Flüchtlingsgipfel:Einigung beim Flüchtlingsgipfel

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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (links) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Bundesregierung stellt höhere Hilfen für 2023 in Aussicht. Die Ministerpräsidenten fordern aber eine dauerhafte Lösung

Von Markus Balser und Oliver Klasen

In den heftigen Streit zwischen Bund und Ländern kommt Bewegung. Die Bundesregierung habe vor dem Start des Flüchtlingsgipfels am Nachmittag im Berliner Kanzleramt Bereitschaft signalisiert, Ländern und Kommunen in diesem Jahr bei den wachsenden Kosten für die Unterbringung und die Integration von Geflüchteten stärker zu helfen. Das verlautete am Mittwoch aus Teilnehmerkreisen der Vorgespräche.

Ausgeräumt ist der Streit damit allerdings noch lange nicht. Die Länder pochen darauf, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch langfristig höhere Hilfen zu bekommen. Das geht aus einer für das Treffen gemeinsam einstimmig verabschiedeten Beschlussvorlage hervor, die der SZ vorliegt. Der Forderung der Länder zufolge soll in diesem Jahr die Pauschale des Bundes um eine Milliarde Euro steigen. Bisher will der Bund an dieser Stelle 2,75 Milliarden Euro zahlen: 1,5 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine sowie 1,25 Milliarden Euro für Geflüchtete aus anderen Ländern. Diese Zahlungen beziehen sich jedoch nur auf jene Personen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, also keinen Anspruch auf Bürgergeld haben. Ihre Versorgung ist prinzipiell Sache der Länder, der Bund leistet jedoch Unterstützungszahlungen.

Der Bund, so fordern es die Länder, soll die Finanzierung langfristig umstellen. Es brauche ein Finanzierungsmodell, "das der Höhe nach angemessen ist" und sich den Flüchtlingszahlen anpasse, heißt es in dem Papier.

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Am Mittwoch ist Migrationsgipfel im Kanzleramt. Die Länder sagen, der Bund lasse sie auf den Kosten sitzen. Der hingegen führt an, was er bereits alles bezahlt. Die Wahrheit liegt in dem Fall nicht in der Mitte.

Kommentar von Henrike Roßbach

"Wir sehen eine steigende Zahl von Flüchtlingen", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Nachmittag. Es sei zwingend nötig, den Kommunen zu helfen - auch über 2023 hinaus. Der Bund wehrt sich aber bislang gegen eine Reform.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kritisierte die Haltung der Bundesregierung scharf. "Es geht nicht um Rechentricks, sondern um politische Verantwortung", sagte er vor Beginn des Gipfels im Kanzleramt. "Der Bund darf die Verantwortung nicht länger abschieben." Da der Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kein Ergebnis gebracht habe, müsse Scholz das Thema zur Chefsache machen. Es gehe nicht um Einmaleffekte für dieses Jahr, sondern um eine dauerhafte Lösung. Bei dem brisanten politischen Thema dürfe es kein dauerhaftes Feilschen geben.

Die Ministerpräsidenten bauen schon für eine Niederlage vor

Damit ist trotz der Annäherung offen, ob es bei dem Gipfel zu einer Lösung kommt. Wie hart die Verhandlungen allein zwischen den Ländern hinter verschlossenen Türen waren, wurde daran deutlich, dass die Vorgespräche im Bundesrat viel länger dauerten als geplant. Kanzler Olaf Scholz (SPD) musste am Nachmittag gut eine Stunde auf die Ministerpräsidenten warten. Der Gipfel startete nicht wie geplant um 14 Uhr, sondern erst nach 15 Uhr.

Die Ministerpräsidenten bauen in ihrem Beschluss auch schon für eine Niederlage im Ringen um die Reform vor. "Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werden bis spätestens November 2023 erneut zusammenkommen, um über die konkrete Umsetzung dieses Modells abschließend zu beraten", heißt es in ihrem Papier.

Schon seit Wochen stehen sich die Länder einerseits und der Kanzler und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) andererseits unversöhnlich gegenüber. Wir geben eh schon viel mehr als wir müssten, vor allem für die Menschen aus der Ukraine, die ja den Großteil der Geflüchteten ausmachen, sagt der Bund. Unser Haushalt ist defizitär, während ihr in den Ländern üppige Steuereinnahmen habt und Überschüsse erwirtschaftet.

Ihr in Berlin stehlt euch aus der Verantwortung, sagen dagegen die Länder. Ihr bedenkt nicht, dass Geflüchtete nicht nur Lebensmittel und eine Wohnung brauchen, sondern ihre Kinder auch in Kitas und Schulen gehen. Außerdem gibt es nicht nur die Geflüchteten aus der Ukraine, die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern ist in diesem Jahr etwa 80 Prozent höher als 2022.

Zunächst hatten sich am Morgen die SPD-geführten A-Länder und die unionsgeführten B-Länder getrennt im Bundesrat getroffen, anschließend gab es dort eine große Runde aller Länderchefs. Die Länderchefs hatten sich zu Beginn skeptisch gezeigt. Er gehe mit einem "sehr schlechten Gefühl" in das Treffen, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon vor dem Treffen gesagt.

Ihre Position hatten die Länder schon vorab in einem 15-Seiten-Papier formuliert, sie stellen darin vier Forderungen: Die Kosten für die Unterkunft von Geflüchteten wollen sie zu 100 Prozent erstattet haben. Außerdem verlangen sie eine Pro-Kopf-Pauschale in Höhe von 1000 Euro für jene Geflüchtete, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen. Daneben pochen sie auf eine verlässliche Übernahme der Kosten für die Integration aller Geflüchteten sowie für unbegleitete Minderjährige.

Auch innerhalb der Ampelregierung brachen am Mittwoch Gräben auf. Grünen-Chef Omid Nouripour und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann legten zu dem Treffen einen eigenen Zehn-Punkte-Plan vor und forderten, "dass der Bund gezielt mehr finanzielle Verantwortung übernimmt, als bisher zugesagt wurde - insbesondere dort, wo die Herausforderungen am größten sind". Notwendig sei etwa "eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integrationsmaßnahmen". Die Grünen fordern die eigene Regierung auch auf, schnell verfügbare Bundesgebäude für die Unterbringung von Geflüchteten zu suchen und bereitzustellen. Wichtig sei es, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Die Grünen-Führung ist unter Druck, denn in Fraktion und Partei regt sich Protest gegen eine zu harte Verschärfung der Asyl- und Flüchtlingspolitik. "Unter dem Deckmantel 'Die Kommunen brauchen Hilfe' will Scholz in der MPK den Weg bahnen für die stärkste Asylrechtsverschärfung seit den 90ern", sagte die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte der SZ. "Ein schärferes Asylrecht bringt den Kommunen gar nichts. Es bringt kein Geld, keine Kitagruppen, keinen Wohnraum", so Otte. Es bringe lediglich einen Wettlauf nach unten, bis "beim Grundrecht auf Asyl nichts mehr übrig" sei.

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