Rechte Tendenzen in Hessens Polizei:Schluss mit Schönreden und Relativieren

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Ein Polizist steht bei einer Razzia im Kasseler Problemviertel um den Platz "Am Stern" vor Passanten. (Foto: dpa)

Es geht nicht, dass die hessische Polizei eine Gefahr aufklärt, die aus ihr selbst kommt. Eine schonungslose Aufarbeitung von außen wird wehtun, doch sie ist notwendig.

Kommentar von Matthias Drobinski

Wenn jemand im demokratischen Rechtsstaat Mails bekommt, die ihm den Tod androhen, dann geht er normalerweise zur Polizei. Die soll ihn schützen und herausfinden, wer der Täter ist. Sie tut das in der Regel ernsthaft und mit einigem Aufwand. Todesdrohungen sind ernst zu nehmen, besonders dann, wenn die Bedrohten Frauen und Männer sind, die im öffentlichen Leben stehen, und wenn die Drohung von Rechtsextremen kommt. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, dass diese Szene willens und in der Lage ist, äußerste Gewalt anzuwenden.

Was aber, wenn die Todesdrohung von der Polizei selbst kommt? Dann wird das Schutzversprechen zur Lüge. Die Polizei, dein Feind und möglicher Mörder - das ist der Abgrund des Verdachts, dem sich Polizei und Innenministerium samt Minister Peter Beuth nun stellen müssen. Seit zwei Jahren erhält die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız unsägliche Mails. Seit Februar trifft es die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, nun auch die Linken-Politikerinnen Anne Helm und Martina Renner. Offenbar sollen sich vor allem Frauen fürchten. Die Mails enthalten Angaben, die öffentlich nicht zugänglich sind. 2018 stammten sie aus einem Polizeicomputer in Frankfurt, nun aus einem in Wiesbaden.

Gibt es ein rechtes Netz in Hessens Polizei - oder zumindest eine Unterstützerstruktur für den (oder die) Täter, der sich sehr sicher fühlen muss? Gibt es Verschweige- und Kameradschaftsstrukturen, die Mitwisser einschüchtern und verstummen lassen? Gibt es eine Grundstimmung, dass das Bild der Polizei um jeden Preis unangekratzt bleiben muss, dass als Nestbeschmutzer gilt, wer sagt: Mit mir nicht? Erstmals hat nun Innenminister Beuth angedeutet, dass der von ihm eingesetzte Sonderermittler diese Fragen mit Ja beantworten könnte.

Lange hat der CDU-Minister behauptet, es gebe kein Strukturproblem in der Polizei, sondern ärgerliche Einzelfälle, Drohmails halt und ein paar Dutzend Polizisten, die man wegen rechter Umtriebe vom Dienst suspendieren musste. Das ist ein Teil des Problems. Wenn der Chef der Polizei auch der oberste Relativierer und Schönredner ihrer Probleme ist, dann bleiben schon mal Informationen im Gestrüpp des Ministeriums oder des Landeskriminalamts stecken. Dann bleibt der Eifer begrenzt, den oder die Absender der Drohmails zu finden, die ja schon seit zwei Jahren verschickt werden.

Es wird nicht genügen, dass die Polizei eine Gefahr aufklärt, die aus der Polizei selbst kommt

Hanspeter Mener, ein erfahrener Kriminaldirektor, soll nun den oder die Täter ermitteln und herausfinden, was schiefgelaufen ist in Hessens Polizei. Das ist so notwendig wie ehrenhaft. Es wird aber nicht genügen; die Selbstaufklärung einer Institution funktioniert nur begrenzt. Ohne einen Ermittler, der außerhalb der hessischen Polizeistrukturen steht, wird die Wahrheitsfindung bruchstückhaft bleiben, die notwendige Änderung begrenzt, das Vertrauen in die hessische Polizei angeknackst.

Eine schonungslose Aufklärung von außen wird wehtun. Sie ist aber den Menschen geschuldet, die in Angst leben müssen vor einer Gefahr, die aus der Polizei selbst kommt. Und sie ist den vielen Polizistinnen und Polizisten geschuldet, die für die Sicherheit im Land sorgen - und die es nicht verdient haben, dass ein falscher Generalverdacht sich festsetzt: Die sind ja sowieso alle rechtsradikal.

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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