Migration:Das zähe Ringen um Europas Jumbo-Reform

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Die Flüchtlingszahlen steigen massiv, endlich befassen sich die EU-Länder mit der Asylrechtsreform: Auffanglager auf der sizilianischen Insel Lampedusa. (Foto: Alessandro Serrano/AFP)

Noch gibt es keine Einigung über die Verschärfung des europäischen Asylrechts. Manfred Weber will nun im Parlament auf Chefebene Mehrheiten finden.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Der Trilog, eine besondere Feinheit des Brüsseler Politikbetriebs, ist nichts für Menschen mit Klaustrophobie. Unterhändlerinnen und Unterhändler der drei EU-Institutionen Parlament, Kommission und Rat der Mitgliedsländer schlagen sich dabei viele Tage und vor allem Nächte um die Ohren, um sich über komplizierte Gesetze zu verständigen. Derzeit laufen jede Menge Triloge in Brüssel, vor Weihnachten sollen noch möglichst viele Themen abgeräumt werden - aber einer sticht heraus: der "Jumbo-Trilog" zur Reform des europäischen Asylrechts.

Fragen der Migration sind das größte Thema - Jumbo-Thema - der EU. Das Attribut "Jumbo" trägt dieser Trilog aber, weil fünf Gesetzestexte zugleich beschlossen werden sollen. So wollen alle Parteien, die nicht ganz rechts außen stehen, vor den Europawahlen im nächsten Juni das Signal aussenden: Die EU bekommt das Migrationsproblem gemeinsam in den Griff. In der Nacht auf Freitag gingen die rund hundert Verhandlerinnen und Verhandler jedoch ohne Einigung auseinander. Nun drängt die Zeit: Bis April müssen alle Beschlüsse aus dem Trilog von den drei Institutionen in aller Form abgesegnet sein.

Im Zentrum stehen geplante Schnellverfahren an den Außengrenzen

Die Probleme der europäischen Migrationspolitik liegen seit der Krise 2015 offen zutage, vor mehr als zwei Jahren stellte die Kommission ihre Gesetzentwürfe vor. Doch erst als in diesem Jahr die Flüchtlingszahlen wieder massiv stiegen, rafften sich die Mitgliedstaaten auf, sich damit zu befassen und Verhandlungen mit dem Parlament zu beginnen. Die Mehrheiten unter den 27 Regierungen zu den einzelnen Punkten sind aber derart brüchig, dass kaum Verhandlungsspielraum bleibt. Manche Parlamentarier fühlen sich erpresst, wenn sie hören: Wollt ihr schuld sein, dass die historische Reform scheitert?

Im Zentrum stehen die Asyl-Schnellverfahren in Lagern an den Außengrenzen der EU, also in Ländern wie Italien, Griechenland oder Bulgarien. Flüchtlinge mit geringer Aussicht auf Asyl sollen dort festgehalten und schnell abgeschoben werden. Wer in diese Lager kommt, entscheidet sich anhand von zwei Kriterien. Da ist die Anerkennungsquote für das Herkunftsland. Liegt sie bei weniger als 20 Prozent, soll das Schnellverfahren greifen. Zweites Kriterium ist, ob die Asylbewerber Verbindung zu einem "sicheren Drittstaat" haben. Diese "Verbindung" könnte die simple Durchreise auf dem Weg nach Europa sein. Bei der Sortierung der Flüchtlinge ("Screening") gälten diese juristisch als noch nicht eingereist, ähnlich wie in Flughafenverfahren. Das erleichtert die Abschiebung.

Weiterhin bliebe der Staat, in dem ein Flüchtling die EU betreten hat, verantwortlich für dessen Asylantrag. Bisher fühlen sich Länder wie Italien überfordert und schicken Flüchtlinge einfach weiter. Die meisten landen in Deutschland. Die Reform soll nun die Flüchtlingszahlen so weit senken, dass die Staaten an den Außengrenzen ihren Pflichten nachkommen können. Zwar gibt es einen Solidaritätsmechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen, aber davon könnten sich Regierungen mit 20 000 Euro pro Flüchtling freikaufen.

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An den Grundzügen der Reform wird nicht zu rütteln zu sein, ohne sie zum Scheitern zu bringen. Vor allem sozialdemokratische, linke und grüne Parlamentarier wollen sicherstellen, dass streng überprüft wird, ob die Grundrechte der Flüchtlinge eingehalten werden. Sie kämpfen auch für humanitäre Erleichterungen. Doch sie haben einen schweren Stand. Die Bundesregierung hatte gehofft, dass im Trilog nicht nur Minderjährige, sondern auch Familien mit Kindern unter zwölf Jahren von den Schnellverfahren ausgenommen werden. Das wird kaum durchzusetzen sein.

Streitpunkt sind auch die Regeln bei einer "Instrumentalisierung" von Flüchtlingen. Wenn etwa der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko Flüchtlinge an die Grenzen lotst, um die EU zu destabilisieren, könnten alle in Lagern festgehalten und in Schnellverfahren abgeschoben werden. Darauf beharrt der Rat.

Er will, dass die Asylrechtsreform nun Chefsache wird im EU-Parlament: der EVP-Vorsitzende Manfred Weber. (Foto: Dwi Anoraganingrum/Imago/Panama Pictures)

In den vergangenen Wochen gingen die Migrationsdebatten in Europa schon weit darüber hinaus. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni will italienische Asylverfahren in Albanien durchführen lassen. In Deutschland wird sogar das "Ruanda-Modell" geprüft, die Abwicklung von Asylverfahren in sicheren Drittstaaten jenseits von Europa. Doch die nächstliegenden Reformen sind immer noch die fünf Brüsseler Gesetzestexte.

Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), plant nun, den Trilog aufseiten des Parlaments auf die Chefebene zu heben. Gemeinsam mit den Fraktionschefs von Liberalen und Sozialdemokraten will Weber Grundzüge eines Kompromisses finden. In der nächsten Trilogrunde am 18. Dezember soll es unbedingt eine Einigung geben.

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