Europäische Union:Stärkere Armeen, stärkere Wirtschaft

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Bundeskanzler Olaf Scholz kommt am Freitag zum zweiten Gipfeltag am Schloss von Versailles an. Thema waren die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine. (Foto: Sarah Meyssonnier/Reuters)

Der EU-Gipfel diskutiert, wie die Mitgliedstaaten krisenfester werden. Brüssel verspricht der Ukraine zudem mehr Waffen - ein kleiner Trost, weil ein anderer Wunsch unerfüllt bleibt.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Versailles

Die drei Spitzenpolitiker durchqueren langsam die prächtige Schlachtengalerie: in der Mitte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, rechts und links Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. Macron weist seine Begleiter auf die wandfüllenden Gemälde dieser "Galerie des Batailles" im Schloss von Versailles hin. Sie zeigen Szenen von wichtigen Gefechten aus Frankreichs Geschichte. Dann steigt das Trio auf die Bühne und präsentiert die Ergebnisse des EU-Gipfels, der dort Donnerstag und Freitag stattfand.

Macron schlägt eine Brücke vom martialischen Wandschmuck zur Gegenwart in der EU. "Wenn einige dachten, dass Kampf und Krieg der Vergangenheit angehören, hat Putin uns das Gegenteil bewiesen", sagt er. Der Überfall auf die Ukraine und die Frage, wie die Europäische Union darauf reagiert, hat auch dieses EU-Spitzentreffen dominiert. Die 27 Staats- und Regierungschefs geloben in der "Versailler Erklärung", dem Abschlussdokument, unter anderem, mehr in Rüstung zu investieren und unabhängig von Energie aus Russland zu werden.

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Die frühere Bundesverteidigungsministerin von der Leyen mahnt, dass die Mitgliedstaaten bei den Investitionen in ihre Armeen abgestimmt vorgehen sollten; die Kommission werde untersuchen, in welchen militärischen Bereichen die EU Lücken schließen muss. Zur gleichen Zeit steht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Herkulessaal des Schlosses und spricht von "einem ganz besonderen Gipfel an einem besonderen Ort zu einer besonderen Zeit". Er betont ebenfalls, wie wichtig höhere Rüstungsausgaben sind: "Wir müssen gemeinsam mehr unternehmen, um die Sicherheit in Europa zu gewährleisten."

Den Vorwurf, Deutschland bremse die Debatte, den Import von russischem Öl und Gas zu stoppen, weist Scholz zurück. Er nennt es eine "bewusste, begründete und nachvollziehbare Entscheidung", diese Einfuhren nicht einzustellen. Noch deutlicher wird der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer: "Österreich kann jetzt nicht sagen: Wir verzichten auf russisches Erdgas. Wir brauchen es."

Notreserven für Rohstoffe, weniger Bürokratie für Firmen

Daneben beschäftigten sich die Staats- und Regierungschefs am Freitag damit, wie die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger gegen Krisen werden kann und wo die nötigen Milliarden für Klimaschutz und Digitalisierung herkommen sollen. Diese Fragen sind dem wahlkämpfenden Macron wichtig, und da seine Regierung bis Juni die rotierende Ratspräsidentschaft der EU innehat, setzte er sie auf die Tagesordnung des Versailler Gipfels. Das Thema hätte eigentlich der Schwerpunkt des gesamten Treffens sein sollen, aber der Überfall auf die Ukraine rückte es in den Hintergrund.

Macrons Regierung wirbt schon seit Langem dafür, dass die EU weniger abhängig von anderen Wirtschaftsmächten werden soll. Strategische Autonomie lautet das Schlagwort, und der Ukraine-Überfall und die Sanktionen gegen Russland haben die Dringlichkeit dieses Ansinnens nur erhöht. Zudem kämpfen Frankreich und Italien für laxere Haushaltsregeln und neue gemeinsame EU-Schulden, damit es den hoch verschuldeten Ländern einfacher fällt, die nötigen Investitionen in Klimaschutz, Verteidigung und Digitales zu stemmen.

In der Versailler Erklärung versprechen die Staats- und Regierungschefs nun Unterstützung für diverse Initiativen der EU, die Wirtschaft widerstands- und wettbewerbsfähiger zu machen. Die EU soll unter anderem prüfen, Notfallreserven für knappe und wichtige Rohstoffe anzulegen. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass dies keine abstrakten Sorgen sind. So ist Europas Autoindustrie auf Importe des Edelmetalls Palladium aus Russland angewiesen. Zudem solle sich Europas Weltmarktanteil bei Chips bis 2030 verdoppeln, heißt es; die Kommission will es Regierungen hier vereinfachen, neue Fabriken mit Subventionen zu fördern.

Jedes Jahr sind Extra-Investitionen von 650 Milliarden Euro nötig

Die Gipfel-Erklärung liefert auch wieder vollmundige Versprechen, Hürden für grenzüberschreitende Geschäfte in der EU niederzureißen und einen gemeinsamen Markt für Banken und Börsen zu schaffen. An derartigen Willensbekundungen hat es allerdings nie gemangelt, das Problem ist vielmehr die Umsetzung. Ähnlich dürfte es beim Gelöbnis aussehen, mehr Investitionen anzulocken, indem "Verwaltungsverfahren drastisch reformiert, vereinfacht und beschleunigt" werden.

Der heikle Punkt Haushaltspolitik wird erst fast am ganz Ende in einem schwammig formulierten Absatz abgehandelt. Demnach sollen die Regierungen eine "solide" Politik verfolgen und die Tragfähigkeit ihrer Staatsschulden nicht gefährden. Zugleich sollen sie aber Investitionen in Wachstum, Klimaschutz und Digitalisierung vornehmen und dabei "die neue geopolitische Lage" berücksichtigen - sprich: Geld in Verteidigung und die Unabhängigkeit von russischen Energieimporten stecken.

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Nach Schätzungen der EU-Kommission sind bis 2030 jedes Jahr zusätzliche Investitionen von 650 Milliarden Euro nötig, um die ehrgeizigen Ziele bei Klimaschutz und Digitalisierung zu erreichen. Den Großteil müssen Unternehmen beisteuern, aber auf die Regierungen kommen auch gewaltige Belastungen zu.

Praktischerweise hat die Brüsseler Behörde eine Reformdebatte zum Stabilitätspakt angestoßen; die Kommission wird im Frühsommer Änderungsvorschläge zu diesen Regeln für solide Haushaltsführung präsentieren. Macron und Italiens Premier Mario Draghi fordern, dass die Kommission künftig staatliche Investitionen in strategisch wichtige Bereiche wie Klimaschutz nachsichtiger behandeln solle bei der Defizitberechnung. Andere Regierungen, etwa die deutsche, sehen das skeptisch. Der Gipfel brachte erwartungsgemäß keine Vorentscheidung.

Die Ukraine erhält weitere Rüstungshilfen

Bereits am Donnerstagabend diskutierten die Staats- und Regierungschefs über andere brisante Themen: die Abhängigkeit von russischer Energie und den Beitrittswunsch der Ukraine. Von der Leyen gab als Ziel aus, bis 2027 nicht mehr auf Gas, Kohle und Öl aus Russland angewiesen zu sein. Noch bis Monatsende will die Kommission zudem Vorschläge unterbreiten, wie verhindert werden kann, dass die Rekordnotierungen für Gas die Strompreise hochtreiben. Möglich seien Preisdeckel, heißt es in der Gipfelerklärung.

Bis zum frühen Morgen debattierten die Staats- und Regierungschefs über den Antrag der Ukraine, EU-Mitglied zu werden. Anders als von einigen osteuropäischen Regierungen gewünscht, sichert die Versailler Erklärung dem Land zwar kein beschleunigtes Beitrittsverfahren zu, aber hält eine Mitgliedschaft nach einem erfolgreichen, viele Jahre dauernden Prozess für möglich.

Von der Leyen sagt am Freitagnachmittag, es sei "ein besonderes Signal" für die Ukraine, wie schnell die EU die Prüfung des Beitrittswunsches vom 28. Februar auf den Weg gebracht und die Kommission mit einer Bewertung beauftragt habe. Die Regierungen werden zudem die Militärhilfe für Kiew über das Programm der "Europäischen Friedensfazilität" verdoppeln und weitere 500 Millionen Euro bereitstellen. Scholz sagt dazu hanseatisch trocken: "Es hat sich niemand gefunden, der das schlecht findet, wenn sich die Europäische Union da weiter engagiert."

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