Frankreich und der NSA-Skandal:Gefährliche Selbständigkeit der Geheimdienste

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Frankreichs Präsident François Hollande telefoniert auf dem Nato-Gipfel 2014 in Newport - hörte die NSA mit? (Foto: dpa)

Also auch Frankreich. Chapeau, NSA! Keiner wurde ausgelassen - Präsidenten, Minister, Mandarine. Die Affäre zeigt, dass sich die Dienste über die Politik stellen - und wie gefährlich das ist.

Kommentar von Stefan Kornelius

Obersatz im internationalen Geheimdienstwesen: Alles, was denkbar ist, ist auch möglich. Erste Ableitung dieser Weisheit: Jeder hört, sammelt, späht bei jedem. Aber: Lass dich nicht erwischen. Denn dann wird es peinlich und politisch gefährlich. So funktionierten die Dienste in Ost und West über Jahrzehnte. Bis Snowden. Und bis Wikileaks, dem neuen Mitspieler im Geschäft der NSA-Enttarnung.

Nun ist also erkennbar, in welchem Ausmaß der US-Geheimdienst die französische Staatsspitze abgehört hat. Chapeau, da wurde keiner ausgelassen - Präsidenten, Minister, Mandarine. Wer sich gestern noch über Merkels Handy empörte, darf heute platzen vor Zorn. Oder etwa nicht?

Die Telefonliste der NSA für die französische Staatsspitze hat eine komische und eine ernste Seite. Die komische: Frankreich ist kein Waisenknabe im Abhörgeschäft. Neben den Briten verfügen die Franzosen über einen der größten Spionageapparate in Europa, die Budgets sind beeindruckend, die Bandbreite der Ziele ebenso. Als der Verdacht aufkam, dass der BND auch den Nachbarn in Paris auf der Abhörliste gehabt haben könnte, reagierte die französische Regierung schmallippig. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Und: Die Wikileaks-Dokumente belegen, wie grotesk das Geheimdienst-Geschäft deformiert ist: Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy fuhr 2010 nach Washington, offenbar auch mit dem Ziel, über das Maß der wechselseitigen Spähereien zu verhandeln. Seine Botschaft: Wir tun es, ihr tut es - lass uns darüber reden, wie weit wir gehen.

Wer sorgt sich um den politischen Schaden?

Weniger grotesk sind allerdings die politischen Nebenwirkungen dieser umfassenden Späherei. Nicht ohne Zufall lancierte Wikileaks die Dokumente an exakt jenem Tag, an dem in Frankreich über das umfassende Geheimdienst-Gesetz abgestimmt werden soll. Es geht also um viel mehr als nur die Spielregeln der Dienste. Es geht über den Umgang zwischen befreundeten Staaten in Zeiten technischer Grenzenlosigkeit.

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Von Thorsten Denkler

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" - was wie ein lapidar hingeworfener Satz klingt, entwickelt eine tiefere Wirkung. Die Bundeskanzlerin hat den politischen Kern im neuen Spionagezeitalter durchaus treffend beschrieben: Wenn alles möglich ist, aber auch alles bekannt werden kann, wer sorgt sich dann um den politischen Schaden, wer räumt den Berg an Misstrauen beiseite, wer setzt den Diensten eine Grenze?

Es braucht Spielregeln, Aufsicht und mehr Transparenz

Deutschland spielt möglicherweise auch in der französischen Abhör-Saga eine wichtige Rolle. Wurden die Gespräche über den Horchposten Bad Aibling abgewickelt? Mit Hilfe, gar Wissen des BND? Und welch reines Herz will die Bundesregierung bewahren, wenn immer mehr Praktiken auch der hiesigen Dienste öffentlich werden?

Die Leaks zeigen: Das Geheimdienstgeschäft funktioniert weitgehend regelfrei und grenzenlos. Dieses Geschäft belastet inzwischen den Zusammenhalt und das politische Geschäft befreundeter Nationen. Die Dienste können das außenpolitische Verhältnis ernsthaft beschädigen, weil sie Bündnisarbeit konterkarieren und in der Öffentlichkeit jedes Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen Staaten zerstören.

Die Dienste stellen sich damit über die Politik - eine gefährliche Selbständigkeit ist da entstanden. Offenbar hat die US-Regierung diese Exzesse inzwischen eingedämmt. Das reicht aber nicht aus. Abhören unter Freunden - dieser Satz muss mit Substanz gefüllt werden. Dazu braucht es Spielregeln, Aufsicht und mehr Transparenz.

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