Terror:Welche Rolle spielte Teheran beim Angriff der Hamas?

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Ein Iraner schwenkt in Teheran am Samstag, als der Angriff auf Israel begann, eine palästinensische Flagge. (Foto: Wana News Agency/Reuters)

Laut einem Bericht hat Iran den Überfall auf Israel angeordnet. Wenn das wahr ist, droht im Nahen Osten ein Flächenbrand. Aus Jerusalem und Teheran kommen Dementis.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Trifft die Darstellung des Wall Street Journal zu, war es nicht die Hamas allein, die ihren Überfall auf Israel plante. Letztlich seien die Befehle dafür aus Teheran gekommen, schreibt die US-amerikanische Tageszeitung, und sie nennt Details: Über Wochen hinweg habe es Treffen der Hamas mit der iranischen Führung gegeben, an denen selbst Hossein Amir-Abdollahian, Irans Außenminister, teilgenommen haben soll. Am Montag vergangener Woche schließlich hätten die iranischen Revolutionsgarden der Hamas in Beirut grünes Licht gegeben.

Was die Zeitung beschreibt, wäre die Ausgangslage eines großen Krieges im Nahen Osten - jenes direkten Konflikts zwischen Israel und Iran, der seit vielen Jahren möglich war, den aber bisher alle Seiten vermieden haben. Ein solcher Krieg hätte eine enorme Dimension. Im Nahen Osten würden sich zwei der stärksten militärischen Mächte gegenüberstehen.

Für Israel, das frisch traumatisierte Land, würde es zunächst bedeuten, dass das Land in einen Zweifrontenkrieg gerät. Neben den bevorstehenden Kämpfen in Gaza müsste die israelische Armee auch im Norden in den Krieg ziehen, an der Grenze zu Libanon - gegen die mit Iran verbündete Hisbollah und womöglich auch gegen iranische Einheiten selbst. Am Montagabend beschossen Armeehubschrauber Ziele in Südlibanon, nachdem offenbar einzelne Personen von dort nach Israel eingedrungen waren.

Militärisch ist die Hisbollah stärker als die Hamas

Die Hisbollah genießt es, dass sie in Israel als Angstgegnerin gilt. Militärisch ist sie stärker als die Hamas, und anders als noch vor einigen Jahren muss sie nicht mehr all ihre Energie auf den Krieg in Syrien und den Einsatz fürs dortige Assad-Regime aufbringen. Ihr Raketenarsenal soll gut gefüllt sein, selbst das israelische Abwehrsystem Iron Dome hätte wohl Schwierigkeiten, mit dem Beschuss fertig zu werden - gerade dann, wenn er aus Gaza und aus Libanon gleichzeitig kommt.

Andererseits ist fraglich, ob das iranische Regime daran interessiert ist, es gerade jetzt auf einen Krieg ankommen zu lassen. Die Mullahs waren zuletzt auf einem guten Weg, sich aus ihrer Isolation zu befreien. Den Gefangenenaustausch mit den USA feierten sie als Erfolg für sich, ein umfassender Deal mit der Biden-Regierung erschien zumindest denkbar. Sicher, das Regime in Teheran will vermeiden, dass sich die arabischen Staaten, vor allem Saudi-Arabien, weiter Israel annähern. Ein Stellvertreterkrieg der Hamas gegen Israel aber ist das eine, eine direkte Konfrontation etwas ganz anderes.

Selbst jetzt, nach dem Angriff der Hamas, geben sich sowohl die israelische Regierung als auch das iranische Regime vorsichtig. Aus Teheran hieß es, man unterstütze zwar die Sache der Palästinenser, die Hamas treffe aber "ihre eigenen Entscheidungen". Auch Israel dementierte den Bericht des WSJ, wohl schon allein deshalb, weil man in der aktuellen Lage nicht weiter unter Zugzwang geraten will: Wie müsste die Regierung von Benjamin Netanjahu antworten, sollten sich die Recherchen der Zeitung als wahr herausstellen? Gerade Netanjahu, der seit vielen Jahren vor der iranischen Gefahr warnt, käme um eine harte Reaktion nicht umhin.

Die Hamas ist vom eigenen Fanatismus getrieben

Am Montag meldeten sich viele Beobachter mit Zweifeln, ob es tatsächlich so einfach war: Iran steckt dahinter. Dass das iranische Regime informiert war und die Pläne der Hamas zumindest billigte, scheint plausibel. Die Annahme, dass die Hamas nur auf Befehl aus Iran hin gehandelt habe, passt allerdings nicht so recht zum Selbstbewusstsein der palästinensischen Organisation. Die Hamas braucht keine Anregungen aus Teheran, sie ist von ihrem eigenen Fanatismus getrieben. Und würde Teheran seinen Außenminister zu einem Geheimtreffen schicken, bei dem es um einen Großangriff auf Israel geht? Schwer vorstellbar.

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Dennoch ist die Kriegsgefahr im Nahen Osten in diesen Tagen so hoch wie seit langer Zeit nicht mehr. Der WSJ-Bericht gilt jetzt schon allen als bestätigt, die ihn glauben wollen, etwa US-Republikanern, die Präsident Biden eine zu sanfte Iran-Politik vorwerfen. Ob Iran nun aktiv beteiligt war oder nur seinen Segen gab - es könnte eine Lage entstehen, in der ein großer Krieg nicht mehr zu verhindern ist. Selbst dann, wenn bis auf die Hamas niemand ihn will.

In der arabischen Welt und in Iran werden sie in den kommenden Tagen rund um die Uhr auf Gaza schauen, auf das Vorgehen der israelischen Armee dort, auf die palästinensischen Opfer, die nicht zu vermeiden sein werden, so sehr sich die Israelis auch darum bemühen. Im Nahen Osten haben politische Führer viel Erfahrung mit eskalierender Gewalt. Diesmal werden sie es besonders schwer haben, aus dieser Spirale einen Ausweg zu finden.

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