Forschung:"Die Verunsicherung in der Wissenschaft ist groß"

Lesezeit: 2 min

Im Prinzip forschungsfreundlich, aber die Budgets werden knapper: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, hier beim Besuch eines Fraunhofer-Zentrums im vergangenen Jahr. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Bundesregierung kürzt die Mittel für den internationalen akademischen Austausch. Aber auch andere Projekte berichten von Sparmaßnahmen.

Von Paul Munzinger, München

In der deutschen Wissenschaft geht die Angst um, die Angst vor dem Rotstift. Hauptgrund sind Budgetkürzungen bei Organisationen, die sich um die internationale Vernetzung der deutschen Forschung kümmern, allen voran der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH). Doch auch andere Projekte an deutschen Hochschulen klagen über plötzliche Einsparungen. Zum Teil sind die gestrichenen Mittel eine Folge des Sparkurses der Bundesregierung, doch nicht immer. Es ist, wie meistens in der Wissenschaftspolitik, kompliziert.

Der in Bonn ansässige DAAD, der vor allem Stipendien vergibt, damit Wissenschaftler aus dem Ausland nach Deutschland und deutsche Wissenschaftler ins Ausland kommen, teilte Ende vergangener Woche mit, dass ihm 2023 wie schon im laufenden Jahr Einsparungen drohen. Das Auswärtige Amt, das etwa ein Drittel des DAAD-Budgets beisteuert, kürzte seine Zahlungen bereits 2022, von 204 Millionen Euro im Vorjahr auf 195 Millionen. 2023 sollen es dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung zufolge noch 191 Millionen sein; weitere Kürzungen könnten hinzukommen.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Die Folgen dieser Kürzungen seien drastischer, als es auf den ersten Blick erscheine, erläutert ein DAAD-Sprecher. Viele Mittel seien in langfristigen Programmen gebunden, weshalb nun vor allem bei der Neuvergabe von Stipendien gespart werde. So müsse im schlimmsten Fall die Hälfte der langfristigen Stipendien für Studierende, Promovierende und Forschende aus dem Ausland gestrichen werden. Insgesamt ist von bis zu 6000 Stipendien die Rede, die entfallen könnten. Die "internationale Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland" sinke dadurch, sagte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee, "und das in einer Zeit, in der außenwissenschaftspolitisch eine Vorbildfunktion und eine Führungsrolle Deutschlands in besonderer Weise notwendig wären".

Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung vermeldete am Mittwoch ähnliche Einschnitte. 2023 drohe im Budget der Stiftung ein Minus von 7,8 Prozent. Schon im laufenden Jahr bewillige man nur noch knapp zwei Drittel der Anträge in Programmen, die das Auswärtige Amt finanziert. Die Stiftung verliere an Reputation, warnte deren Präsident Hans-Christian Pape, und werde gezwungen, herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verprellen. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen Deutschland stehe, müsse auch die Wissenschaft ihren Beitrag leisten, so Pape. "Aber über die Prioritäten darf gestritten werden. Ich meine nicht, dass wir um Größenordnungen mehr Geld für die pauschale Subventionierung von Treibstoff ausgeben sollten als für die Konfliktprävention, wie sie mit der Wissenschaftsaußenpolitik betrieben wird."

Alle Ministerien müssten irgendwo kürzen, heißt es zur Begründung

Das Auswärtige Amt rechtfertigte die Kürzungen mit dem Sparzwang, dem die Bundesregierung unterworfen sei. In den Verhandlungen über den Haushalt habe sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) "mit Nachdruck" dafür eingesetzt, dass "gerade auch für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik" genug Geld zur Verfügung stehe, erklärte ein Sprecher. Doch wie andere Ministerien sei auch das Auswärtige Amt von Einsparungen betroffen. Das Kabinett hatte Anfang Juli den Haushaltsentwurf für das Jahr 2023 abgesegnet. Um die Schuldenbremse einzuhalten, sollen 50 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden als im Vorjahr. Im Herbst soll der Bundestag den Entwurf beschließen.

Doch die Verunsicherung in der Wissenschaft reicht über die auswärtige Forschungspolitik hinaus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, dass bereits bewilligten und sogar laufenden Programmen die Förderung durch das Bundesministerium und Forschung (BMBF) entzogen worden sei. Betroffen ist etwa das unter anderem an der FU Berlin angesiedelte Projekt BioTip aus der Klima- und Biodiversitätsforschung, dem zwei Jahre vor dem geplanten Ende die Mittel gestrichen wurden. So etwas habe sie "als Wissenschaftlerin noch nicht erlebt", sagte die Politikwissenschaftlerin Marianne Braig, die an dem Projekt beteiligt ist. Auch die Psychologin Jule Specht von der Berliner Humboldt-Universität berichtet, dass eine eigentlich zugesagte BMBF-Förderung auf sich warten lasse. Das sei "absolut ungewöhnlich", sagte Specht. "Die Verunsicherung in der Wissenschaft ist groß."

Das Haushaltsjahr sei "von besonderen Herausforderungen geprägt", heißt es dagegen aus dem BMBF, das die FDP-Politikerin Bettina Stark-Watzinger führt. Dennoch müssten "keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen werden", hieß es. "Im Einzelfall kann es jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivArbeitgeberchef Rainer Dulger
:"Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte"

Sollte es zu einem Gas-Lieferstopp kommen, war es das erst einmal mit Deutschlands Wohlstand, sagt Arbeitgeberchef Rainer Dulger. Doch er ist überzeugt davon: Deutschland kann Krisen meistern.

Interview von Marc Beise und Alexander Hagelüken

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: