Bauernprotest gegen Habeck:Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Nötigung

Lesezeit: 3 Min.

"Protestieren in Deutschland ist ein hohes Gut. Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut", sagt Vizekanzler Habeck nach dem Vorfall an der Fähre in Schleswig-Holstein. (Foto: LIESA JOHANNSSEN/REUTERS)

Wütende Landwirte in Schleswig-Holstein bedrängen den Wirtschaftsminister, zeitweise spielen sich tumultartige Szenen ab. Nach Angaben der Reederei wird nur knapp verhindert, dass Demonstranten die Fähre stürmen.

Nach der Blockadeaktion gegen Vizekanzler Robert Habeck an der Nordsee hat die Staatsanwaltschaft Flensburg ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung eingeleitet. Darüber hinaus werde geprüft, ob weitere Straftaten wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch vorliegen, sagte Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Derzeit werde gegen unbekannt ermittelt.

Am Donnerstag hatten Demonstranten den Grünen-Politiker Habeck in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert. Nach Angaben der Reederei wurde diese um ein Haar von Demonstranten erstürmt. Dies habe der Kapitän im letzten Moment verhindert, sagte der Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, Axel Meynköhn, der dpa.

Der Kapitän habe mit den Personenschützern an Bord und nach Rücksprache mit der Polizei an Land entschieden, wieder abzulegen. "Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen", sagte der Geschäftsführer. Er wisse von der Besatzung, dass Leute vermutlich noch hätten aufspringen können, wenn das Schiff nicht bereits zu weit weg gewesen wäre.

Habeck war am Donnerstagabend von einem privaten Besuch auf der Hallig Hooge unterwegs zurück aufs Festland. Doch an der Anlegestelle in Schlüttsiel bedrängten die Landwirte den Minister und hinderten ihn daran, die Fähre zu verlassen. Zeitweise spielten sich tumultartige Szenen ab.

Am Donnerstagabend verhinderten aggressive Demonstranten am Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel, dass Robert Habeck an Land gehen konnte. (Foto: Video-Screenshot /DPA)

Nach Angaben der Polizei handelte es sich um bis zu 300 Demonstranten. Aus der Versammlung heraus hätten 25 bis 30 Menschen versucht, auf die Fähre zu gelangen. Etwa 30 Beamte seien im Einsatz gewesen. Sie hätten auch Pfefferspray eingesetzt, sagte ein Polizeisprecher.

Habeck erklärte sich laut seiner Sprecherin dazu bereit, mit den Landwirten zu diskutieren. Das habe die Sicherheitslage aber nicht zugelassen. So blieb dem Minister nichts anderes übrig, als mit der Fähre wieder auf die Hallig zurückzufahren. Erst mit einer weiteren Fähre in der Nacht habe er das Festland erreicht und sei gegen 2.30 Uhr zu Hause in Flensburg angekommen, wie die Polizei und ein Ministeriumssprecher mitteilten.

Am Tag danach äußerte sich Habeck zu dem Vorfall: "Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte. Protestieren in Deutschland ist ein hohes Gut. Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut. In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten". Der Minister bedankte sich sowohl bei den Polizisten, die das Schiff gesichert hatten als auch bei den Mitreisenden und der Crew der Fähre. Sie seien unvermittelt in Mitleidenschaft geraten.

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Vertreter der Bundesregierung und zahlreiche Politikerinnen und Politiker verurteilten die Protestaktion der Landwirte. Regierungssprecher Steffen Hebestreit schrieb auf der Plattform X von einer "Verrohung der Sitten" und von einem Verstoß "gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders".

"Es ist erschreckend, was dort passiert ist und empört mich zutiefst. Es ist eine völlige Grenzüberschreitung und ein Angriff auf die Privatsphäre von Robert Habeck", sagte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Britta Haßelmann. Sie erwarte vom Bauernverband, dass dieser "diese Angriffe in aller Schärfe verurteilt und sich von solchen Aktionen distanziert".

Das ist inzwischen geschehen. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern", sagte der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte im ARD-"Morgenmagazin", den Menschen an der Fähre sei es nicht um die deutsche Landwirtschaft gegangen. "Die haben feuchte Träume von Umstürzen, und das wird es nicht geben", sagte der Grünen-Politiker und fügte hinzu: "Um das sehr klar zu sagen: Das ist nicht akzeptabel."

Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf der Plattform X: "Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren."

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte: "Jeder Protest hat Grenzen." Diese Grenzen seien bei der Aktion gegen Habeck weit überschritten worden. Bei allem Verständnis für den Unmut der Landwirte, habe ein solches Gebaren in Schleswig-Holstein nichts zu suchen. "Diese Chaoten schaden dem eigentlichen Anliegen", sagte Günther.

Bauernverband will an Aktionswoche festhalten

Die Bauern sind wütend wegen des von der Ampelkoalition geplanten Abbaus von Subventionen. Noch am Donnerstag, vor dem Vorfall an der Fähre, reagierte die Bundesregierung auf die massiven Bauernproteste und kündigte an, auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft zu verzichten. Außerdem soll die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel stufenweise statt auf einen Schlag gekürzt werden.

Der Deutsche Bauernverband hält dies aber für unzureichend und will an der Aktionswoche festhalten, die vom kommenden Montag an geplant ist. Dann muss mit Trecker-Demonstrationen und Straßenblockaden gerechnet werden.

© SZ/dpa/Reuters/nta/jala/olkl/saul - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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