Krieg in Nahost:Russlands Kanäle zur Hamas

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Möchte Russland als Vermittler ins Spiel bringen: Außenminister Sergej Lawrow traf sich am Montag mit dem Chef der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit (Foto: Ergei Ilnitsky/AFP)

Moskau sieht sich als Vermittler - und könnte überhaupt einer der Profiteure des Konflikts zwischen Palästinensern und Israel sein.

Von Frank Nienhuysen

Auch für Moskau gibt es schlechte Nachrichten vom Nahost-Krieg. Zwei Russen sind bei den Angriffen der Hamas gegen Israel getötet worden, teilte die russische Botschaft in Tel Aviv am Dienstagmorgen mit. Außerdem gab die Hamas zu, dass unter den vielen Geiseln im Gazastreifen auch russische Staatsbürger sind. Und als die palästinensische Terrorgruppe Israel beschoss, traf eine Rakete in Abu Ghosh nahe Jerusalem die Achmad-Kadyrow-Moschee, eine der größten Moscheen Israels, benannt nach dem Vater des tschetschenischen Oberhaupts und Putin-Alliierten Ramsan Kadyrow.

Russland hätte also gute Gründe, die Angriffe der Hamas scharf zu verurteilen. Das tat es aber nicht. Moskau hat eher grundsätzlich gefordert, dass die Gewalt gestoppt werden müsse, und zu Friedensgesprächen aufgerufen. Von Kremlchef Wladimir Putin war erst mal tagelang überhaupt nichts zu hören. Am Dienstag schimpfte er dann auf die USA. Die Angriffe seien ein "starkes Beispiel für das Scheitern der USA", die versucht hätten, die Politik im Nahen Osten zu monopolisieren. Sie hätten sich nicht für einen eigenen souveränen Palästinenserstaat eingesetzt. Der ehemalige Präsident Dmitrij Medwedjew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats, beschuldigte den Westen, die USA insbesondere, die Gefahr zum 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Kriegs nicht erkannt zu haben.

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Die Terrororganisation Hamas hat ihre Anhänger nach israelischen Angaben für diesen Freitag zu Protesten aufgerufen. Die Regierung fürchtet weltweit Angriffe auf Israelis und Juden. Die Knesset billigt das Kriegskabinett.

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Hamas-Vertreter waren im März in Moskau

Moskau zögert nicht, im eigenen Land Organisationen als "extremistisch" zu verbieten, aber es scheut davor zurück, die Hamas - anders als etwa die afghanischen Taliban - als terroristische Organisation einzustufen. Im Gegenteil: Vertreter der Palästinensergruppe waren erst im März zu Besuch bei Außenminister Sergej Lawrow in Moskau gewesen.

Die Beziehungen Russlands zur Hamas reichen bis weit in die sowjetischen Zeiten zurück, als Moskau sich im Nahost-Konflikt auf die Seite der Palästinenser stellte - als Gegengewicht zu Israel, das von den USA unterstützt wurde. Auch im Russland unter Putin sind die Verbindungen zur Hamas geblieben, natürlich auch zur palästinensischen Fatah-Organisation. Hamas, Fatah, Islamischer Dschihad: Moskau will möglichst mit allen reden können. Zudem hat Russland ein pragmatisches Verhältnis zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der bisher darauf verzichtet hat, die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland mit israelischen Waffensystemen zu unterstützen.

Es spricht vieles dafür, dass auch Russland vom Höllenfeuer der Hamas überrascht worden ist. Moskaus Position ist noch immer die, dass es einen unabhängigen Palästinenserstaat geben solle, mit Ostjerusalem als dessen Hauptstadt. Das aber dürfte derzeit noch schwerer zu erreichen sein, erst recht, wenn Israel, wie erwartet wird, eine Bodenoffensive im Gazastreifen startet. Der russische Außenminister Lawrow versucht nun offensichtlich, sich als Vermittler ins Spiel zu bringen und möglichst viel Einfluss zu halten, wo er ihn zu verlieren droht. Israel spürt gerade die große Unterstützung insbesondere der Amerikaner und Europäer.

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Am Montag traf sich Lawrow bereits mit dem Chef der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit. Nach russischen Medienberichten soll auch ein baldiger Besuch von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Moskau vorbereitet werden. Russland sei bereit, bei der Lösung des Konflikts zu helfen, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow am Dienstag. Und betonte, dass in Israel viele Russen lebten. Was er nicht erwähnte: dass Russland als enger Verbündeter Irans gilt, das wiederum die Hisbollah unterstützt, die ebenfalls mit Israel verfeindet ist.

Geburtstagsgeschenk für Putin?

Viele argwöhnen, dass der aufgeflammte Krieg in Nahost ohnehin Russland zugute komme. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte etwa, dass der Konflikt zwischen der Hamas und Israel eine neue Migrationswelle Richtung Europäische Union auslösen könne. Der Krieg spiele unausweichlich Russland in die Hände, weil es die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft vom Krieg gegen die Ukraine abziehe. Auch die ukrainische Führung befürchtet, dass die Unterstützung vor allem durch die USA leiden könnte.

Ausgesetzt ist nun auch die große Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, die von den USA eingefädelt wurde und gar nicht nach dem Geschmack Russlands gewesen sein dürfte. Die Zeitschrift Politico zitierte sogar einen EU-Diplomaten mit den Worten, der Angriff der Hamas gegen Israel sei "wahrscheinlich das beste Geburtstagsgeschenk für Wladimir Putin", weil er die Aufmerksamkeit teilen werde und die USA sich auf Israel konzentrieren würden. Putin wurde am Samstag 71 Jahre alt.

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