Häusliche Gewalt:Alle zwei Minuten ein Opfer

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Dass ein Teller auf den Boden fällt und dort zerschellt, kann schon mal passieren. Dass einer beim Essen im Krankenhaus kaputtgeht und dann auch noch Teile davon fehlen, ist allerdings schon recht ungewöhnlich. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Immer mehr Frauen werden zu Hause bedroht, misshandelt oder vergewaltigt. Innenministerin Faeser und Familienministerin Paus wollen das Dunkelfeld mit einer großen Studie ausleuchten.

Von Oliver Klasen und Simon Sales Prado

Mit Gewalt bedroht, geschlagen, misshandelt, vergewaltigt, getötet: Es sind mehr als 240 000 Menschen, die im vergangenen Jahr in der Polizeilichen Kriminalstatistik als Opfer häuslicher Gewalt erfasst wurden. Das, was in dieser Statistik steht, nennt die Kriminologie das Hellfeld. Das Dunkelfeld, das sind jene Gewalttaten, die im Innern der Wohnungen begangen, aber nie zur Anzeige gebracht werden, und dieses Dunkelfeld, das wissen die Polizei und andere Fachleute, ist auf dem Gebiet der häuslichen Gewalt besonders groß. Insofern ist das "Lagebild häusliche Gewalt", das Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamtes, an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt haben, nur eine "mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität", so schreibt es das BKA selbst im Vorwort des Berichts.

Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt, das ist eine der Erkenntnisse, die sich aus der Statistik ziehen lässt, steigt seit Jahren kontinuierlich an. Im Vergleich von 2021 auf 2022 ergibt sich ein Plus von 8,5 Prozent. Dass die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt zunimmt, galt unter Expertinnen und Experten in den vergangenen Jahren insbesondere als Begleiterscheinung der Pandemie. Aber auch unabhängig davon scheint sich der negative Trend fortzusetzen. "Hinter jedem dieser Fälle verbirgt sich das Leid und der Horror, ausgerechnet in den eigenen vier Wänden angegriffen worden zu sein", sagt Faeser.

Häusliche Gewalt umfasst alle Formen körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt, bei denen Täter und Opfer in einer partnerschaftlichen oder familiären Beziehung zueinander stehen und zusammenwohnen. Allerdings muss der jeweilige Tatort nicht zwingend die gemeinsame Wohnung sein. Unterschieden wird in dem Lagebild zwischen Partnerschaftsgewalt, die sich auch gegen Ex-Partner richten kann, und innerfamiliärer Gewalt. Diese richtet sich meist gegen Kinder, Eltern oder Geschwister, aber auch, wie Faeser betont, gegen pflegebedürftige Angehörige.

Paus versucht, die große, aber abstrakte Zahl der Delikte besser begreifbar zu machen. Alle zwei Minuten, so die Familienministerin, werde in Deutschland ein Mensch Opfer häuslicher Gewalt, und in jeder Stunde würden mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Dann bringt Paus noch zwei Zahlen, die man schon öfter gehört hat in der Diskussion um Gewalt von Männern gegen Frauen. Zahlen, die aufrütteln sollen. Beinahe jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, und jeden dritten Tag führt ein versuchtes Tötungsdelikt tatsächlich zum Tod der Frau.

Dass häusliche Gewalt vor allem von Männern ausgeht, betont auch die Innenministerin. Unter den Tatverdächtigen sind Männer, unter den Opfern Frauen stark überrepräsentiert. So seien etwa vier von fünf Opfern der Gewalt in Partnerschaften Frauen. "Gewalt gegen Frauen darf nicht als privates Schicksal abgetan werden. Es ist kein Frauenproblem, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem", sagt Faeser.

Bei den Ländern dringt die Innenministerin auf eine bessere Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes. Darin sind Regelungen festgelegt, die es Familiengerichten ermöglichen, Kontaktverbote auszusprechen oder einen gewalttätigen Mann aus der bis dahin gemeinsamen Wohnung zu verweisen, sodass die Frau die Wohnung alleine nutzen kann. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Fälle, die unter das Gewaltschutzgesetz fallen, um elf Prozent gestiegen. Familienministerin Paus will Beratungsangebote ausweiten und mehr Plätze in Frauenhäusern schaffen.

Und um das Dunkelfeld besser auszuleuchten, startet das BKA im Juli eine große Studie. In den kommenden zwölf Monaten, so BKA-Chef Münch, sollen 22 000 repräsentativ ausgewählte Personen zu Gewalterfahrungen in aktuellen oder früheren Partnerschaften befragt werden, in persönlichen Interviews oder online. Erfasst werden soll auch, inwiefern sich die Opfer von Polizei, Justiz oder anderen Anlaufstellen kompetent beraten und ernst genommen fühlten.

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