Gaza-Krieg und Israel:UN bestätigen Welle sexualisierter Gewalt

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Ein UN-Team hat vier Tatorte besichtigt, darunter das Gelände eines Musik-Festivals in der Nähe des Gazastreifens. (Foto: Ohad Zwigenberg/AP)

In einem Bericht belegt ein Team der Vereinten Nationen, dass Hamas-Terroristen am 7. Oktober massiv Frauen vergewaltigt haben. Und es fürchtet, im Gazastreifen würden Geiseln weiter gefoltert.

Von Tomas Avenarius, Tel Aviv

Beim Terrorangriff der Hamas auf den Süden Israels sind Frauen nachweislich massiver sexualisierter Gewalt ausgesetzt worden. Die israelische Regierung hatte dies schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 bekannt gegeben; sie hatte umfangreiche Belege in Form von Fotos und Videos veröffentlicht, die die Militanten oft selbst von den noch lebenden oder getöteten Israelinnen gemacht hatten und die auch im Internet kursierten. Nun hat ein Team der Vereinten Nationen (UN) nach einer knapp zweiwöchigen Recherche-Reise durch Israel die Welle sexualisierter Gewalt bestätigt.

Pramila Patten, die die Mission geleitet hatte und Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Fragen sexueller Gewalt in Konflikten ist, wies aber auch auf Unklarheiten in zahlreichen Fällen hin. Monate nach dem Terrorangriff lasse sich vieles nicht mehr glaubhaft rekonstruieren, erklärte sie. "Das Fehlen forensischer Belege beschränkte die Möglichkeiten des Teams in vielen Fällen, klare forensische Schlüsse zu ziehen." Zumindest zwei aufsehenerregende Gräueltaten hätten zudem nicht stattgefunden, heißt es in dem UN-Report.

Noch immer sind mehr als 100 Personen in der Gewalt der Hamas

Von den rund 1200 Todesopfern des Hamas-Überfalls waren zahlreiche Frauen: Zivilistinnen, Soldatinnen, Mädchen und Seniorinnen. Unter den etwa 230 Geiseln, die von den Hamas-Militanten in den Gazastreifen verschleppt wurden und von denen noch immer mehr als 100 Personen in der Gewalt der Hamas sind, sind ebenfalls Frauen. Verübt wurde die sexualisierte Gewalt vonseiten der palästinensischen Hamas-Kämpfer oder von Zivilisten, die im Gefolge der Militanten aus Gaza in eigener Regie in die überfallenen Ortschaften eingedrungen waren.

Israels Verweis auf sexualisierte Gewalt in großem Ausmaß war von Kritikern international und vor allem in der arabischen Welt massiv angezweifelt worden. Der zurückhaltend formulierte UN-Bericht bestätigt nun aber eindeutig, dass es solche Vorfälle gab. Ebenso betonte die UN-Mission in dem Bericht ihre Befürchtung, dass die Frauen, die sich noch immer in der Hand der Hamas befinden, weiterhin sexueller Folter ausgesetzt sein könnten. Die israelische Führung begrüsste den Bericht, die Hamas wies ihn zurück.

Über das gesamte Ausmaß der sexualisierten Gewalt am 7. Oktober schweigt sich der UN-Untersuchungsbericht ausdrücklich aus. Mindestens zwei der von israelischen Medien oder der Regierung genannten Gräueltaten habe man widerlegt. So hatten Berichte kursiert, dass einer lebenden Schwangeren der Fötus aus dem Leib geschnitten worden sei, bevor sie erschossen wurde. Dies stimmt dem UN-Bericht zufolge nicht.

5000 Fotos und 50 Stunden an Filmmaterial

Die UN-Sonderbeauftragte Pramila Patten wies auf zahlreiche Unklarheiten bei ihren Ermittlungen hin. Viele der auf Fotos zu sehenden Leichen seien durch Schussverletzungen, Brände oder Explosionen verstümmelt. Zudem seien die Opfer im Chaos des Überfalls und der Tage danach oft nicht von Fachleuten geborgen worden. Die am 7. Oktober und in den darauffolgenden Tagen in den Süden Israels gekommenen Helfer hätten oft keine forensischen Kenntnisse gehabt. Offenbar haben sie bei ihrer Arbeit ungewollt Spuren verwischt oder zerstört. Wegen der religiösen Traditionen seien viele Tote auch sehr schnell bestattet worden.

Klar sei, dass die Leichen zahlreicher Frauen teilweise oder ganz unbekleidet und oft auch gefesselt aufgefunden worden seien. Auch auf den Videos, die die Entführung der 253 Geiseln in den Gazastreifen zeigten, waren Frauen zu sehen, die nur teilweise bekleidet und verletzt waren. Der Hergang bleibe auch in diesen Fällen situationsbedingt unklar, so der Bericht.

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Das UN-Team war rund zwei Wochen in Israel unterwegs. Es hatte vier Tatorte - eine überfallene Militärbasis, den Kibbuz Be'eri, das ebenfalls überfallene Gelände des Supernova-Tanzfestivals und einen bestimmten Abschnitt einer Landstraße besichtigt. An diesen Orten kam es offenbar auch zu sexualisierter Gewalt. Die Experten hatten mit Regierungs- und Behördenvertretern sowie mit Repräsentanten von Armee, Polizei und dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet gesprochen. Dem Team seien dabei 5000 Fotos und 50 Stunden an Filmmaterial vorgelegt worden. Bilder und Videos dokumentieren zumindest Teile des Angriffs. Sie waren von den Militanten, aber auch von Überlebenden und Rettungskräften sowie von Überwachungskameras gedreht worden.

Die UN-Vertreter trafen auch Überlebende des Überfalls, Angehörige von Getöteten oder Entführten sowie Geiseln, die inzwischen aus dem Gazastreifen frei gekommen sind. Nicht sprechen konnten die UN-Experten trotz aller Bemühungen mit den überlebenden Opfern sexualisierter Gewalt selbst. Mit Rücksicht auf die schwere Traumatisierung habe man diese Frauen psychisch nicht noch stärker belasten wollen. Ob dies nur die Sichtweise der israelischen Seite oder aber auch der UN-Experten war, wird aus dem Bericht nicht klar. Im Bericht heißt es, die Überlebenden misstrauten den staatlichen Institutionen Israels ebenso wie den UN oder den Medien.

Israel äußerte sich am Dienstag verärgert über die Reaktion der UN auf den Bericht. Außenminister Israel Katz kritisierte, UN-Generalsekretär António Guterres hätte sofort den Sicherheitsrat einberufen und die Hamas zur Terrororganisation erklären müssen. Aus Protest habe er den israelischen Botschafter bei den UN zurückgerufen.

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