EU-Russland:Borrell unter Beschuss

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Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell muss für seinen Besuch bei Sergej Lawrow in Russland viel Kritik einstecken. (Foto: dpa)

Der EU-Außenbeauftragte muss sich harsche Kritik an seiner Russlandreise anhören - er selbst findet, er sei entschlossen bei Lawrow aufgetreten. Doch wer den russischen Außenminister kennt, mag daran zweifeln.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Mit klaren Worten und der Ankündigung neuer Vorschläge für Sanktionen gegen Russland hat Josep Borrell seine Reise nach Moskau verteidigt. Natürlich sei er sich des Risikos bewusst gewesen, sagte der EU-Außenbeauftragte vor dem Europaparlament. Aber er habe Außenminister Sergej Lawrow "von Angesicht zu Angesicht" die Forderung übermitteln wollen, den zu einer Haftstrafe verurteilten Kremlkritiker Alexej Nawalny "sofort und ohne Bedingungen" freizulassen. Gleiches müsse für die vielen Anhängerinnen und Anhänger Nawalnys gelten, die nur friedlich protestiert hätten.

Zudem habe er vor dem für März geplanten EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs testen wollen, ob Russlands Führung bereit wäre, die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zu stoppen. "Die Antwort ist klar: Sie sind daran nicht interessiert." Auch wenn es die 27 EU-Mitglieder sind, die einstimmig über Strafmaßnahmen entscheiden müssen, versprach der Spanier, das ihm qua Amt zustehende Initiativrecht zu nutzen für konkrete Vorschläge. In einem am Sonntag veröffentlichten Blog-Artikel hatte der EU-Chefdiplomat angeregt, erstmals das neue Menschenrechts-Sanktionsregime anzuwenden.

Mit diesem Instrument könnte Personen die Einreise in die EU verweigert, ihre Konten könnten gesperrt werden. Daneben forderte Borrell "robuste Anstrengungen" der EU-Staaten, um sich gegen russische Cyberangriffe und Desinformationskampagnen zu verteidigen.

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Auch Polen und Schweden greifen zu solchen Maßnahmen - in Reaktion auf Moskaus Ausweisung von Diplomaten. Im Hintergrund steht der Fall des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny.

Von Daniel Brössler

81 Abgeordnete fordern Borrells Rücktritt

Vor der Debatte hatten sich 81 EU-Abgeordnete per Brief an Ursula von der Leyen gewandt: Borrell habe der EU "erheblichen Schaden zugefügt", wenn er "nicht aus eigenen Stücken zurücktrete", solle die Chefin der EU-Kommission handeln. Dass dies nicht passieren wird, hatte ihr Sprecher schon am Montag klargemacht: Von der Leyen habe "volles Vertrauen" in ihren Stellvertreter.

Initiiert hat den Brief der Este Riho Terras. Die meisten EU-Parlamentarier, die den Rauswurf des Sozialdemokraten fordern, stammen aus Ost- und Nordeuropa. Anna Fotyga von Polens Regierungspartei PiS warf Borrell vor, mit dem Besuch "das Regime von Wladimir Putin" vor der Parlamentswahl gestärkt und zu sehr auf Russland-Versteher gehört zu haben. Daniel Caspary (CDU) nannte die Rücktrittsdebatte "schädlich und unangebracht" und warnte die Europäer davor, "die Arbeit Putins zu machen und uns selbst zu zerlegen".

Die Kritik an Borrell speist sich auch aus dem Unverständnis, dass er und sein Team die Konfrontation mit Lawrow nicht besser vorbereitet haben, obwohl mehrere EU-Außenminister eine Verschiebung der Reise gefordert hatten, um Russland keinen Propaganda-Erfolg zu geben. Denn was Borrell in seinem Blog als "aggressiv inszenierte Pressekonferenz" bezeichnet hatte, konnte niemanden überraschen, der Lawrow kennt. Er attackierte die westliche "Doppelmoral" und geißelte die EU-Sanktionen gegen Moskau wegen der Annexion der Krim als "illegal".

Borrell ließ vieles unwidersprochen

Seit 2015 analysieren im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) Expertinnen und Experten, wie staatsnahe russische Medien und Akteure weltweit Falschnachrichten verbreiten. Diese Lügen werden auf der Website EUvsDisinfo.eu schnell widerlegt. Doch von seinen Fachleuten hatte sich Borrell offenbar nicht hinreichend informieren lassen, weshalb er vieles unwidersprochen ließ, was Abgeordnete "Lawrows Lügen" nannten. Auch im EAD werde der Besuch als "Debakel" beschrieben, sagen Insider. Dazu trug vor allem bei, dass Russland drei Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen auswies, während Borrell mit Lawrow sprach - und dieser von der Provokation auch noch per Tweet erfuhr.

Allerdings gehört zur Beurteilung der als "Fehler" oder "Peinlichkeit" beschriebenen Reise auch, dass die Mehrheit der EU-Mitglieder einverstanden war. Der Grüne Sergey Lagodinsky nannte die Erfahrung "ernüchternd und entwürdigend" für Borrell und die EU. Folgerungen müssten in Berlin und Paris gezogen werden, die beiden größten EU-Staaten seien entscheidend, um etwa eine Anti-Korruptionsoffensive zu starten, die Oligarchen ins Visier nimmt. Wie viele EU-Abgeordnete forderte Lagodinsky den Stopp der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2.

Borrell hatte zu Beginn dafür geworben, die russische Zivilgesellschaft weiter zu unterstützen. Die Regierenden um Putin würden die Opposition "gnadenlos unterdrücken", weil liberale Werte eine "existenzielle Gefahr" für ihr Regime darstellten. Nach fast 90 Minuten Dauerkritik sagte der 73-Jährige, er nehme diese "zur Kenntnis". Er habe aber den Eindruck, manche machten ihn für die Ausweisung der Diplomaten verantwortlich, "dabei war das doch Lawrow". Die Art, wie die Parlamentarier die Pressekonferenz beschrieben hätten, habe mit der Realität nichts zu tun, so Borrell: "Wie können Sie sagen, dass ich Nawalny nicht angesprochen habe? Es gibt ein Transkript, lesen Sie es." Einige EU-Abgeordnete dürften sich gewünscht haben, dass Borrell in Moskau so selbstbewusst aufgetreten wäre wie in dieser Brüsseler Debatte.

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