Gewalttaten:Das Ego der Mörder wird heillos überbewertet

Nach Schießerei in München

Trauer um die Toten: Menschen legen Blumen am Eingang des Olympia-Einkaufszentrums nieder.

(Foto: dpa)

Terroristen und Amokläufer tun gerne so, als hätten sie ein Anliegen. Aber schon wer ihre Botschaften analysiert, erweist ihnen zu viel Ehre.

Kommentar von Ronen Steinke

Im Zimmer des Münchner Amokschützen hat die Polizei ein "Manifest" gefunden; Worte an die Welt. Es steht zwar nicht zu befürchten, dass die Beamten ihm den Gefallen tun werden, diese Worte tatsächlich in die Welt hinauszutragen. Aber es ist eine beklemmende Vorstellung, dass der Täter auch einfach alles ins Internet hätte pusten können. Schon würden Twitter- und Youtube-Schwärme, würden Millionen entsetzte, nach Erklärungen suchende Menschen sowie ein paar Begeisterte seinen Botschaften tausendfachen Widerhall verschaffen.

Nizza, Würzburg, München, und nun auch Ansbach, Reutlingen, Fort Myers: In den ersten Stunden nach einer Schreckenstat verbindet viele Menschen der Wunsch, die Tat erklären zu können, die Gedankenwelt des Täters zu verstehen, sei sie noch so krude und abstoßend. In den sozialen Netzwerken überschlagen sich die Deutungen. Nach dem München-Amoklauf mutmaßten die einen: Islamist; die anderen: Nazi; die dritten: Flüchtling; und ahnungslos waren sie zu der Zeit noch alle.

Es gibt für diese Eile, auch für dieses Interesse an ideologischen Hintergründen einen verständlichen Grund: den Wunsch, sich schnell auf die Debatte einzustellen, die nach der Tat vielleicht anheben wird, also auch auf den Hass, den das Hassverbrechen möglicherweise lostritt. Bei manchen, und das ist der weniger sympathische Grund, ist es freilich auch der Wunsch zu zeigen, wie sehr man schon immer recht hatte mit seinen Warnungen.

Wer ihre Botschaften postet, tut ihnen zu viel der Ehre an

Aber dass es für Hassverbrecher auf diese Weise immer leichter wird, ihre Botschaften hinauszuposaunen, also die öffentliche Diskussion schnell auf ihre Gedankenwelt, ihre angebliche "Politik" zu lenken, anstatt auf die bloße Erbärmlichkeit ihrer Tat - das muss der Gesellschaft auch Anlass zur Selbstbefragung sein.

Terroranschläge und Amokläufe haben etwas Wesentliches gemeinsam. Aus Sicht der Täter geht es nicht in erster Linie darum, bestimmte Individuen zu verletzen. Die Auswahl der Opfer ist oft zufällig. Wichtiger ist, dass der Täter etwas in den Köpfen derer auslösen will, die gar nicht dabei waren: Menschen, die von der Tat nur im Netz oder in der Zeitung lesen. Was dort zu lesen ist, hängt natürlich nicht vom Täter selbst ab, sondern es ist die getroffene, trauernde, aufgewühlte Gesellschaft, die dort agiert. So ohnmächtig, wie sich viele Bürger fühlen, sind sie deshalb oft gar nicht. Wer twittert, Artikel oder Facebook-Postings schreibt, ist nicht nur Zuschauer, sondern ein sehr bedeutender Teil des Geschehens. Im Schlechten oder im Guten.

Dass nach einer Horrortat Tausende Menschen die Videobotschaft eines Täters anklicken; dass sie Halbsätze, die von Parkgaragen-Dächern gerufen werden, aufgreifen und x-fach weiterverbreiten: Genau das hätten die Täter gern, die ihr weggeworfenes Leben zumindest noch durch Nachruhm in bestimmten Kreisen adeln möchten. Egal ob Terror oder Amok - fast immer wollen sich die Mörder groß inszenieren, selbst wenn aus ihren Taten keine Größe spricht, sondern das genaue Gegenteil.

Groß ist nichts an dem, der eine Bombe zündet

Wer Kinder schlägt, ist feige. Wer mit einer Axt auf Wehrlose in einem fränkischen Regionalzug losgeht, ist es erst recht. Der verdient schon deshalb nicht, inhaltlich ernst genommen zu werden, weil seine aus Hongkong stammenden Opfer gar nichts mit jenem Westen zu tun hatten, an dem er vorgab, sich rächen zu wollen. Die Tat spricht da lauter als jedes IS-Filmchen.

Wer gemobbt wird, verdient Mitgefühl und Hilfe; wer vor einem McDonald's auf wildfremde Jugendliche schießt, zeigt sich als erbärmliche Figur. Was er dann noch zu sagen hat über sich und die Welt, das kann für Ermittler interessant sein, die künftige Taten verhindern wollen. Für die übrige Gesellschaft aber, die sich den Hinterbliebenen zuwendet und den Verletzten, die noch um ihr Leben kämpfen, ist es dies nicht.

Und wer vor einer Altstadt-Weinstube eine Bombe zündet, der ist vielleicht ein Selbstmörder von der geltungssüchtigen Sorte, vielleicht auch einer, der verzweifelt nach einem Feindbild gesucht und es im Angebot der Dschihadisten gefunden hat; vielleicht auch beides, wie so oft. Aber groß ist an ihm nichts. Deshalb tut die Exegese seiner Facebook-Postings ihm zu viel der Ehre, besonders wenn in den Stunden nach einer solchen Tat andere Menschen echte Größe zeigen. Angehörige der Opfer etwa, die im Netz auf Hass mit Toleranz antworten.

Sinnlos bleiben solche Verbrechen immer - zumindest in dem Sinne, dass sie keines der von den Tätern behaupteten Probleme lindern werden. Aber erst wenn die getroffene Gesellschaft aufhört, das Ego der Mörder ernst zu nehmen, morden sie auch aus deren Sicht vergeblich.

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