Haiti nach dem Erdbeben:Erste Helfer erreichen das Katastrophengebiet

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Die internationale Hilfe für Haiti läuft an. Für die Opfer zählt jede Stunde. Wie viele Menschen von dem schweren Beben betroffen sind, ist weiter unklar. Doch das Ausmaß der Tragödie wird immer deutlicher - US-Außenministerin Clinton zieht Parallelen zum Tsunami im Indischen Ozean vor fünf Jahren.

Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti nehmen an diesem Donnerstag die ersten internationalen Hilfsteams ihre Arbeit im Katastrophengebiet auf. Noch immer ist das ganze Ausmaß der Schäden nicht absehbar. Über die Zahl der Todesopfer herrscht Unklarheit - haitianische Regierungsmitglieder befürchteten zuletzt bis zu 100.000 Todesopfer.

Von überall auf der Welt - im Bild die Feuerwehr von Los Angeles - werden Hilfslieferungen in die Erbebenregion Haitis entsandt. (Foto: Fotos: AP/AFP)

Tausende Menschen werden noch unter den Trümmern in der weitgehend zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince vermutet. Die Weltbank sagte 100 Millionen Dollar Soforthilfe zu. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich beeindruckt von der internationalen Hilfsbereitschaft. Erste Priorität müsse nun die Rettung Überlebender haben, sagte er. Dabei zähle jede Stunde.

US-Außenminister Hillary Clinton nannte das Erdbeben eine Katastrophe von "unvorstellbarem" Ausmaß und verglich es mit dem verheerenden Tsunami, der Weihnachten 2004 den Südost- und Südasien heimgesucht und mehr als 220.000 Menschen in den Tod gerissen hatte. Sie brach eine Asienreise ab, um die US-Hilfen von Washington aus zu koordinieren. Präsident Barack Obama hatte Haiti zuvor bereits jegliche nötige Hilfe zugesagt.

Im Video: Haiti liegt in Trümmern - doch Hilfe kommt: Die USA und die EU haben mehrere Millionen Euro an Soforthilfe zugesagt, die Weltbank gibt zusätzlich 100 Millionen Dollar.

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UN-Generalsekretär Ban kündigte an, mit Clintons Ehemann, dem früheren US-Präsidenten und UN-Sondergesandten für Haiti, Bill Clinton, ins Erdbebengebiet reisen zu wollen. "Wir werden auf jeden Fall die Hilfsarbeiten inspizieren, allerdings nicht gleich jetzt", sagte Ban in New York. Clintons Hilfe werde dringend benötigt: "Er hat als Gouverneur, als Präsident und auch bei der Flutkatastrophe in New Orleans bewiesen, wie er mit seiner Reputation Hilfe organisieren kann."

Der Ex-US-Präsident sagte bei CNN, am meisten gebraucht würden jetzt Bergungs- und Ärzteteams sowie Räumgerät.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) schätzte die Zahl der Betroffenen auf ein Drittel der insgesamt neun Millionen Einwohner. Die Bergungsarbeiten dürften aufgrund der desolaten Lage schwierig werden. "Eingestürzte Häuser und beschädigte Autos erschweren das Durchkommen in den Straßen", sagte der Leiter der Welthungerhilfe in Haiti Michael Kühn im ZDF.

Nach Angaben Bans kamen bei dem Beben mindestens 16 UN-Mitarbeiter ums Leben. Berichte, wonach auch der Chef der UN-Mission in Haiti, der Tunesier Hédi Annabi, unter den Toten sei, konnte er zunächst nicht bestätigen. Unter den getöteten UN-Mitarbeitern sind zehn Blauhelmsoldaten aus Brasilien, drei aus Jordanien und einer aus Haiti. 56 Mitarbeiter wurden verletzt, aber lebend aus den Trümmern geborgen. Weitere 150 Mitarbeiter der Vereinten Nationen werden noch vermisst.

Unter den zahlreichen Gebäuden, die bei dem Beben der Stärke 7,0 am Dienstagnachmittag in der Millionenstadt Port-au-Prince dem Erdboden gleichgemacht wurden, ist auch das UN-Hauptquartier. Auch der Präsidentenpalast und die Kathedrale wurden schwer beschädigt. In der Stadt herrschen chaotische Zustände. Vereinzelt wurden Plünderungen gemeldet. Überlebende versuchten an diesem Mittwoch mit bloßen Händen, Verschüttete aus den Trümmern zu retten. Auf den Straßen lagen Tote, die behelfsmäßig mit weißen Laken zugedeckt wurden.

Zahl der Todesopfer weiterhin unklar

Offizielle Angaben über das Ausmaß der Schäden und die Zahl der Opfer gab es weiter nicht. Präsident René Préval sagte dem US-Sender CNN, er habe von 30.000 und auch 50.000 Toten gehört. Es gebe "viele Opfer, vielleicht Tausende", sagte er. "Alle Krankenhäuser und Leichenhallen sind voll." Da die Untersuchungen aber noch liefen, sei es noch zu früh für genaue Angaben. In einem Interview mit dem Miami Herald betonte der Staatschef, er habe über Leichen steigen müssen und die Schreie von Menschen gehört, die unter Trümmern begraben seien.

Ministerpräsident Jean-Max Bellerive sprach von 100.000 Toten. Der Botschafter Haitis bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) trat diesen Angaben jedoch entgegen. Er gehe von nicht mehr als 30.000 Toten aus, sagte Duly Brutus in Washington vor der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation.

Zahlreiche Länder darunter die USA, Frankreich und mehrere südamerikanische Länder entsandten Bergungsteams und Hilfslieferungen nach Haiti. Die Vereinten Nationen haben nach eigenen Angaben etwa 30 internationale Hilfsteams mobilisiert. Die medizinische Versorgung in Haiti ist katastrophal. Viele Krankenhäuser sind eingestürzt. Dutzende Schwerverletzte wurden in das Nachbarland Dominikanische Republik gebracht.

Unter den Hilfsbedürftigen seien auch viele Kinder, die zum Teil schwere Kopfverletzungen und Verstümmelungen erlitten hätten, berichtete ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP aus dem Krankenhaus von Jimani, einer kleinen Grenzstadt im Westen der Dominikanischen Republik. Die Menschen würden in Bussen aus dem rund 280 Kilometer entfernten Port-au-Prince gebracht. Besonders schwere Fälle werden nach Behördenangaben in besser ausgestattete Krankenhäuser im Landesinnern überwiesen.

FBI warnt vor Spenden über Internet

Der US-Flugzeugträger USS Carl Vinson ist auf dem Weg nach Haiti. Er bringe weitere Hubschrauber für die Rettungsarbeiten und könne zudem als zusätzlicher Landeplatz für Hilfsgütertransporte dienen, da der Flughafen von Port-au-Prince überlastet sei, teilte das US-Militär mit. Frankreich entsandte mehrere Flugzeuge in die Region. An Bord sind rund 100 Gendarmen, Feuerwehrleute und Mediziner aus französischen Karibikinseln. Außerdem schickt Paris aus Südfrankreich ein Flugzeug mit 65 Mann für die Bergungsarbeiten. Dazu kommen Notärzte und Katastrophenhelfer.

Die US-Bundespolizei FBI warnte indes vor Spenden über das Internet. Wie schon bei Naturkatastrophen in der Vergangenheit müsse mit Betrügern gerechnet werden, die Not und Spendenbereitschaft in krimineller Absicht ausnutzen, erklärte die Behörde. Persönliche Daten oder Bankdaten sollten nicht preisgegeben werden. Internetnutzer sollten sich bemühen, die Rechtmäßigkeit karitativer Organisationen und deren Spendenaufrufe möglichst genau zu prüfen.

Außerdem warnte das FBI davor, Weblinks oder E-Mail-Anhänge mit Spendenaufrufen zu öffnen, weil auf diese Weise Computerviren verbreitet werden könnten. Der Internetdienst Twitter etwa wurde am Mittwoch nach dem Erdbeben mit Spendenaufrufen für Haiti regelrecht überschwemmt.

Haiti liegt im kleineren westlichen Teil der zu den Großen Antillen gehörenden Karibikinsel Hispaniola. Im Osten liegt die Dominikanische Republik. Das Erdbeben der Stärke 7,0 hatte den Inselstaat am Dienstag um 16:53 Uhr Ortszeit (22:53 Uhr MEZ) erschüttert, das Epizentrum lag nur 15 Kilometer von Port-au-Prince entfernt. Zuletzt war Haiti - das ärmste Land des gesamten Kontinents - am 7. Mai 1842 von einem ähnlich folgenschweren Beben heimgesucht worden. In dem rund neun Millionen Einwohner zählenden Land sind seit 2004 UN-Friedenstruppen in Einsatz.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/AP/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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