Indien:Die Sonne als Feind

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Der Fluss Tawi - oder das, was davon in der Hitze noch nicht verdunstet ist - im indischen Jammu. Nach der Hitze werden wieder Überschwemmungen erwartet. (Foto: Channi Anand/AP)

In Indien sind binnen weniger Tage mehr als 90 Menschen an den Folgen einer Hitzewelle gestorben. Experten machen den Klimawandel verantwortlich. Doch nun wird das Thema auch politisch.

Von David Pfeifer, Goa

Dass die Hitze wirklich zum Feind wird, kann man sich vermutlich schwer vorstellen, in Europa, wo es mal ein bisschen zu kalt oder zu warm ist. In Indien aber brennt die Sonne derzeit so herunter, dass man die Straßenseite wechselt, um einen schmalen Streifen Schatten zu erwischen. Bei 45 Grad Celsius mag man kaum noch tief in die Lungen atmen, weil es brennt. Man schwitzt, aber der Schweiß verdampft sofort.

Im Distrikt Ballia, der im bevölkerunsgreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh liegt, wurden nun 54 Hitzetote allein zwischen vergangenem Donnerstag und dem Wochenende gemeldet. Auch aus dem Bundesstaat Bihar, der an Uttar Pradesh grenzt, berichteten lokale Zeitungen, dass seit dem 1. Juni mindestens 45 Menschen an den Folgen der enormen Hitze gestorben sind. Die Temperaturen in Uttar Pradesh liegen derzeit zwischen 42 und 47 Grad Celsius. Die Hitzewelle wurde durch Probleme mit der Stromversorgung noch verschärft. Die Regierung hat älteren Menschen geraten, in den Häusern zu bleiben. Doch wenn bei mehr als 40 Grad weder Klimaanlage noch Ventilatoren laufen, wird die Situation unerträglich.

Extreme Hitze "wirkt sich direkt auf die Gesundheit aus"

Laut einem Bericht der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet aus dem vergangenen Jahr ist die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in Indien zwischen den Untersuchungszeiträumen 2000 und 2004, sowie 2017 und 2022, um 55 Prozent gestiegen. Und es besteht nach wissenschaftlicher Einschätzung kein Zweifel daran, dass diese Steigerungen auf die Erderhitzung zurückzuführen sind. Extremwetter treten häufiger auf, die üblichen Hitzewellen dauern länger an und sind intensiver.

"Die Exposition gegenüber extremer Hitze wirkt sich direkt auf die Gesundheit aus", hieß es in der Lancet-Studie. Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschlimmern sich, es kommt zu Hitzschlägen, Schwangerschaftsproblemen, Schlafproblemen, die psychische Verfassung verschlechtert sich, Todesfälle durch Konzentrationsmangel, zum Beispiel bei der Arbeit, nehmen zu.

Eine Patientin wartet in der Hitze vor einem Krankenhaus in Ballia, Uttar Pradesh. (Foto: AP/AP)

Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass etwa 330 000 Menschen in Indien an den Folgen von Feinstaubbelastungen gestorben sind. Die Abhängigkeit Indiens von der Verbrennung von Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle führe dazu, dass die durchschnittliche Feinstaubkonzentration in den Haushalten die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation um das 27-Fache übersteigt, so der Bericht. Indien ist weltweit einer der größten CO₂-Emittenten. Allerdings nur, wenn man die Menge nicht auf die riesige Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen umrechnet, dann landen die europäischen Länder und auch die USA vor Indien.

Bei der Schuldfrage wird das Thema politisch. So berichteten Nachrichtenagenturen am Montag, dass Diwakar Singh, Leiter des Bezirkskrankenhauses von Ballia, Reportern erklärt hatte, etwa 25 Menschen seien gestorben und die Hitze könnte ein Faktor gewesen sein. Einen Tag später wurde er von seinem Posten versetzt. Brajesh Pathak, der stellvertretende Ministerpräsident des Bundesstaates, bezeichnete die Aussage von Singh in Sozialen Medien als "unvorsichtig", fügte aber hinzu, dass die Regierung die Situation "sehr ernst" nehme.

Die Verwaltung stellt die Hitze als Todesursache infrage

Die Opposition warf der Regierung vor, die Bevölkerung nicht ausreichend gewarnt zu haben. "Diejenigen, die ihr Leben verloren haben, weil sie nicht rechtzeitig mit Lebensmitteln, Medikamenten und Behandlungen versorgt wurden, sind arme Bauern", erklärte beispielsweise Akhilesh Yadav, ehemaliger Ministerpräsident von Uttar Pradesh. "Es gab Todesfälle im Distrikt, aber es ist sehr schwierig zu sagen, ob dies auf die Hitzewelle zurückzuführen ist", sagte daraufhin der oberste Verwaltungsbeamte des Distrikts der Nachrichtenagentur Reuters, ohne die Zahl der Todesfälle zu bestätigen. "Einige Todesfälle stehen im Zusammenhang mit dem hohen Alter, andere haben andere Gründe. Es gibt keine konkreten Hinweise darauf, dass die Hitzewelle hinter diesen Todesfällen steckt."

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Während die Hitzewelle weiter anhalten soll, wurden Teile des nordöstlichen indischen Bundesstaates Assam von ersten Überschwemmungen heimgesucht, die durch starke Regenfälle ausgelöst wurden. An der Ostküste Indiens wurde vor einem Zyklon gewarnt und der Wüstenstaat Rajasthan erlebt sintflutartige Regenfälle, Dörfer, Straßen und Bahngleise sind überflutet.

"Die Niederschlagsintensität in Assam und anderen nordöstlichen Bundesstaaten wird in dieser Woche wahrscheinlich zunehmen. In vielen Gebieten werden in dieser Woche starke bis extrem starke Regenfälle erwartet, die zu weiteren Überschwemmungen führen könnten", sagte ein hoher Beamter des indischen Wetteramts Reuters. Den Kreislauf kennt man bereits aus den vergangenen Jahren, erst verdorren die Ernten. Dann kommt zu viel Wasser und ertränkt das Land.

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