Sicherheitspolitik:Zwischen Einigung und Kollaps

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(Foto: AFP, imago. Illustration: Stefan Dimitrov)

Die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit Iran sind in der Endphase angelangt - ein Scheitern könnte parallel zur Ukraine-Krise eine Eskalation im Nahen Osten auslösen.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Es klingt wie ein Widerspruch, was jüngst ein hochrangiger US-Diplomat über die Atomgespräche mit Iran gesagt hat, die vergangene Woche in Wien wieder begonnen haben. Man sei sowohl "näher an einer Einigung, als wir es waren", als auch "näher an einem Zusammenbruch der Gespräche". Beide Ergebnisse seien "noch immer sehr gut möglich" - und damit recht unterschiedliche Auswirkungen auf die Krisenregion zwischen Levante und Persischem Golf, in der sich das Machtgefüge gerade neu sortiert. Eine Eskalation dort würde die USA, die eigentlich ihr Engagement reduzieren wollen, stark binden - und das inmitten der Krise mit Russland und des Aufmarsches an der Grenze zur Ukraine.

Grund für verhaltenen Optimismus sind gewisse Fortschritte, die in der achten und finalen Runde der Verhandlungen erzielt worden sind. Die "Elemente für eine mögliche Einigung" lägen weitgehend auf dem Tisch, heißt es aus dem Kreis der Unterhändler in Wien; das Ziel ist die Rückkehr zum Atomabkommen aus dem Sommer 2015.

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Nicht nur Frankreich, Großbritannien und Deutschland (E3 genannt), die unter Leitung von EU-Verhandlungsführer Enrique Mora mit dem iranischen Gesandten Ali Bagheri-Kani im Palais Coburg beraten, halten den vorliegenden Text für tragfähig. Dem Vernehmen nach gilt das auch für China und Russland, die mit am Tisch sitzen. Russlands Botschafter bei den UN in Wien, Michail Uljanow, twitterte zu Wochenbeginn nach einem Treffen mit seinen westlichen Kollegen, alle Einschätzungen seien "positiv". Die Zusammenarbeit in Wien funktioniert bislang ungeachtet der Spannungen zwischen den Weltmächten.

Er konnte die Hardliner in Teheran offenbar noch nicht überzeugen: Der iranische Unterhändler Ali Bagheri Kani vergangene Woche in Wien. (Foto: Georges Schneider/imago images/Xinhua)

Skepsis speist sich daraus, dass die Hardliner-Regierung von Präsident Ebrahim Raisi bislang keine Bereitschaft zeigt, auf das vorliegende Angebot einzugehen, obwohl Bagheri-Kani zu zehntägigen Beratungen nach Teheran gereist war. Zudem weigert er sich weiter, direkt mit dem US-Unterhändler Rob Malley zu sprechen, obwohl Iran das in Aussicht gestellt hatte und Außenminister Hossein Amir-Abdollahian betont, sein Land sei "in Eile", den Deal mit den Amerikanern wiederzubeleben. Sehr bald aber wird Iran sein Nuklearprogramm so weit vorangetrieben haben, dass das Abkommen aus Sicht der Europäer und der USA seinen Wert weitgehend verliert - die Frist, die sie sich gesetzt haben, läuft Ende Februar, spätestens Anfang März aus. Ein Abbruch der Gespräche wäre die Folge.

Iran hat neue Zentrifugen und viel Uran gehortet. Das ist nicht schnell zurückzudrehen

Die Vereinbarung soll Iran auf Sicherheitsabstand zu Atomwaffen halten, sodass den USA und ihren Verbündeten genug Zeit für eine Reaktion bliebe - notfalls eine militärische, sollte das Regime entgegen seinen Beteuerungen nach der Bombe greifen. Die Beschränkungen für das Nuklearprogramm sollten sicherstellen, dass die Islamische Republik mindestens zwölf Monate brauchen würde, um genug spaltbares Material für einen Sprengkopf zu produzieren. Daraus eine Waffe zu bauen, so schätzen westliche Geheimdienste, würde Teheran noch mal ein bis zwei Jahre kosten.

Derzeit ist diese Ausbruchsfrist auf vier bis acht Wochen zusammengeschnurrt. Iran hat nach dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus der Vereinbarung im Mai 2018 das Atomprogramm drastisch ausgebaut. Seine Techniker haben neue, weit leistungsfähigere Zentrifugen entwickelt und installiert, die den Stoff für die Bombe produzieren. Sie haben ein Vielfaches an Uran gehortet und Teile davon fast so hoch angereichert wie für Atomwaffen erforderlich. Und sie haben metallisches Uran hergestellt, das man für den Kern einer Sprengkopfes braucht, nicht aber für die zivile Nutzung.

Ursprünglich lautete die Formel, um dem Abkommen neues Leben einzuhauchen, "Einhaltung gegen Einhaltung" - Iran solle alle Beschränkungen des Abkommen wieder strikt umsetzen. Und die USA dafür alle von Trump gegen das Atomprogramm verhängten Sanktionen aufheben. Allerdings ließe sich selbst dann die ursprüngliche Ausbruchszeit nicht wiederherstellen. Technische Fortschritte, die Iran gemacht hat, lassen sich nicht zurückdrehen. Sechs bis neun Monate gelten Experten als realistisch - wenn alle anderen Variablen in der komplizierten Gleichung stimmen und die strikte Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) wieder in vollem Umfang greifen würde.

Seit Jahren gibt es internationale Befürchtungen, Teheran arbeite am Bau von Atomwaffen. (Foto: Vahid Salemi/dpa)

In Wien aber stellen sich die Iraner nicht nur bei den problematischen Zentrifugen quer. Sie fordern auch, dass die USA weit mehr unilaterale Strafmaßnahmen aufheben müssen - auch Hunderte, die nicht mit dem Atomdeal in Verbindung stehen. Etwa 30 Prozent der schwierigen Fragen müssten noch gelöst werden, dann könne ein Deal Anfang März stehen, heißt es aus der iranischen Delegation.

Das gilt westlichen Diplomaten als unrealistisch; sie wollen nur noch geringfügige Änderungen am Text hinnehmen. Manche Fragen müssten Iran und die USA allerdings unter sich klären, heißt es - am einfachsten in direkten Gesprächen. Dabei dürfte es neben den Sanktionen auch um von Iran geforderte Garantien gehen, dass die USA nicht erneut aus dem Abkommen aussteigen und Teheran nach der Aufhebung der Sanktionen tatsächlich in den Genuss wirtschaftlicher Vorteile kommt. Auch die Reihenfolge der Schritte im Falle einer Rückkehr zum Abkommen und deren Überprüfung wäre zu klären und gilt als durchaus komplex.

Würde Teheran mit Zugriff auf Milliarden wieder Huthis, Hisbollah und andere fördern?

Staaten aus der Region verfolgen die Verhandlungen mit Skepsis. Eine Delegation aus Israel traf sich Mitte der Woche demonstrativ mit Vertretern der IAEA und dem russischen Botschafter Uljanow in Wien; auch Treffen mit allen anderen Delegationen waren geplant - selbstredend mit Ausnahme der iranischen. In Teheran schäumen die Hardliner der Revolutionsgarden angesichts des Manövers, mit dem Israel einen zu nachgiebigen Deal verhindern will. Gerne weisen sie darauf hin, dass sich der Sanktionsexperte der USA und zwei weitere Mitglieder aus Malleys Team verabschiedet haben, weil sie dessen Position für zu weich hielten.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate sind in den vergangenen Wochen wiederholt mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen von den Huthi-Milizen in Jemen attackiert worden - Waffen, die das Regime in Teheran ihnen liefert. Die USA sahen sich gezwungen, Kriegsschiffe und Kampfjets in die Region zu verlegen - auch eine Warnung an Teheran. Alle Aussichten, den Jemen-Konflikt politisch beizulegen, sind durch eine Eskalation der Kämpfe im Land in weite Ferne gerückt. Und damit auch die Annäherung über den Golf hinweg, die unter anderem der amtierende irakische Regierungschef Mustafa al-Kadhimi zu vermitteln suchte.

Ohnehin suchen die sunnitischen Golfmonarchien den Schulterschluss mit Israel gegen den schiitischen Rivalen, Riad verdeckt und Abu Dhabi offen. Eine Wiederbelebung des Abkommens sehen sie alle drei kritisch, weil der nun in Rede stehende Deal, anders als von US-Präsident Joe Biden ursprünglich avisiert, weder dem destabilisierenden Verhalten der Revolutionsgarden in der Region Einhalt gebietet noch dem iranischen Raketenprogramm, das ihnen als ernste Bedrohung gilt.

Auch fürchten sie, dass Iran den Zugriff auf Milliarden Dollar wieder dafür nutzt, die Huthis, die Hisbollah im Libanon und andere von den Revolutionsgarden kontrollierte Milizen in Syrien und im Irak zu unterstützen. Allerdings gibt es Stimmen etwa im israelischen Sicherheitsapparat, die eine Rückkehr zum Abkommen als bessere Alternative sehen als ein endgültiges Scheitern. In diesem Fall dürfte sich Iran schnell an die Schwelle zur Atommacht vortasten - und in Israel massiv der Druck auf Premier Naftali Bennett wachsen, den Militärübungen für einen Angriff auf Irans Atomanlagen Taten folgen zu lassen.

In Wien wollten die Unterhändler die Woche über ein Gefühl dafür erlangen, ob der iranische Unterhändler Bagheri-Kani vom Obersten Führer Ali Chamenei autorisiert ist, den Deal zu besiegeln. An diesem Wochenende in München werden sich dann die E-3-Außenminister abstimmen - offenbar auch mit ihrem US-Kollegen Tony Blinken. Krisendiplomatie ist nicht auf die Ukraine beschränkt dieser Tage.

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