Von "großer Sorge" sprach am Samstag in München noch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf das iranische Atomprogramm. Wenige Stunden nach dem Ende der Sicherheitskonferenz wurde dann am Abend klar, was der Hintergrund dieser Äußerung war: Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) haben in der Islamischen Republik Uran entdeckt, das fast auf das Niveau angereichert war, das allgemein als Schwelle für die Verwendung in Atomwaffen gilt.
Diese liegt bei 90 Prozent Anteil des spaltbaren Isotops Uran 235; das in Iran gefundene Material hat einen Niveau von 84 Prozent. Diplomaten aus westlichen Ländern haben inzwischen einen entsprechenden Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg bestätigt. Damit ist eine scharfe Eskalation im Atomstreit mit Iran wahrscheinlich. Die IAEA selbst nahm zu dem Bericht nicht Stellung und teilte lediglich mit, ihr Generaldirektor Rafael Mariano Grossi erörtere mit Iran Ergebnisse der jüngsten Inspektionen. Nach Auskunft von Diplomaten am Sitz der Behörde in Wien hat die IAEA Iran um eine Erklärung für den Fund der Inspektoren zu geben.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, sollten die Meldungen zutreffen, wäre dies eine "präzedenzlose und sehr schwerwiegende Entwicklung". Baerbock sagte am Montagabend in Brüssel, man warte den Bericht der IAEA ab. Sie machte zugleich aber deutlich "wie wichtig es ist, dass es zu keiner Eskalation kommt". Die Europäer appellierten an Iran, die Anreicherung nicht auszuweiten.
Absichtlich produziert oder unabsichtlich entstanden?
Der Sprecher der Iranischen Atomenergieorganisation, Behrouz Kamalvandi, dementierte laut der amtlichen Nachrichtenagentur Irna die Produktion von Uran mit einem Anreicherungsgrad von mehr als 60 Prozent. "Bisher haben wir keinen Versuch unternommen, auf mehr als 60 Prozent anzureichern", sagte er. Die Existenz von Uranpartikeln mit einem höheren Anreicherungsgrad bedeute nicht, dass die Produktion mit einem Anreicherungsgrad von mehr als 60 Prozent erfolge.
Westliche Diplomaten sagten, es müsse geklärt werden, ob das Material absichtlich produziert worden sei oder ob es unbeabsichtigt entstanden sei. Iran hatte in der Urananreicherungsanlage in Fordow technische Änderungen an zwei Kaskaden mit Gasultrazentrifugen vorgenommen, die zur Anreicherung dienen. Diesen Eingriff hätte Teheran laut der IAEA deklarieren müssen, was aber nicht geschah. Iran hat demnach die Verbindungsrohre zwischen den Maschinen und den beiden Kaskaden verändert, die zuvor Uran auf 60 Prozent angereichert hatten. Wird die Konfiguration der Rohre geändert, mit denen das gasförmige Uranhexafluorid in die Zentrifugen eingespeist und aus ihnen abgeleitet wird, kann sich das auf den Anreicherungsgrad auswirken.
Der frühere Chefinspektor der IAEA, Olli Heinonen, der inzwischen für das Stimson Center in Washington arbeitet, bezweifelt allerdings, dass es sich um einen Fehler oder ein Versehen handelt. Man müsse den Bericht der IAEA abwarten, der die Fakten klarstellen werde, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Möglich sei, dass Iran bereits stark angereichertes Uran in eine Kaskade eingespeist habe, die normalerweise mit Ausgangsmaterial mit einem geringeren Niveau betrieben werde.
Denkbar sei auch, dass Iran Versuche zur Anreicherung auf waffenfähiges Niveau unternommen habe, ohne am Ende derartiges Material zu produzieren. Technisch ist das möglich, indem in eine Kaskade Uran mit einem gewissen Anreicherungsgrad eingespeist wird. In den Zentrifugen wird ein Teil des Materials, das Produkt, dann weiter angereichert. Der andere Teil wird abgereichert, gewissermaßen der Abfall. Werden diese beiden Ströme am Ende wieder miteinander vermischt, hat das Endprodukt denselben Anreicherungsgrad wie das Ausgangsmaterial.
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Allerdings würden solche Versuche Iran technische Erkenntnisse bringen für die Produktion von waffenfähigem Material. Die Inspektoren könnten dies etwa feststellen, wenn sie Proben an einer Stellen aus der Anlage nehmen, bevor die beiden Uranströme wieder vermischt werden. Heinonen verwies auch darauf, dass Uran mit einem Anreicherungsgrad mit 84 Prozent bereits für militärische Zwecke geeignet sei - die 1945 von den USA über Hiroshima gezündete Bombe habe Uran mit einem Anreicherungsgrad von lediglich 80 Prozent enthalten. Gegenüber 90-prozentigem Uran ist dann allerdings eine größere Menge Uran erforderlich, um die kritische Masse zu erreichen, die eine nukleare Kettenreaktion auslöst.
In Brüssel befassten sich die EU-Außenminister am Montag vor allem mit den schweren Menschenrechtsverletzungen in Iran und beschlossen neue Sanktionen. Diese richten sich gegen 32 Personen und zwei Organisationen, wie aus dem EU-Amtsblatt hervorgeht. Neben Richtern, Staatsanwälten und Gefängnisdirektoren wurden auch der Minister für Kultur und Islamische Führung, Mohammed-Mehdi Esmaeili, sowie der Bildungsminister Jussef Nuri am Montag mit Strafmaßnahmen belegt. Nuri wird für die willkürliche Verhaftung von Schülern verantwortlich gemacht, Esmaeili für Repressionen gegen Musiker, Filmemacher, andere Kunstschaffende und Journalisten.
Baerbock sagte, sie habe sich dafür eingesetzt zu prüfen, ob es möglich sei, die Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen. Der juristische Dienst des Europäischen Auswärtigen Dienstes sei in einem Rechtsgutachten allerdings zur Auffassung gelangt, dass die Voraussetzungen dafür derzeit nicht erfüllt seien. Geprüft hatte der Dienst, ob Urteile in Ländern außerhalb der EU als Ausgangspunkt für eine solche Einstufung ausreichen. Das sieht der Dienst bei den geprüften konkreten Fällen nicht als gegeben.