Geschichte - Lüchow:Ältester bekannter Norddeutscher im Duvenseer Moor entdeckt

Archäologie
Archäologen graben die menschlichen Überreste des vor rund 10.500 Jahren gestorbenen Menschen aus. Foto: Marcus Brandt/dpa (Foto: dpa)

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Lüchow (dpa) - Den entscheidenden Hinweis liefert den Archäologen letztlich ein unverkennbarer Oberschenkel-Knochen. "Erst der Fund hat Sicherheit gegeben", erzählt Projektleiter Harald Lübke am Mittwoch auf einer Ausgrabung im Duvenseer Moor in Lüchow im Kreis Herzogtum Lauenburg. Dort haben Archäologen ein etwa 10.500 Jahre altes Brandgrab mit menschlichen Knochen entdeckt. "Wir haben den ältesten bekannten Norddeutschen", sagt Ausgrabungsleiter Harald Lübke. Mit Norddeutschland meine er den Bereich nördlich der Mittelgebirge.

Nach Angaben des Archäologischen Landesamts handelt es sich um die erste in Schleswig-Holstein entdeckte mesolithische Bestattung. Die Experten sprechen deshalb vom ältesten Grab Norddeutschlands. Aus Südskandinavien und Mecklenburg-Vorpommern seien bekannte Gräber steinzeitlicher Jäger- und Sammler sehr viel jünger und gehörten bereits in das sogenannte Spätmesolithikum. Nur bei Hammelev in Jütland (Dänemark) gebe es einen ähnlich alten Leichenbrandfund wie den aus dem Duvenseer Moor. 

"Beide sind zeitgleich", sagt Lübke. Bislang sei unbekannt, wie die Menschen in der Mittelsteinzeit im Norden mit ihren Toten umgegangen seien. Beide Funde seien ein Hinweis, dass Brandbestattungen offenbar vorherrschendes Bestattungsritual der Jäger und Fischer zu Beginn unserer heutigen Warmzeit waren.

"Für mich ist das eine Sensation", sagte der in Wismar lebende Archäologe. Die Forscher erhoffen sich von dem Fund mehr Erkenntnisse, wie mittelsteinzeitliche Jäger, Fischer und Sammler mit ihren Toten umgingen. Sie fanden im Moorboden diverse Menschenknochen, von dem Schädel des Menschen fehlt bislang aber jede Spur. Einige der Knochen sind nicht komplett verbrannt. Lübke hofft darauf, durch sie an DNA des ältesten bekannten Norddeutschen zu gelangen. "Das wäre eine wahre Schatzkammer."

Seit 1923 haben Archäologen im Duvenseer Moor immer wieder gegraben und auch Wohnplätze steinzeitlicher Jäger und Sammler entdeckt. "Es ist früher ein See gewesen. Wir befinden uns hier tief im damaligen Binnenland", sagt Lübke. Die heutige Ostsee habe damals noch nicht existiert. Mehr als 20 Fundstellen gibt es im Moor. Der aktuelle Fund am Rande des Moors stammt von Ausgrabungen des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie, das zur Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf gehört. Die Wissenschaftler gelangen dadurch an neue Informationen über das Leben der Menschen in dieser Region.

Wo die menschlichen Knochen Jahrtausende im Boden lagen, befindet sich derzeit eine Blühwiese. Sie gehört Landwirt Paul Petersen. Der 75-Jährige verfolgt die Ausgrabungen seit langem. Vor gut 30 Jahren hätten seine Frau und er ein Team zum Grillen eingeladen. Seine Frau Heike habe den Archäologen Klaus Bokelmann gefragt, ob sich auf ihrem Land nicht auch etwas finden lasse. "Wer etwas findet, kriegt 'ne Flasche Sekt", habe Bokelmann seinen Studenten gesagt. Diese seien kurze Zeit später mit Fragmenten von Keilsteinen wiedergekommen. "Am nächsten Tag habe ich selbst dort ein Steinbeil gefunden, 10.000 Jahre alt - hieß es", sagt Petersen.

1989 grub Bokelmann mit einem Team an der Stelle des heutigen Fundorts, hörte aber etwas oberhalb der Brandbestattung auf. Noch heute zeugt davon Folie in der Erdschicht darüber. Das Brandgrab sollte noch am Mittwoch in einem Stück aus dem Moor geborgen werden. Den Block wollen Experten später in den Werkstätten des Museums für Archäologie in Schleswig unter kontrollierten Laborbedingungen untersuchen, wie Lübke erklärt.

Als die Menschen im Duvenseer Moor vor rund 10.500 Jahren ihre Toten verbrannten war die letzte Eiszeit bereits seit mehr als 1000 Jahren Vergangenheit. Laut Archäologischem Landesamt existierten entlang der heutigen Ostsee damals viele Seen, deren flache Ufer zunehmend verlandeten. Jäger und Sammler hätten dort von der Jagd auf Wild, dem Fischfang und vom Sammeln der weit verbreiteten Haselnuss gelebt. Sie lebten in Hütten.

Der oder die älteste bekannte Norddeutsche wirft noch reichlich Fragen auf. Beispielsweise die nach den Todesumständen. Bei verbrannten Knochen sei es schwierig, die Todesursache zu ermitteln, sagt Lübke. Das ganze Duvenseer Moor sei für die Archäologen ein Hotspot. "Wir haben hier im Moment nur eine neue Tür aufgemacht. Aber dahinter sind im Moment noch nur dunkle Räume." Aufgrund ihres spektakulären Brandgrab-Fundes werden sie dort im kommenden Jahr voraussichtlich weitergraben.

© dpa-infocom, dpa:221012-99-100851/4

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