bitte nehmt Eure Handys raus und schickt eine SMS mit 'WOMEN' an 40649. Das ist erst der Anfang."
Pop-Diva Madonna legt einen Überraschungsauftritt hin und hält eine heftige Rede gegen Trump. Alle Minderheiten im Land seien "in Gefahr", man müsse eine "Revolution der Liebe" entgegensetzen.
Hollywood-Star Scarlett Johansson verliest eine Art Liebeserklärung an die Organisation Planned Parenthood (PP), die sich um die Gesundheit von Millionen von Frauen kümmert. "All meine Freundinnen sagen: 'Plannend Parenthood hat mich schon mal gerettet'." PP hilft dabei, Brustkrebs zu erkennen und zu behandeln - doch weil die Organisation auch Abtreibungen durchführt, wollen die Republikaner alle Zuschüsse streichen. "Präsident Trump, ich habe nicht für Sie gestimmt. Ich will versuchen, Sie zu respektieren, aber Sie müssen uns Frauen respektieren", ruft Johansson.
Die legendäre Feministin Gloria Steinem ruft in den Jubel hinein, dass "heute 1000 Busse mehr kommen als gestern für die Vereidigung". Es sei enorm wichtig, dass weltweit Solidaritätsaktionen stattfinden, ruft die 82-Jährige. Sie verliest eine Nachricht vom Schwestermarsch in Berlin: "Wir wissen, dass Mauern nicht funktionieren." Und Schauspielerin Whoopi Goldberg ruft: "Wir gehen nicht rückwärts, sondern vorwärts."
An diesem Tag zeigt sich das bunte Amerika
Anders als am Freitag bei den Trump-Anhängern sind nun auch viele Afroamerikaner und Menschen mit latein- und mittelamerikanischen Wurzeln auf den Straßen. Während Trommler den Takt vorgeben und von der Bühne Wortfetzen durchdringen, wird darüber diskutiert, wie sie nun aussehen soll, die Reaktion auf Präsident Trump.
Die 29 Jahre alte Vanessa Leon aus Washington setzt auf Protest. "Ich will mit anderen Frauen aufstehen gegen das, was Trump vorhat. Meine Freunde und ich sind noch unter Schock, dass er seit gestern wirklich unser Präsident ist." Ihr ist es als farbige Frau und künftige Mutter wichtig, ihre Meinung kund zu tun. Was ihre größte Angst ist? "Die Hoffnung zu verlieren." Passenderweise lässt ein Aktivist von der Bühne aus die Menge skandieren: "I'm not afraid of Donald Trump."
Über Stunden hinweg strömen Menschen in Richtung der Marschroute. Bevor sich die Demonstranten am frühen Nachmittag in Bewegung setzt, tritt der momentan dauerpräsente Dokumentarfilmer Michael Moore ans Mikrofon. Er zerreißt die Titelseite der Washington Post, auf der "Donald Trump takes power" steht. "Das ist falsch, wir haben die Macht", ruft er. Moore fordert die Menge auf, täglich nach dem Aufstehen und dem ersten Kaffee die Abgeordneten im Kongress anzurufen und zu sagen: "Wir sind gegen Trumps Gesetze."
Beim Auftritt des Linkspopulisten Moore wird klar, was auf Amerikas Linke zukommt: Er ruft dazu auf, die Partei der Demokraten zu übernehmen, damit junge Leute, Frauen und Minderheiten mehr zu sagen haben. Viele Plakate mit dem Clinton-Slogan "I'm with Her" sind zu sehen, doch der Jubel ist am größten, wenn der Name Bernie Sanders fällt. Moores Appell: "Hört auf, schüchtern zu sein. Mischt euch ein, kandidiert für politische Ämter." Der Richtungsstreit hat gerade erst begonnen.