Frankreich:Patriot Act à la française

Frankreich: "Ich werde abgehört": Aktivisten machen gegen das Gesetz mobil. Doch die meisten Franzosen regt es kaum auf, wenn sie bespitzelt werden.

"Ich werde abgehört": Aktivisten machen gegen das Gesetz mobil. Doch die meisten Franzosen regt es kaum auf, wenn sie bespitzelt werden.

(Foto: OH)
  • Das französische Parlament soll am Mittwoch ein Paragrafenwerk über Lauschangriff, Internet-Überwachung und jahrelange Speicherung von Metadaten endgültig beschließen.
  • Das Gesetz regelt weit mehr als die Jagd auf Terroristen. Die Paragrafen billigen Abhöraktionen zur Verteidigung wirtschaftlicher, industrieller und wissenschaftlicher Interessen Frankreichs, zur Bekämpfung organisierter Kriminalität sowie zur Vorbeugung gegen vermeintlich drohende kollektive Gewalt.
  • Der Widerstand in der Bevölkerung hält sich bislang in Grenzen.

Von Christian Wernicke, Paris

An diesem Mittwoch wird sie wieder protestieren. Mitten in Paris, in einer Seitenstraße neben der Nationalversammlung, wird Adrienne Charmet wieder ihr schwarzes Schild hochhalten: "Ich werde abgehört", steht darauf in weißen Lettern geschrieben. Das Plakat der 35-jährigen Aktivistin wird an die Demonstrationen vom Januar erinnern, als Millionen Franzosen nach den blutigen Anschlägen von Paris gegen den Terror und für die Freiheit demonstrierten: "Je suis Charlie" hieß damals - ebenfalls weiß auf schwarz - der Slogan. Die Ähnlichkeit ist gewollt. Denn jetzt, so glaubt die Sprecherin von "La Quadratur du Net", einer Organisation für Bürgerrechte im Internet, geht es wieder um den Terror. Wieder stehe die Freiheit auf dem Spiel: "Die Regierung nutzt die Ängste der Menschen aus", glaubt Charmet, "um uns massenhaft der Kontrolle der Geheimdienste zu unterwerfen."

Das Parlament soll das Paragrafenwerk über Lauschangriff, Internet-Überwachung und jahrelange Speicherung von Metadaten am heutigen Mittwoch endgültig beschließen. Nur wenige Hundert, zumeist junge Demonstranten folgten bisher den Aufrufen von Anwaltskammern und Menschenrechtsgruppen, Journalistenverbänden oder dem Quadratur-Netzwerk, um gegen das neue Geheimdienstgesetz zu demonstrieren. Ob die neuesten Enthüllungen in der NSA-Affäre daran etwas ändern, lässt sich noch nicht sagen.

69 Prozent halten das Gesetz für sinnvoll

Dabei sei das, so wettern die Gegner, ein Patriot Act à la française, ein Gesetz also, das nach dem Vorbild von Nordamerikas berüchtigter NSA fortan Frankreichs sechs Geheimdiensten weitreichende Vollmachten zur Bespitzelung seiner Bürger einräume. Nur, das regt die meisten Franzosen wenig auf. Laut einer Umfrage vom April glauben zwar 68 Prozent, das neue Gesetz werde ihre Privatsphäre beeinträchtigen - aber 69 Prozent derselben Befragten halten das Gesetz gleichwohl für sinnvoll. "Wir sind einsame Rufer in der Wüste", räumt die Aktivistin Charmet ein.

Die regierenden Sozialisten und viele Abgeordnete der konservativen Opposition werden also am Mittwoch einem Gesetz zustimmen, das weit mehr regelt als nur die Jagd auf mutmaßliche Terroristen. Die Paragrafen billigen ebenso Abhöraktionen zur Verteidigung "wichtiger wirtschaftlicher, industrieller und wissenschaftlicher Interessen Frankreichs", zur Bekämpfung organisierter Kriminalität sowie - arg unscharf - zur Vorbeugung gegen vermeintlich drohende "kollektive Gewalt". Kritiker warnen, dies könnte als Generalklausel zur Überwachung politischer Gegner dienen.

Genehmigt werden die Überwachungen jeweils von Mitarbeitern im Amt des Premierministers, die bislang übliche Kontrolle durch Gerichte entfällt. Stattdessen wird eine neue, neunköpfige Kontrollkommission (CNCTR) eingesetzt, der jedoch kein Vetorecht zusteht. Protestiert die Kommission, geht der Fall an den Staatsrat.

Metadaten können die Behörden bis zu vier Jahre auf Vorrat speichern

Das neue Gesetz wirft breite Netze aus. Internetanbieter will Paris zwingen, künftig in ihren Zentralen "black boxes" zu installieren: Mithilfe dieser Rechner können die Spione automatisch und in Echtzeit Bürger aufspüren, die etwa verdächtige Suchbegriffe eintippen. Von abgefangenen E-Mails würden die Dienste zwar nur die Meta-Daten über Absender, Empfänger, Zeitpunkt und Standort auswerten, nicht die Inhalte. Aber die Regierung glaubt, auf diese Weise Terrorverdächtige aufspüren zu können.

Verdächtige können laut Gesetz dann mit einer Vielzahl technischer Mittel kontrolliert werden: Videokameras, Wanzen, Peilsender am Auto, Ortungsdaten von Handys - alles erlaubt. Zudem kann die Überwachung "bei ernsthaften Gründen" jederzeit auf Verwandte oder Freunde von Verdächtigten ausgeweitet werden. Und der französische Staatsapparat erhält das Recht, die ergatterten Daten zum Teil lange zu speichern. Schließen die Geheimdienstler ein Dossier, müssen sie abgehörte Gespräche zwar nach schon 30 Tagen löschen und Videos und Informationen zur Geolokation nach sechs Monaten vernichten. Die Metadaten aller virtuellen Kommunikation hingegen dürfen die Behörden bis zu vier Jahre lang auf Vorrat speichern.

Adrienne Charmet, die Internet-Aktivistin, hofft nun auf die Gerichte. Präsident François Hollande hat zugesagt, er werde den fertigen Gesetzestext erst unterschreiben, wenn Frankreichs Verfassungsgericht die neuen Regeln billige. Notfalls wollen die Gesetzeskritiker sogar außerhalb des Landes klagen. Der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans sowie der Europarat signalisierten bereits, Frankreichs Sicherheitspaket werfe "ernsthafte Fragen" auf.

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