Migration:Wie die Innenministerin um Marokkos Regierung wirbt

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"Auf Augenhöhe": Nancy Faeser spricht im Innenministerium von Marokko mit Abdelouafi Laftit (rechts), ihrem marokkanischen Amtskollegen. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Junge Arbeitskräfte nach Deutschland holen, ausreisepflichtige Asylbewerber zurückschicken: Nancy Faeser versucht, im Maghreb ein Migrationsabkommen anzustoßen. Einfach wird das nicht, auch wenn keiner das laut sagen mag.

Von Constanze von Bullion, Rabat

Bestes Einvernehmen also, eine Verständigung unter Freunden, sagt die Ministerin. Ein ganz neues Verhältnis zwischen Marokko und Deutschland tue sich jetzt auf, "sehr dynamisch und extrem interessant", sagt der Minister. Es klingt ganz so, als seien die Regierenden der beiden Länder schon immer allerbeste Freunde gewesen.

Montag im Innenministerium von Marokko, ein koloniales Gebäude von orientalischer Schönheit steht hier in einem Palmengarten. Drinnen hat Nancy Faeser sich eben mit ihrem marokkanischen Amtskollegen Abdelouafi Laftit in einem Konferenzsaal niedergelassen. Die Bundesinnenministerin ist nach Rabat gereist, begleitet vom Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp. Die Sozialdemokratin und der Liberale, das ist ein Gespann, das in der Migrationspolitik die Richtung ändern will. Nach Jahren marokkanisch-deutscher Funkstille soll eine "Migrationspartnerschaft" angebahnt werden, "auf Augenhöhe", wie Faeser bei jeder Gelegenheit betont.

Ein Netzwerk der Nützlichkeiten ist da geplant, das legale Migration in den deutschen Arbeitsmarkt befördert und jungen Menschen auch mit einfacher Qualifikation den Weg in die Bundesrepublik bahnen soll. Irreguläre Migration ins deutsche Asylsystem hingegen soll zurückgedrängt werden. In Deutschland, das weiß Faeser, wünschen sich viele vor allem das zweite: spürbar mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, gern per Rückführungsabkommen und sofort.

Die Botschaft für Marokko: Man nimmt einander ernst

Der Ausflug nach Marokko ist aber wenig geeignet, diesen Wunsch zu erfüllen. Es gehe eher um langfristige Beziehungsarbeit, um das zarte Pflänzchen Vertrauen, das womöglich erst nach Jahren Früchte trage, lassen Faeser und Stamp wissen. Bloß keine allzu hohen Erwartungen wecken hinsichtlich der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber, das ist ihre Botschaft nach Deutschland. Die Botschaft für Marokko: Man nimmt einander ernst.

Was folgt in Rabat, ist eine Tour d'Horizon durch drei marokkanische Ministerien, sie führt Faeser als erstes zu Innenminister Laftit. Eine knappe Stunde sprechen die beiden in Rabat über gemeinsame Terrorbekämpfung, über die Ausbildung marokkanischer Grenzpolizisten durch die Bundespolizei, auch über den Wunsch, Drogenhandel, organisiertes Verbrechen und die Schleusung von Migranten einzudämmen. Rücknahme von Asylbewerbern durch Marokko? Auch das kommt zur Sprache, gewiss, sorgsam verpackt in Höflichkeiten.

Man plane die "Stärkung und Weiterentwicklung der ausgezeichneten Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Migration, Katastrophenschutz und grenzüberschreitender Kriminalität", heißt es in einer "Absichtserklärung", die Faeser und Laftit unterzeichnen. Ziel seien polizeiliche Kooperationen, aber auch stärkere "Mechanismen" für die Mobilität von Fachkräften "ebenso wie jene der Rückkehr, Rückübernahme und Wiedereingliederung".

Konkrete Zielvorgaben, ein Zeithorizont für die Asylbewerberfrage? Nichts dergleichen kommt Faeser über die Lippen. "Worauf ich mich fokussieren möchte, ist die Möglichkeit der legalen, der geregelten Migration auszuschöpfen. Dafür bietet das moderne deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Grundlage", sagt sie nur. Man wolle Schleusern "das Handwerk legen, um irreguläre Migration zu reduzieren".

Migration als Druckmittel, das ist kein wirkungsloses Instrument

Nancy Faeser, das ist nicht zu überhören, vermeidet jeden Anschein, in Rabat Druck ausüben zu wollen. Es fällt bei ihren öffentlichen Auftritten zunächst auch nie das Wort Westsahara. Marokko beansprucht Souveränität über die 1975 besetzte Wüstenregion, Deutschland lehnt das ab, die Sache eskalierte 2021. Die marokkanische Regierung brach die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab - und nahm so gut wie keine abgelehnten Asylbewerber mehr zurück. Migration als Druckmittel, das ist kein wirkungsloses Instrument. Aber auch aus Interesse am Wirtschaftsstandort Marokko will die Bundesregierung jetzt, nun ja, wieder ins Gespräch kommen.

Ob das geplante Migrationsabkommen nennenswerte Wirkung entfalten kann, das lässt Faesers Besuch aber offen. 3660 ausreisepflichtige Marokkanerinnen und Marokkaner lebten Ende Juni in Deutschland. 2762 können nicht abgeschoben werden, weil sie Anspruch auf Duldung haben. Bleiben 898 Personen, die rücküberstellt werden könnten, wenn Marokko bei der Ausstellung von Papieren hilft - keine Riesengruppe. Dass das Interesse an einer Partnerschaft trotzdem groß ist in Berlin, hat ersichtlich noch andere Gründe. Ausreisepflichtige Marokkaner gelten bei deutschen Sicherheitsbehörden als schwierige Klientel, die überdurchschnittlich häufig straffällig wird. Man wäre sie gern los. Auch so sind die Hinweise auf die deutsch-marokkanische Kriminalitätsbekämpfung zu verstehen. Auch wenn das keiner laut sagen will.

Es wird schon Abend in Rabat, als die Bundesinnenministerin vor einem Brunnen im marokkanischen Arbeitsministerium auftaucht. Hier hat sie Younes Sekkouri getroffen, Minister für Kleinunternehmen, Beschäftigung und Qualifikationen. Er wirkt beschwingt nach der Zusammenkunft. Die deutsche Besucherin setze sich so wie er "sehr enthusiastisch" für Arbeitsmigration ein, sagt Sekkouri. Faeser will Arbeitskräften aus Marokko einen privilegierten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt anbieten, insbesondere im Bereich Pflege. Dafür stellt sie Sprachkurse in Aussicht, Weiterqualifizierung in Deutschland, auch mehr Großzügigkeit bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen und Vorverträgen.

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Nun kann man sich natürlich fragen, welches Interesse Marokko daran haben soll, ausgebildete Arbeitskräfte ziehen zu lassen - und dafür abgewiesene und bisweilen straffällige Asylbewerber zurückzukriegen. Wird dieser Ringtausch mit Geldzahlungen ermöglicht? Geld spiele keine Rolle, wird in Faeser Umfeld versichert. Vielmehr sehe sich die marokkanische Regierung gefordert, den geburtenstarken Jahrgängen Heranwachsender Perspektiven zu bieten. Rund 40 Prozent der jungen Marokkaner finden nach Lehre oder Studium keine Arbeit. Nicht wenige lassen sich deshalb von Privatfirmen nach Europa lotsen, scheitern aber dort oft - auch an Sprachproblemen. Marokkos Regierung hofft nun, dass ein geregeltes Abkommen Verlässlichkeit schafft und die Jugend des Landes eines Tages hochqualifiziert nach Hause zurückkehrt.

Ganz einfach allerdings wird die Sache nicht, das lässt Marokkos Arbeitsminister noch wissen. Sein Land habe "natürlich einen großen Bedarf an unterschiedlichen Fachkräften", es fehlten etwa Ingenieure und Ärzte. Hiergeblieben, heißt das mit anderen Worten. Deutschland wird bei einigen Berufen wohl auf Zuzugserleichterungen verzichten müssen, wenn die Partnerschaft gelingen soll. Das deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz sieht einen Ausschluss bestimmter Berufe aber nicht vor. Arbeitsminister Sekkouri hält sich mit solchen Details nicht lange auf. Er sei begeistert von den "good vibes", sagt er, der guten Stimmung, die Ministerin Faeser verbreite. Er fasst die Besucherin spontan an den Arm, die beiden lachen.

Dienstagvormittag, dritte Station der Faeser-Reise, die Innenministerin steht strahlend in einer Halle von der Größe eines Tempels. Die Hand, die sie drückt, gehört Außenminister Nasser Bourita, also dem Mann, der 2021 alle Ministerien seines Landes aufrief, "jeden Kontakt und jede Interaktion" mit deutschen Institutionen und politischen Stiftungen auszusetzen. Es gebe "tiefgreifende Missverständnisse" in der Westsahara-Frage.

Jetzt also soll der Gram vergessen sein, man will nach vorn schauen, irgendwie. Wie harmonisch es dabei zugeht, bleibt allerdings ungewiss. Bourita, auch zuständig für Marokkaner im Ausland, erscheint nach 30 Minuten Gespräch nicht vor der Presse. Ein Podium, das schon für ihn bereitstand, wird in aller Eile beiseite gerückt. Faeser tritt allein an ein Mikrofon. "Ich hatte einen außerordentlich guten Besuch in Marokko", sagt sie. Beide Seiten arbeiteten "sehr eng" an einer Partnerschaft, es gebe "sehr ähnliche Interessenslagen". Die Ministerin wird dann noch gefragt, was sie vom Vorschlag von Union und FDP hält, Asylverfahren künftig außerhalb Europas abzuwickeln. Alle nordafrikanischen Staaten lehnen das ab. Nichts halte sie davon, gibt die Ministerin zu verstehen. Migrationsabkommen mit einzelnen Herkunftsstaaten seien "zielführender". Nancy Faeser hat es jetzt eilig, Zeit für die Rückreise.

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