Finnland:Shutdown im Norden

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Die Finnen gehen davon aus, dass Russland die Asylsuchenden an die Grenze bringt. (Foto: IMAGO/Vesa Moilanen/IMAGO/Lehtikuva)

Die Finnen schließen mehrere Grenzübergänge zu Russland. Seit Tagen sind von dort immer mehr Asylsuchende eingetroffen - der Verdacht ist, dass die russische Seite das steuert.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die finnische Regierung hat am Donnerstag beschlossen, mehrere Grenzübergänge nach Russland bis Mitte Februar zu schließen. Seit Beginn dieser Woche waren täglich mehr Asylsuchende an den südfinnischen Stationen Vaalimaa und Nuijamaa angekommen. Diese beiden Grenzübergänge sollen in der Nacht von Freitag auf Samstag genauso geschlossen werden wie die in Imatra und Niirala.

Ministerpräsident Petteri Orpo von der konservativen Sammlungspartei sagte am Donnerstag, die Regierung wolle "hart" auf das Phänomen reagieren, und sprach von einer konzertierten Aktion auf russischer Seite. "Es ist klar, dass diesen Menschen geholfen wird und sie auch von russischen Grenzsoldaten an die Grenze transportiert oder eskortiert werden", sagte er. Markkus Hasisen, der stellvertretende Leiter des Grenzschutzes, sprach von einer "ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit".

Schon im Winter 2015 kamen Hunderte Syrer, Afghanen, Somalier aus Russland

Jukka Lukkari, stellvertretender Kommandeur der finnischen Grenztruppen, sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, man habe in den vergangenen Tagen einen "eklatanten Anstieg" an Asylsuchenden gezählt: "Am Montag waren es 39, am Dienstag 55, am Mittwoch 75." Das klingt nicht nach viel, aber in Finnland denken viele mit Unbehagen an den Winter 2015/16 zurück.

Damals tauchten an mehreren Grenzübergängen im Norden des Landes plötzlich Hunderte Syrer, Afghanen, Somalier auf, und baten um Asyl. Erst kamen sie auf Fahrrädern, als die Behörden die Grenzüberquerung mit dem Fahrrad dann vorübergehend verboten, tauchten die nächsten Gruppen in schrottreifen russischen Autos auf. Innerhalb von drei Monaten beantragten damals rund 1700 Menschen aus 36 Nationen in Finnland Asyl.

Geschlossen für Einreisen aus Russland: die Grenzstation Vaalimaa auf der finnischen Seite. (Foto: Friedrich Bungert)

Auf die Frage, ob ihn der jetzige Anstieg an 2015 erinnere, sagt Lukkari, damals sei Winter gewesen und das Ganze habe am anderen Ende des Landes, hoch oben im Norden, stattgefunden, aber es gebe doch "einige Ähnlichkeiten. Und wir sind sicher, dass auf russischer Seite kriminelle Infrastrukturen existieren, die den Asylsuchenden behilflich sind."

Bis vor Kurzem hatte Russland Reisenden mit unvollständigen Dokumenten die Weiterreise zu finnischen Grenzübergängen verweigert. Seit einigen Wochen gestatten die russischen Behörden den Menschen aber auch ohne die erforderlichen Einreisedokumente den Grenzübertritt Richtung Finnland.

Geflüchtete berichten, russische Polizei habe sie in Grenznähe eskortiert

Die Zeitung Helsingin Sanomat zitierte am Mittwoch mehrere Asylsuchende, die erzählten, dass in der Nähe der Grenzübergänge von Autoanhängern herunter Fahrräder im großen Stil verkauft würden. Andere berichteten, Polizeiautos hätten sie in die Nähe einer Grenzstation eskortiert.

Auf Tiktok kursieren seit einigen Tagen Videos, die auf Arabisch erklären, wie man am besten von Russland aus nach Finnland kommt. "Russland hat die Ostgrenze Finnlands für die Einwanderung geöffnet", heißt es in einem der Videos. "Jeder sollte seinen Freunden raten, diese Route zu wählen. Seid vorbereitet." Das Video zeigt auch eine Karte mit allen finnisch-russischen Grenzübergängen.

Der finnische Präsident Sauli Niinistö sagte am Mittwoch in Bonn, Russlands Vorgehen könne eine Reaktion auf Finnlands Nato-Mitgliedschaft sein. Finnland ist dem Verteidigungsbündnis im April beigetreten. Niinistö hatte früher schon gewarnt, dass man im Falle eines Beitritts auf "Unfug" aus Russland vorbereitet sein müsse. Niinistö besuchte in dieser Woche seinen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier, um mit ihm in der Villa Hammerschmidt 50 Jahre offizielle diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Finnland zu würdigen.

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Niinistö betonte, Finnland müsse nun eine Diskussion darüber führen, "was nationale Sicherheit im Verhältnis zur Rechtssicherheit und den Menschenrechten des Einzelnen bedeutet". Wenn die russischen Behörden weiterhin Menschen ohne die erforderlichen Reisedokumente an ihren Kontrollpunkten passieren lassen, könne das dazu führen, dass in den kalten Wintermonaten Menschen ohne Papiere an der finnischen Grenze festsitzen, ähnlich, wie es an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen passiert.

Finnland hat im vergangenen Jahr seine Gesetzgebung dahin gehend geändert, dass die Grenzbehörden in Ausnahmefällen an einzelnen Grenzübergängen keine Asylanträge mehr annehmen. Das Land hat außerdem begonnen, auf 200 seiner insgesamt 1344 Kilometer langen Grenze zu Russland Befestigungszäune zu bauen. Bislang stehen aber erst drei Kilometer.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Mittwoch, die russische Regierung bedaure "zutiefst, dass die finnische Führung beschlossen hat, sich absichtlich von den ehemals guten Beziehungen zu entfernen".

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