Treffen der G-20-Finanzminister:Moskau sitzt mit am Tisch

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Finanzminister Christian Lindner (FDP) gibt Russland die Schuld für die weltweiten wirtschaftlichen Probleme. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Die G-20-Finanzminister diskutieren über die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine - und werden auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verzichten.

Von Henrike Roßbach, Washington

Eigentlich hätte die Premiere schon Mitte Februar über die Bühne gehen sollen. Damals wollte FDP-Chef Christian Lindner zum ersten Mal ganz vorne im Regierungsflieger einsteigen, als neuer Bundesfinanzminister und Teilnehmer am G-20-Finanzministertreffen im indonesischen Jakarta. Dann aber machte die Pandemie ihm einen Strich durch die Rechnung. Das Treffen wurde größtenteils virtuell abgewickelt, auch Lindner blieb in Berlin.

Exakt eine Woche später überfiel Russland die Ukraine, und seither ist Lindner vorrangig damit beschäftigt, ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen und einen "Ergänzungshaushalt" von bis zu 30 Milliarden Euro. Mit dem sollen die Folgen des Krieges für die Bürger und Unternehmen in Deutschland abgemildert werden. Außerdem sind zwei Milliarden Euro militärische "Ertüchtigungshilfe" vorgesehen, der größte Teil für die Ukraine.

Am Dienstagabend nun ist der Finanzminister in Washington gelandet, um an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und dem Treffen der Finanzminister aus den führenden Industrie- und Schwellenländern (G 20) teilzunehmen. Und auch diese nachgeholte Premiere Lindners im großen internationalen Kreis steht komplett unter dem Eindruck des Krieges. Am Mittwochmorgen sagte der Minister, wegen des Krieges bleibe die weltwirtschaftliche Erholung nach der Pandemie aus. Man sehe Inflationsrisiken, unterbrochene Lieferketten und Engpässe. "Die Verantwortung für diese makroökonomischen Risiken trägt alleine Russland", betonte Lindner.

Keine einheitliche Haltung gegenüber Russland

Neben den wirtschaftlichen Fragen ist die internationale Gemeinschaft in Washington aber auch mit einem ganz grundsätzlichen Problem konfrontiert. Nämlich dem, wie man das dominierende Thema, den Krieg, überhaupt angemessen diskutieren kann, wenn Moskau mit am Tisch sitzt - schließlich ist Russland Teil der G-20-Gruppe.

Aus dem früheren G-8-Kreis der wichtigsten Industriestaaten ist Russland nach dem Einmarsch auf der Krim ausgeschlossen worden, sodass die Gruppe auf das Format G 7 geschrumpft ist. Aus G 20 aber ist bislang noch nicht G 19 geworden. Auch deshalb, weil die verbliebenen 19 Mitglieder keineswegs eine einheitliche Haltung gegenüber Russland haben. So haben sich etwa, als die Vollversammlung der Vereinten Nationen im März den russischen Angriffskrieg aufs Schärfste verurteilt und Russland zu einem Ende der Aggression aufgefordert hat, die G-20-Mitglieder China, Indien und Südafrika enthalten.

Lindner sprach am Mittwoch von einer "besonderen Verantwortung" Chinas, Russland klarzumachen, dass auch Peking "Völkerrechtsbrüche wie einen Angriffskrieg" verurteile. China habe in der Vergangenheit "ja stets Wert gelegt auf territoriale Integrität und die Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten", so Lindner. "Das muss dann für die Ukraine in gleicher Weise gelten."

Russland muss "politisch, ökonomisch und finanziell" isoliert werden, sagt Lindner

Einen Boykott aller Gesprächsformate, bei denen russische Vertreter mit am Tisch sitzen, wollten einige Länder offenbar nicht - obwohl es dem Vernehmen nach im Vorfeld längere Diskussionen gab, wie man sich verhalten solle. Als die russischen Gesandten schließlich ihren Beitrag am Mittwoch vortrugen, verließen die Vertreter Großbritanniens, der USA und Kanadas den Raum, wie das britische Finanzministerium mitteilte. Auch der britische Notenbankchef Andrew Bailey habe sich angeschlossen. Daraufhin forderte der russische Finanzminister Anton Siluanow, die Gespräche in dem G-20-Gremium nicht zu politisieren. Er warnte vor dem Risiko, das Vertrauen in die internationale Geld- und Finanzpolitik zu untergraben, meldet die Nachrichtenagentur RIA.

Lindner sagte am Mittwoch, von dem Treffen in Washington müsse das eindeutige Signal ausgehen, dass die internationale Gemeinschaft den russischen Angriff aufs Schärfste verurteile. "Russland muss isoliert werden", betonte er, "politisch, ökonomisch und finanziell". Seine Erwartung sei, dass "mit einem Putin-Russland, dessen Staatslenker Verantwortung für Kriegsverbrechen trägt, auch für sehr lange Zeit keine Rückkehr zur Normalität möglich sein wird".

Eine gemeinsame Abschlusserklärung der G 20 ist dieses Mal nicht geplant. Schon bei dem Treffen in Jakarta hatte es nach mühsamem Ringen nur zu dem Satz gereicht, man werde wesentliche globale Risiken weiter überwachen, einschließlich solcher durch entstehende geopolitische Spannungen. Nach fast zwei Monaten Krieg sind die anderen Staaten nun offenbar nicht mehr bereit, die globale Krise abermals hinter harmlosen Worten zu verstecken. Man werde Russland keine Bühne bieten, um "Lügen und Propaganda zu verbreiten", sagte Lindner. Sollten russische Vertreter diesen Versuch unternehmen, will der Minister sich im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft "um eine gemeinsame Reaktion" bemühen.

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