Eigentlich sollte es das Jahr des Triumphs werden für die Frauen in Amerika. Doch es ist nicht Hillary Clinton, die vereidigt wurde, sondern Donald Trump. Einmal ganz nüchtern betrachtet: Ist Donald Trump, der mächtigste Mann der Welt, ein Frauenfeind?
Dana Brown: Um das nüchtern zu bewerten, wie Sie sagen, muss man erst abwarten, was er politisch bewirkt. Bis dahin war alles nur Wahlkampfrhetorik. In seinen Auftritten als Präsidentschaftskandidat äußerte er sich aber klar frauenfeindlich.
53 Prozent der weißen Wählerinnen haben sich für Trump entschieden, der Frauen mehrmals als "zu dick" und "hässlich" bezeichnete. Warum?
Die Zahl hat mich nicht überrascht. Weiße Frauen, vor allem weiße verheiratete Frauen, wählen historisch gesehen immer republikanisch. Wir nennen diese Frauen Sicherheitsmütter oder Soccer-Moms. Die Sicherheit für ihre Kinder, die Familie und das Land ist für sie im Vordergrund. In diesem Jahr aber stand ihre Entscheidung auf der Kippe, davon bin ich überzeugt. Untersuchungen zeigen, dass viele Wählerinnen verärgert waren über Trumps Äußerungen. Sie haben gehadert, sich am Ende aber für ihn entschieden, weil er Jobs zurückbringen und die Kriminalität bekämpfen will. Weil er eben Sicherheit verspricht. Hillary Clinton hingegen wurde für ihren Umgang mit den E-Mails kritisiert. Die Medien behaupteten, sie habe Geheiminformationen weiterverbreitet. Für sicherheitsliebende Soccer-Moms wurde sie so untragbar.
Ist Clintons Niederlage auch eine Niederlage des Feminismus?
Nein. Der Feminismus hat nicht verloren. Die Mehrheit der Frauen hat für Clinton gestimmt. Und übrigens auch die Mehrheit der Bevölkerung. Der Gender-Gap, also der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Wahlverhalten, betrug elf Prozent, das ist viel.
Der Gender-Gap war bei Obama genauso hoch. Ist die Solidarität unter Frauen ein Mythos?
Ja und nein. Wie gesagt: Die Mehrheit der Frauen hat für Clinton gestimmt. Laut Studien aber ist die Parteizugehörigkeit wichtiger als das Geschlecht. Das war immer so. Am Ende des Tages wählen Republikanerinnen republikanisch und Demokratinnen demokratisch.
Als Barack Obama 2008 Präsident wurde, sprachen alle von einem historischen Moment. Die Tatsache, dass Hillary Clinton die erste Frau im Weißen Haus hätte sein können, geriet zur Nebensache. Warum?
Es gab damals das starke Bedürfnis, mit der Wahl Obamas ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Als er gewählt wurde, war das eine Befreiung. Viele Amerikaner akzeptieren mittlerweile, dass Rassismus institutionalisiert ist, dass Menschen Vorurteile haben und man etwas tun muss. Aber interessanterweise wehren sie sich dagegen, den Sexismus in der Gesellschaft als Tatsache zu akzeptieren.
Ist Sexismus das größere Tabu als Rassismus?
Ja. Viele wollen Frauenfeindlichkeit nicht wahrhaben und zeigen mit dem Finger auf die vielen Studentinnen, die Abschlüsse machen, oder sie zählen Frauen in Führungspositionen auf. Dabei ist der Sexismus tief verankert in der Gesellschaft.
Afroamerikanische Frauen, die viel geschlossener hinter Clinton standen, zeigten sich nach der Wahl verärgert und fühlten sich von weißen Wählerinnen im Stich gelassen. Können Sie das verstehen?
Ja. Solche Diskussionen hatten wir hier auf dem Campus unter Studentinnen auch. Die Wahl Trumps hat viele junge Frauen überrascht und war für viele traumatisierend. Sie brachen in Tränen aus und erzählten von sexuellen Übergriffen - sie waren entsetzt, weil sie in Trump jemanden sehen, der Sexismus toleriert. Andere gaben an, weder Clinton noch Trump gewählt zu haben, weil sie davon ausgingen, dass Clinton gewinnt. Sie standen unter Schock und fragten mich, was sie jetzt tun sollen.
Vier Jahre warten bis zur nächsten Wahl?
Nein. Sie können sich politisch einbringen, wenn sie das möchten.
Oder auf die Straße gehen. Am Samstag wollen in Washington D. C. 200 000 Menschen für die Rechte der Frauen protestieren.
Die Menschen gehen nicht nur in Washington auf die Straße, sondern im ganzen Land. Seit der Wahlnacht werden auch unsere Kurse, die wir zu politischem Aktivismus anbieten, überrannt.
Dann war die Niederlage Clintons ein Erwachen?
Ja.
Clinton-Wähler sagen: etwas spät.
Es ist nie zu spät, sich für Frauenrechte einzusetzen. Ich gehe davon aus, dass die Proteste andauern und die Präsidentschaft Trumps begleiten werden. Frauenorganisationen im Land wollen sich zusammenschließen und ähnlich agieren wie die Tea-Party-Bewegung, die 2009 entstand und konservative Gruppierungen vereinte, um mehr politischen Druck auszuüben.
Gemäß einer Studie bezeichnen 43 Prozent aller republikanischen Wähler die Ziele des Feminismus als erreicht. Die Gleichstellung von Mann und Frau sei Tatsache.
Ich habe diese Studie auch gelesen und leer geschluckt. Die Aussage dieser Männer ist erschreckend, basiert auf subjektiven Empfindungen - und nicht auf Tatsachen. Verglichen mit den Siebzigerjahren hat der Feminismus vieles erreicht. Früher standen Frauen und Männer in Amerika in verschiedenen Reihen an, wenn sie zu Bewerbungsgesprächen erschienen. Doch von Gleichstellung zu reden, das ist Hohn.
Kann man sich als Feminist oder Feministin bezeichnen und gleichzeitig Trump wählen?
Ich kenne viele konservative Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen, denn sie führen ein anderes Leben als ihre Mütter. Sie halten sich noch immer an eher traditionelle Rollenbilder, setzen sich aber für Lohngleichheit ein.
Aus Interviews mit Wählerinnen Trumps geht hervor, dass sie den Feminismus als elitär ansehen. Etwas, was Akademikerinnen und Frauen in der Großstadt betrifft.
Ich kenne diese Vorwürfe. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, mein Vater war Gewerkschafter. Viele seiner Freunde haben Trump gewählt. Sie sagen, erst müssen die Grundbedürfnisse gedeckt sein, bevor sie sich mit Luxusproblemen wie der Gleichstellung beschäftigen. Das ist in meinen Augen Unsinn, denn sie kämpfen ja nicht um Wasser oder ein Dach über dem Kopf. Vom Feminismus profitieren alle, auch wenn sie es nicht einsehen wollen. Dass die Trump-Wahl eine Protestwahl gegen die Elite war, auch die Elite im Feminismus, halte ich hingegen für plausibel. Nur gehört Trump auch zu einer Art Elite, das wird von seinen Wählern oft übersehen.
Trumps Tochter Ivanka gilt als seine Beraterin in "Frauenfragen". Welche Rolle könnte sie spielen?
Sie wolle sich für bezahlten Mutterschaftsurlaub einsetzen, sagte sie in einer Rede. Sie sprach aber nur von gebärenden Frauen, Männer und gleichgeschlechtliche Paare schloss sie aus, was ich nicht für richtig halte. Aber: Es ist besser als gar nichts. Sie will sich, so war zu lesen, vom Trump-Unternehmen zurückziehen und auch keine Beraterrolle übernehmen, sondern sich auf die Kinder konzentrieren. Auch die First Lady wird eine eher klassisch traditionelle Rolle einnehmen, was Donald Trump offenbar wünscht.
Im Vergleich dazu wird Michelle Obama gerade als feministisches Vorbild gefeiert. Obwohl sie doch eigentlich auch eine eher klassische Rolle einnahm.
Michelle Obama hat von Beginn an verkündet, sie wolle sich um ihre Kinder kümmern. Politisch geäussert hat sie sich erst während des Wahlkampfs, worauf ein regelrechter Hype um sie entstand. Davor aber ist sie nicht durch eine explizit feministische Haltung aufgefallen. Sie war Anwältin, bevor sie ins Weisse Haus einzog. Doch populär wurde sie, als sie einen Gemüsegarten anlegte und mit den Händen in der Erde buddelte. Auch das sagt viel aus über unser Land.
Die Politologin und Gender-Expertin Dana Brown arbeitet am Pennsylvania Center for Women and Politics an der Chatham University in Pittsburgh.
Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 20.01.2017