Im Umgang mit dem sanktionierten Vermögen der russischen Zentralbank hat sich die EU für eine Politik der kleinen Schritte entschieden. Gemessen daran, was Kommission und Mitgliedstaaten bislang unternommen haben, gehen sie jetzt erstmals einen ziemlich großen Schritt: Sie bereiten sich darauf vor, einen Teil dieses Geldes zu beschlagnahmen und der Ukraine zur Verfügung zu stellen.
Am Dienstagabend beschlossen die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten einstimmig eine Regelung, wonach Firmen, die das russische Zentralbankvermögen verwahren, die damit erzielten Gewinne einbehalten müssen. Im nächsten Schritt könnte die EU eine Sondersteuer auf diese Gewinne beschließen, um die so erzielten Einnahmen nach Kiew zu überweisen.
Einige Staaten sind für die komplette Beschlagnahme
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Fast unmittelbar nach Russlands Angriff auf die Ukraine hatte die westliche Allianz etwa 260 Milliarden Euro an Vermögenswerten der russischen Zentralbank sanktioniert. Knapp 200 Milliarden davon befanden sich innerhalb der EU, der Großteil wiederum auf Konten des belgischen Finanzkonzerns Euroclear, eines Dienstleisters für Geldinstitute, Notenbanken und Börsen. Mit dem arretierten Geld erwirtschaftet Euroclear Zinsgewinne. Mitte Dezember schlug die EU-Kommission nach langer Vorbereitung eine Verordnung vor, der zufolge Unternehmen wie Euroclear diese außerordentlichen Gewinne separat verwahren müssen. Was Euroclear ohnehin schon tut.
Gleich nach Kriegsbeginn im Februar 2022 hatte das russische Notenbankvermögen Begehrlichkeiten geweckt. Bis heute unterstützen mehrere EU-Staaten und Teile der Kommission die Idee, das Geld zu beschlagnahmen und für den Wiederaufbau der Ukraine einzusetzen - um Russland für die Schäden des Kriegs haftbar zu machen.
Die US-Regierung macht Druck - der Kongress verhindert die Hilfe
Zusätzlichen Druck in der Sache machen inzwischen die USA auf G-7-Ebene. Deren Ukraine-Finanzhilfen scheitern am republikanisch dominierten Kongress, und Washington sucht händeringend nach anderen Geldquellen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich die Idee schon Ende 2022 zu eigen gemacht, als sie sagte, Russland und seine Oligarchen müssten die Ukraine entschädigen für die Zerstörung - und dafür habe man die Mittel.
Dem standen erhebliche Bedenken in den europäischen Hauptstädten entgegen, darunter Berlin. Die Bundesregierung etwa warnt, dass eine Beschlagnahmung des Geldes das Prinzip der Staatensouveränität untergrübe. Andere Länder könnten durch den Präzedenzfall ermutigt sein, selbst ausländisches Vermögen zu konfiszieren. Speziell Deutschland fürchtet außerdem unbeglichene Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Und schließlich könnte der Euro als Währung bedroht sein: Was, wenn im Anschluss zahlreiche Staaten ihr Vermögen aus der Euro-Zone abziehen? Eine potenzielle Katastrophe für Europas Wirtschaft, auch aus Sicht der Europäischen Zentralbank.
Deshalb wurde eine zweite Idee ebenso verworfen: das eingefrorene Geld am Kapitalmarkt zu investieren und die Gewinne zugunsten der Ukraine zu verwenden. Auch das würde eine Beschlagnahme voraussetzen. Rechtlich ist das Vermögen noch immer Eigentum Russlands und nur einstweilen festgesetzt. Es darf unter dem Sanktionsregime nicht mehr bewegt werden. Nach diesem Muster funktionieren auch Sanktionen gegen Oligarchen, Politiker und Funktionäre, die Eigentum innerhalb der EU haben.
Mit dem Ausweg einer Sondersteuer ließen sich diese Schwierigkeiten womöglich umgehen. Damit kämen aber nur vergleichsweise kleine Summen zusammen. Schätzungen zufolge könnten es etwa drei Milliarden Euro pro Jahr sein. In dem EU-Ratsbeschluss von Dienstagabend ist nun lediglich die Möglichkeit erwähnt, eine solche Sonderabgabe einzuführen, die dann dem EU-Haushalt zugutekommen würde. Einen entsprechenden Beschluss müssten die Mitgliedstaaten wieder einstimmig fassen. Die Kommission erklärte am Dienstag, sie und der Auswärtige Dienst der EU würden "so schnell wie möglich" einen Vorschlag vorlegen.