Nach Ausschreitungen in Gießen:Woher die Wut auf das Eritrea-Festival kommt

Lesezeit: 2 Min.

Gegner des Festivals attackierten am Samstag Beamte mit Stein- und Flaschenwürfen und zündeten Rauchbomben. Gießen hatte die Veranstaltung nicht verbieten können. (Foto: Helmut Fricke/dpa)

26 verletzte Polizisten, 100 Festnahmen: Gewaltsam entladen sich in Gießen Spannungen zwischen Eritreern. Über den Konflikt in einer besonderen Diaspora.

Von Paul Munzinger und Gianna Niewel, Kapstadt/Frankfurt

Das Eritrea-Festival in Gießen hat am Wochenende nicht zum ersten Mal negative Schlagzeilen gemacht. Gegner des Festivals lieferten sich am Samstag gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei seien die Ordnungskräfte "massiv angegriffen" worden, sagte ein Sprecher der Polizei, es seien Steine geflogen, Flaschen geworfen worden. Insgesamt seien 26 Beamte verletzt, 1800 Personen kontrolliert und 125 Strafverfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen Körperverletzung. Die Polizei, so der Sprecher weiter, habe Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt.

Ausschreitungen gab es bei dem Festival schon früher

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) rief die Bundesregierung auf, den Botschafter Eritreas einzubestellen: "Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen." Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) twitterte: "Die massive Gewalt und Randale gegen Polizeibeamte in Gießen verurteile ich scharf."

Was war passiert? Und woher kommt die Wut?

Das Eritrea-Festival wird vom Zentralrat der Eritreer in Deutschland veranstaltet. Kritiker sehen im Zentralrat einen willigen Gehilfen des repressiven Regimes im Nordosten Afrikas und im Eritrea-Festival eine Propagandaveranstaltung. Die Veranstalter dagegen sprechen von einem unpolitischen Familienfest.

Das Festival fand schon mehrmals in Gießen statt, und wiederholt war es auch zu Ausschreitungen gekommen. Im vergangenen Jahr etwa waren Gegner mit Steinen und Stangen auf andere Besucherinnen und Besucher losgegangen und hatten sie verletzt. Auch deshalb hatte die Stadt in diesem Jahr versucht, das Festival zu unterbinden. Doch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass es stattfinden darf: Das Sicherheitskonzept sei ausreichend.

Eritrea, die "transnationale Nation"

Eritrea-Festivals wie nun in Gießen bergen Konfliktpotenzial, weil die eritreische Diaspora nicht nur in Deutschland gespalten ist. Da sind zum einen jene Menschen und ihre Nachfahren, die das Land einst verließen, weil sie sich während des 30-jährigen Unabhängigkeitskrieges für die Abspaltung Eritreas von Äthiopien einsetzten. Heute steht diese Gruppe immer noch mehrheitlich aufseiten der Regierung, die aus der 1993 schließlich erfolgreichen Unabhängigkeitsbewegung hervorging. Die Gruppe zeigt das zum Beispiel auf dem Eritrea-Festival in Gießen.

Und da sind jene Eritreer, die vor eben dieser Regierung geflohen sind. Das Regime des Langzeitherrschers Isaias Afewerki, der zuletzt Staatsbesuche in Peking und Moskau absolvierte, gehört zu den repressivsten der Welt. Hauptgrund für die Flucht Hunderttausender ist der sogenannte Nationaldienst, den Männer wie Frauen etwa beim Militär leisten müssen - zeitlich unbefristet. "Diese Menschen sind durch die Sahara und über das Mittelmeer geflohen und sehen nun, wie die Regierung, unter der sie gelitten haben, in Deutschland gefeiert wird", sagt Nicole Hirt vom German Institute for Global and Area Studies in Hamburg.

Das Festival steht für den langen Arm des eritreischen Regimes

Dazu kommt, dass die Festivals stellvertretend für den langen Arm des Regimes in Asmara stehen. Gemessen an seiner Größe hat kaum ein Land der Welt eine so große Diaspora wie Eritrea. Auf die etwa fünf Millionen Einwohner kommen noch einmal ebenso viele Eritreer sowie Menschen eritreischer Herkunft in anderen Ländern, schätzt Hirt, vor allem in den Nachbarstaaten. Sie spricht von einer "transnationalen Nation". In Deutschland wohnen etwa 75 000 Menschen mit eritreischer Staatsangehörigkeit.

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Und so groß die Diaspora ist, so wenig will das Regime seine Bürger auch jenseits der eigenen Grenzen loslassen. Manche Flüchtlinge werden wieder eingefangen und zurückgebracht, etwa im Sudan. Eritreer, die im Ausland Anträge bei Botschaften stellen wollen, müssen ihre Reue über die Flucht bekunden. Und dann gibt es die Diasporasteuer für Auslands-Eritreer. Eingetrieben wird sie auch, indem Verwandte im Land unter Druck gesetzt werden. Die Steuer ist eine wichtige Einnahmequelle für das Regime. Eine andere sind die Eritrea-Festivals.

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