Asylstreit:In der Union macht sich eine eigenartige Stimmung breit

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Wer ist hier mit wem befreundet? Bundeskanzlerin Merkel (CDU) im Gespräch mit Finanzminister Scholz (SPD), gegenüber sitzt Innenminister Seehofer (CSU). (Foto: REUTERS)
  • Der Asylstreit zwischen den Unionsparteien zieht alle Aufmerksamkeit auf sich - doch eine Einigung ist in weiter Ferne.
  • Beim Koalitionsausschuss ist laut Teilnehmern deutlich geworden, wie weit CDU und CSU noch auseinander sind.
  • Aus Sicht der SPD hat der Streit katastrophale Folgen: Wer redet denn noch über höhere Mindestlöhne, über Brückenteilzeit?

Von Robert Roßmann und Mike Szymanski, Berlin

Am Tag danach versucht Alexander Dobrindt gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, dass CDU und CSU sich nähergekommen sind. In der Nacht zum Mittwoch hatte sich der Koalitionsausschuss zum ersten Mal getroffen. Und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand natürlich das Thema, das zur Zeit die ganze Regierung zu sprengen droht: die Frage, ob Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückgewiesen werden sollen.

Es habe keine Einigung gegeben, sagt Dobrindt. Und man werde der Kanzlerin auch nur noch bis Sonntag Zeit geben, eine europäische Lösung zu erreichen. Wenn Angela Merkel das nicht schaffe, müssten die Zurückweisungen in der kommenden Woche beginnen. Der Vorsitzende der CSU im Bundestag bemühte sich zwar um eine moderate Wortwahl, aber in der Sache blieb er eisenhart.

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Politiker verschiedener Parteien greifen die CSU scharf an. FDP-Chef Lindner wirft dem bayerischen Ministerpräsidenten Söder vor, "einen ganzen Kontinent in Geiselhaft" zu nehmen. Auch die SPD ist genervt.

Das hatten in der Nacht auch schon SPD-Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz erleben müssen. Vier Stunden lang hockten die Sozialdemokraten mit Merkel, Dobrindt, Unionsfraktionschef Volker Kauder und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zusammen - bis auf kurze Ausflüge auf den Balkon.

Aus Sicht der SPD hat der Asylstreit katastrophale Folgen. Wer redet denn noch über höhere Mindestlöhne, über Brückenteilzeit, über die Abschaffung des Schulgeldes für Pflegeberufe? Die Überschrift des Koalitionsvertrages lautet: "Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land". Stattdessen zerreißt der Asylstreit gerade das Land - und wenn es schlecht läuft, auch die Bundesregierung.

Es ist deshalb nicht mehr so, dass nur die CSU auf eine rasche Entscheidung drängt. Auch die SPD tut das. "So wie das in den letzten Wochen gegangen ist, werden wir das nicht akzeptieren", hat Nahles schon vor dem Koalitionstreffen gesagt. In der Runde im Kanzleramt soll man sich auch tatsächlich mal wieder dem Gedanken hingegeben haben, was die Regierung noch alles leisten könnte, wenn der Asylstreit endlich ausgeräumt wäre. Nur wie? Darauf bringt dieser Abend keine Antwort.

Dies, so berichten es Teilnehmer, sei das eigentlich Beunruhigende an der Zusammenkunft gewesen. Mit einer Lösung im Asylstreit hatte in dieser Nacht ohnehin niemand gerechnet. Aber je länger die Unterredung dauert, desto deutlicher soll geworden sein, wie weit CDU und CSU noch auseinander sind.

In CDU und CSU hat sich eine eigenartige Stimmung breitgemacht. Einerseits sagen einem fast alle, mit denen man spricht, ihre Parteien hätten in den vergangenen Tagen in den Abgrund geschaut - und dabei erkannt, dass eine Spaltung der Union unbedingt vermieden werden müsse. Aber eine Idee, wie ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss aussehen könnte, hat niemand.

Denn es geht ja längst nicht mehr nur um die Sache. Es geht vor allem darum, wer seine Autorität verliert: Merkel oder Seehofer. Der CSU-Chef und seine Partei haben sich in dem Streit dermaßen festgelegt, dass bereits ein kleiner Schritt auf die Kanzlerin zu als Einknicken wahrgenommen werden würde. Die CSU hat Angst, dann bei der Landtagswahl im Herbst abgestraft zu werden. Bereits jetzt liegt sie in den Umfragen weit entfernt von der erhofften absoluten Mehrheit.

Aber genau auf diese Umfrage-Fixiertheit der CSU setzen jetzt manche in der CDU. Bereits am Montag hatte eine Erhebung von Forsa mit sinkenden Zustimmungswerten für die CSU und vor allem für Markus Söder Aufregung in der Partei hervorgerufen. In der Sitzung der CSU-Landesgruppe gab es erste mahnende Stimmen, es im Streit mit der CDU nicht zu übertreiben. Jetzt hoffen sie in der CDU auf das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen, das am Freitag veröffentlicht wird.

Bereits in der letzten Erhebung lag Söder mit einem Zustimmungswert von plus 0,1 im Ranking der wichtigsten Politiker an letzter Stelle. Wenn er jetzt sogar in den negativen Bereich abrutschen sollte, könnte das doch in München zu denken geben, heißt es in der CDU. Wenn die Not groß ist, setzt man auch auf kleine Dinge.

Sicher ist im Streit zwischen CDU und CSU bisher nur der Zeitplan. Die beiden Parteien wollen das Ende des EU-Gipfels am Freitag abwarten. Dann wird es eine Vielzahl an Gesprächen geben. Als Deadline für eine Einigung gilt der Beginn der CSU-Vorstandssitzung am Sonntag um 15 Uhr. Wenn bis dahin kein Kompromiss gefunden ist, dürfte es auch keinen mehr geben. Um 16 Uhr startet die Aufzeichnung des ZDF-Sommerinterviews mit Merkel. Dabei wird es dann schon um die Deutungshoheit über das Ergebnis - oder über die Schuld am Scheitern - gehen. Um 17 Uhr beginnen dann die Gremiensitzungen der CDU. In jedem Fall dürften es die spannendsten in Merkels 18-jähriger Amtszeit als CDU-Chefin werden.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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